Kinder aus „sozial starken“ Familien bekommen fast vier Mal häufiger eine Empfehlung fürs Gymnasium als Kinder aus (Fach-)Arbeiterfamilien mit vergleichbaren Schulleistungen.

Allen Versprechungen zum Trotz:

Das Bildungs- und Ausbildungssystem Deutschlands lässt zu viele Menschen zurück

Vor genau zehn Jahren, am 22. Oktober 2018, verkündeten die Regierungschefs von Bund und Ländern auf ihrem Dresdener Bildungsgipfel ein durchaus anspruchsvolles bildungspolitisches Programm.

Sie gaben dem damals von ihnen vereinbarten Maßnahmenpaket, das bis 2015 umgesetzt werden sollte, die Überschrift „Aufstieg durch Bildung“ (Bundesregierung/Regierungschefs der Länder 2008). Die Erzählung vom „Aufstieg durch Bildung“, die seit mehr als fünfzig Jahren die deutsche Bildungspolitik prägt (schon 1963 gab die SPD dem kulturpolitischen Forum ihres Hamburger Deutschlandtreffens diesen Titel), begleitete den durchaus erfolgreichen Weg der Bildungsexpansion: Immer mehr junge Menschen nahmen an weiterführender Bildung teil, die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss ging deutlich zurück, die Zahl der jungen Menschen mit mittlerem Schulabschluss stieg. Ebenso die Zahl derer, die eine Studienberechtigung und dann auch einen Hochschulabschluss erwarben.
So erfolgreich dieser Weg auch war, vergessen wurde beim Aufstieg eine banale Tatsache: Wer aufsteigt, schafft das Tal nicht ab. Wenn heute, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, die Aufsteiger ins Tal zurückschauen, zeigt sich: Die Gruppe derer, die beim Aufstieg zurückgelassen werden, ist groß. Diese Gruppe der Vergessenen soll im Folgenden in den Blick genommen und näher beschrieben werden.

Ein Rückblick auf die in dieser Expertise zusammengetragenen Befunde zur Chancenverteilung auf dem Weg von den Kindertagesstätten bis zur Weiterbildung zeigt: Bereits in der frühkindlichen Bildung wird die Ungleichheit zwischen Kindern aus unterschiedlichen sozialen Lebenslagen angebahnt, das setzt sich in den Grundschulen – wenn auch abgeschwächt – beim Umgang mit dem aktuellen Lehrkräftemangel fort und wird dann beim Zugang zu den unterschiedlichen Bildungswegen der weiterführenden Schulen verstärkt.

Infolge davon finden sich starke Disparitäten bei den Chancen, dem Zugang zu Bildung und Berufsbildung in den beruflichen Bildungswegen des dualen Berufsbildungssystems sowie der Hochschulen. Schließlich spiegelt auch die Beteiligung an Weiterbildung die so früh angelegte Ungleichheit von Bildungs- und Lebenschancen. Damit zeigt der Blick auf die Bildungsbiographien der Verlierer der vergangenen Jahre, dass Deutschlands Kindertagesstätten, seine Schulen und sein Berufsbildungs- sowie Weiterbildungs-system die Spaltung in der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer nicht abbauen, sondern verfestigen – und dies in einem Umfeld, in dem allenthalben der Mangel qualifizierter Facharbeiterinnen und -arbeiter beklagt wird.

Das Versprechen, diesem seit eh und je dem deutschen Bildungssystem anhaftenden Mangel an hinreichenden Ressourcen durch eine nachhaltige Steigerung des Anteils der Bildungsausgaben am Brutto-inlandsprodukt entgegenzuwirken, wurde gebrochen: Auf dem Dresdener Bildungsgipfel hatten die Bundes-kanzlerin und die Regierungschefs der Länder verabredet, 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung einzusetzen. 2015, dem Zieljahr, in dem diese Verabredung erreicht sein sollte, waren dies jedoch gerade einmal 9,1 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt 2018b). Um das 10-Prozent-Ziel zu erreichen, fehlten 2015 bereits 27,1 Milliarden Euro.

Große Personallücke in Kitas und Schulen

Ein Ergebnis der Studie: In Kitas und Grundschulen wird bis zum Jahr 2025 eine große Personallücke klaffen – wenn nicht deutlich mehr ErzieherInnen und GrundschullehrerInnen ausgebildet werden als bisher. Würden die Ausbildungszahlen gleich bleiben, fehlen im Jahr 2025 insgesamt 66.000 ErzieherInnen und 32.000 GrundschullehrerInnen.

Weiterhin ungleiche Chancen an weiterführenden Schulen und Hochschulen

Die Bildungschancen von Kindern hängen außerdem immer noch stark von ihrer sozialen Herkunft ab. Kinder aus „sozial starken“ Familien bekommen fast vier Mal häufiger eine Empfehlung fürs Gymnasium als Kinder aus (Fach-)Arbeiterfamilien mit vergleichbaren Schulleistungen.

Ähnlich sieht es beim Studium aus: Fast 80 Prozent aller Kinder aus „Akademikerfamilien“ beginnen ein Studium, bei Kindern mit mindestens einem Elternteil mit Berufsabschluss und Abitur (aber ohne akademischen Abschluss) sind es schon nur noch 48 Prozent und bei Kindern mit mindestens einem Elternteil mit Berufsabschluss (aber ohne Abitur) nur 24 Prozent.

Weiterbildung: Wer hat, dem wird gegeben

In der Weiterbildung zeigt sich: Gerade die Beschäftigten-Gruppen, für die berufliche Weiterbildung besonders wichtig wäre, haben die geringsten Weiterbildungsquoten: Während nur 41 Prozent der un- und angelernten ArbeitnehmerInnen an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, sind es bei Fachkräften bereits 59 Prozent und in der Führungsebene von Unternehmen sogar 75 Prozent.

Ähnlich sieht es aus beim Zusammenhang von Weiterbildung und Erwerbsstatus aus: Während nur 27 Prozent aller Arbeitslosen Weiterbildungsmaßnahmen erhalten, sind es bei den Erwerbstätigen im Schnitt 56 Prozent.

Im Folgenden die Studie von Professor Klemm:

2018_10_DGB_Expertise-Der-Dresdener-Bildungsgipfel-von-unten-betrachtet

 

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