Insgesamt hat sich das Vermögen des reichsten Prozents in den vergangenen vier Jahrzehnten fast verdreifacht. Währenddessen konnte die ärmere Hälfte der Bevölkerung fast kein Vermögen aufbauen.
Soziale Ungleichheit: Die Vermögensexplosion
Das ist der erste Teil der Serie „Oben und unten“ aus unserem Ressort X. Bis zur Bundestagswahl veröffentlichen wir jede Woche eine Grafik, die auf einen Blick zeigt, wie sich die ökonomische Ungleichheit in Deutschland entwickelt hat.
In nur fünf Jahren, zwischen 2013 und 2018, sind die Vermögen der reichsten Haushalte in Deutschland um fast die Hälfte gewachsen – auf durchschnittlich 11 Millionen Euro pro Haushalt. Das zeigen Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) für ZEIT ONLINE. „Wir sehen beim Vermögen am oberen Rand der Gesellschaft extreme Zuwächse“, sagt Charlotte Bartels vom DIW. Insgesamt hat sich das Vermögen des reichsten Prozents in den vergangenen vier Jahrzehnten fast verdreifacht. Währenddessen konnte die ärmere Hälfte der Bevölkerung fast kein Vermögen aufbauen.
Dass sich die Vermögen in Deutschland ungleich entwickeln, wissen Forscherinnen und Forscher schon länger. Bisher nahmen sie jedoch vor allem Größen wie den Anteil verschiedener Gruppen am Gesamtvermögen oder den sogenannte Gini-Koeffizienten in den Blick. Der gibt an, wie ungleich das Vermögen in Deutschland verteilt ist, auf einer Skala von 0 (alle besitzen gleich viel) bis 1 (einer besitzt alles).
Für ZEIT ONLINE hat die Wirtschaftsforscherin Charlotte Bartels die Daten einer gemeinsamen Studie mit den Ökonomen Moritz Schularick und Thilo Albers zur Verfügung gestellt und zusätzliche Berechnungen angestellt. Dadurch lässt sich der Vermögenszuwachs des reichsten Prozents nicht nur in relativen, sondern auch in absoluten Zahlen ausdrücken. Man kann also ganz konkret sagen, um wie viel Euro ein Haushalt aus dieser Gruppe im Schnitt reicher geworden ist. Anhand unserer animierten Grafik lässt sich erstmals auf einen Blick erfassen, wie sich das Vermögen der unterschiedlichen Gruppen in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat.
„Unser Land ist im Durchschnitt reicher geworden“, sagt Charlotte Bartels. „Aber der wachsende Reichtum kommt bei der unteren Hälfte nicht an.“
In der Grafik zum Beginn dieses Artikels ganz rechts ist das reichste Prozent der Deutschen zu sehen. Dazu gehören all jene Haushalte, die mehr als 3,6 Millionen Euro besitzen. Ihnen gehören vor allem Unternehmen und Immobilien – und deren Preise haben stark angezogen. „Sie sind durch die gestiegenen Preisen von Immobilien und Unternehmen noch einmal deutlich reicher geworden“, sagt Charlotte Bartels. Das durchschnittliche Vermögen in dieser Gruppe ist zwischen 2013 und 2018 um rund 3,5 Millionen Euro gestiegen. Das entspricht einem Anstieg um fast die Hälfte. Der Zuwachs des Unternehmensvermögen betrug rund zwei Millionen Euro, bei den Immobilien waren es rund 1,5 Millionen Euro.
Zur zweitreichsten Gruppe, eine Säule weiter links, zählen Haushalte mit einem Vermögen zwischen 850.000 und 3,6 Millionen Euro. Sie gehören zu den reichsten zehn Prozent, nicht aber zum reichsten Prozent der Gesellschaft. Zwischen 2013 und 2018 stieg ihr Vermögen von durchschnittlich einer Million Euro auf 1,4 Millionen Euro. Sie konnten vor allem vom Immobilienboom profitieren.
Ganz links ist die ärmere Hälfte der Bevölkerung zu sehen. Dazu gehören all jene Haushalte mit einem Vermögen von weniger als 120.000 Euro. Sie konnten weder vom Immobilien- noch vom Börsenboom profitieren, denn sie besitzen kaum Aktien oder Immobilien. „Das ist ein echtes Problem“, sagt Charlotte Bartels, „denn diese Menschen haben nicht die Mittel, um Krisen wie die Corona-Pandemie abzufedern und gleichzeitig noch privat für ihr Alter vorzusorgen.“ Außerdem sind ihre Einkommen in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht ausreichend gewachsen, um größere Summen aufs Sparbuch zu legen.
Und die Mittelschicht, in der Grafik die zweite Säule von links? Auch sie hat durchaus vom Immobilienboom profitiert. Ihr durchschnittliches Vermögen wuchs zwischen 2013 und 2018 von 283.000 Euro auf 390.000 Euro. „Das sind auf dem Papier zwar erhebliche Zuwächse“, sagt Charlotte Bartels. „Für die Betroffenen fühlt sich das aber oft gar nicht so an, weil quasi ihr gesamtes Vermögen im eigenen Häuschen steckt, das man nicht von heute auf morgen verkaufen will und kann.“ Auch hier sind die wirklich Reichen im Vorteil, bei denen es nicht um das eigene Häuschen, sondern um Investitionen in lukrative Immobilien geht. Denn bei fallenden Immobilienpreisen kann jemand, dessen Geld nicht im selbst bewohnten Haus steckt, viel einfacher umschichten.
Wenn man die Daten auf eine einzige Aussage bringt, ist es diese: In Deutschland werden vor allem diejenigen reicher, die schon reich sind. „Anders als in den Nachkriegsjahren, als noch breite Teile der Bevölkerung profitieren konnten, erleben wir spätestens seit der Wiedervereinigungen eine starke Polarisierung bei den Vermögen“, sagt Bartels. Und dieser Trend werde sich, wenn die Politik nicht gegensteuere, wohl noch weiter verschärfen.
Dieser Artikel ist Teil der vierteiligen Serie „Oben und unten“ aus unserem Ressort X. Eine Auswahl weiterer Schwerpunkte finden Sie hier.
Idee und Text: Felix Rohrbeck
Redaktion und Redigatur: Philipp Daum, Philip Faigle
Visualisierung und Programmierung: Carla Grefe-Huge, Christopher Pietsch, Julius Tröger