Jugendarmut im Unterschied zu Armut bei Kindern noch immer nicht als wichtiges gesellschaftliches Problem wahrgenommen: ein wichtiges Thema zum Internationalen Tag der Kinderrechte 20.11. 2018

Von der Armut und der Jugend. Wieder einmal wird auf die Jugendarmut in Deutschland geschaut. Für einen Moment

Die Armutsdiskussion in Deutschland pendelt zwischen den Polen einer vollständigen Ausblendung des Problems (Armut gibt es nicht in unserem Land) bis hin zu einer zuweilen schrillen Skandalisierung (und Instrumentalisierung) der Zahlen, die eine fortschreitende Verelendung eines Teils der Bevölkerung belegen (sollen). Beide Extreme sind falsch. Und sie verschütten die Zugänge zu einem höchst heterogenen Kreis von Menschen, die tatsächlich von Armut (meistens gemessen als Einkommensarmut) betroffen sind und die mit wenig, zuweilen sehr wenig Geld über die Runden kommen müssen – und manche von ihnen im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Lebensende.

Zugleich kann man auch in der Armutsdebatte eine normative Differenzierung beobachten, hinter der eine (bewusst-unbewusste) „Hierarchie“ der (unverschuldeten) Bedürftigkeit steht: Immer wieder an erster Stelle steht die „Kinderarmut“, denn zum einen können die ja nun wirklich nichts für die Situation, zum anderen rührt Armut von Kindern die Herzen vieler Menschen und selbst Politiker, die das bestehende System verteidigen, geraten beim Blick auf die Kinder in Argumentationsnöte. Und in letzter Zeit wird zunehmend und verständlicherweise angesichts der enormen Zuwächse das Thema Altersarmut aufgerufen – und auch hier läuft immer der Gedanke mit, dass diese Form der Armut erhebliche Gerechtigkeitsprobleme aufwirft, vor allem, wenn die alten Menschen auf ein langes und oftmals hartes Arbeitsleben zurückblicken können.

Nur selten wird eine allerdings große Gruppe unter den einkommensarmen Menschen in unserem Land explizit aufgerufen und in den Mittelpunkt der Berichterstattung gestellt. Und wenn, dann berichten nur wenige Medien darüber – wie man auch in diesen Tagen erneut beobachten muss: die Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Bevor hier die neuesten Zahlen präsentiert werden, werfen wir einen Blick zurück in das Jahr 2014. Im Mai 2014 wurde dieser Artikel veröffentlicht: Nur jeden zweiten Tag ein warmes Essen. »Von den etwa 8,8 Millionen jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren in Deutschland ist etwa jeder fünfte arm oder von Armut bedroht. In der Gesamtbevölkerung ist nur jeder sechste Deutsche betroffen«, konnte man dort lesen. »Während Jugendliche einerseits zwei Milliarden Euro pro Jahr für ihr Handy, fürs Telefonieren und Simsen ausgeben können, gibt es andererseits jene 1,8 Millionen zwischen 15 und 24 Jahren, die in Armut leben.« Der Artikel von Ulrike Heidenreich bezog sich dabei auf den „Monitor Jugendarmut“ der Bundesarbeitsgemeinschaft katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS).

Das war 2014. Mittlerweile neigt sich das Jahr 2018 dem Ende entgegen und wir werden mit diesen Zahlen konfrontiert: »Gut ein Viertel der 18- bis 24-Jährigen in Deutschland ist in Gefahr, in Armut abzurutschen. Die Quote ist so hoch wie in keiner anderen Altersgruppe … Laut Statistischem Bundesamt sind 3,4 Millionen Kinder und Jugendliche von Armut betroffen. Insgesamt, über alle Altersgrenzen hinweg, sind dies in Deutschland 13,4 Millionen Menschen … „Man muss davon ausgehen, dass es neben den offiziellen Zahlen noch eine erhebliche Dunkelziffer gibt. Insgesamt sprechen wir dann über mehr als 4,4 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die von Armut betroffen sind“, sagt Stefan Ewers von der katholischen Arbeitsgemeinschaft.«

Diese neuen Zahlen sind dem Monitor Jugendarmut in Deutschland 2018 der BAG KJS entnommen. In der Pressemitteilung zur neuen Ausgabe des Monitors Jugendarmut wird sogleich der Finger auf die am Anfang dieses Beitrags aufgezeigte Wunde gelegt: »Aktuelle Zahlen zeigen: Nach wie vor ist die junge Generation am stärksten von Armut bedroht. Dennoch wird Jugendarmut im Unterschied zu Armut bei Kindern noch immer nicht als wichtiges gesellschaftliches Problem wahrgenommen: Vorurteile prägen das Bild und verstellen den Blick auf betroffene Jugendliche … Vorurteilen wie „Wer arm ist, ist selbst schuld“ oder „Wer will, der kann“ setzt der Monitor 2018 sachliche und datenbasierte Informationen zu den Themen Gesundheit, Herkunft, Wohnumfeld, Ausbildung, soziale Mobilität entgegen. Anhand von statistischen Erhebungen, Experteninterviews und Aussagen von Betroffenen zeichnet er ein deutliches und anschauliches Bild nicht nur von den Ursachen, sondern auch den Auswirkungen der Lebenslage Armut bei Jugendlichen.«

Man kennt das aus anderen Zusammenhängen – den Unterscheid zwischen offiziellen und den „wirklichen“ Zahlen: »Die offizielle Statistik spricht von gut 3,4 Millionen armutsgefährdeten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Experten gehen jedoch von einer erheblichen Dunkelziffer aus. Denn: Bestehende oder geplante Leistungen zur Förderung für Kinder und Jugendliche sind ebenso wie die Hartz-IV-Sätze nicht „armutsfest“, erreichen arme Familien gar nicht oder werden – wie der Kinderzuschlag – nicht beantragt, weil der Aufwand viel zu hoch ist oder Informationen fehlen.«

Die Höhe der Hartz IV-Leistungen wird massiv kritisiert: »Der bestehende Hartz-IV-Regelsatz ist nicht „armutsfest“, sondern zu niedrig, gerade auch wenn es um die Sicherstellung von (informeller) Bildung und Teilhabe geht. Je älter Jugendliche werden und je mehr sie versuchen, auf eigenen Füßen zu stehen, desto folgenreicher wirkt sich aus, dass die bis­herige Grundsicherung im SGB II für junge Menschen nicht aus­reicht, um die soziale und kulturelle Teilhabe zu sichern.«

»Der aktuelle Regelsatz im SGB II für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren beträgt 316 Euro, für unter 25-Jährige im Elternhaus (oder auch nach „nicht genehmigtem Auszug“) sind es 332 Euro. Eigene Zuverdienste werden durch die engen Grenzen auf 100 Euro beschränkt, das An­sparen eines „Startkapitals“ in die Eigenständigkeit ist nicht möglich. Rund 2 Millionen junge Menschen (bis 18 Jahre) im Hartz-IV-Bezug wachsen so als „Teil einer Bedarfsgemeinschaft“ in einer Mangel­situation auf.«

Und die BAG KJS weist richtigerweise auf hoch problematische „Schnittstellen“ (oder Löcher) zwischen den Systemen hin, denn für Kinder und Jugendliche haben wir ja auch noch das SGB VIII, also das Kinder- und Jugendhilferecht mit wichtigen Leistungen speziell für diese Altersgruppen. Aber:

»Viele Hilfen im Rahmen des SGB VIII enden bereits mit Erreichen des 18. Lebensjahres. Das SGB II wiederum geht davon aus, dass bis zum 25. Lebensjahr eine Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern besteht. Die Ausbildungs­vergütung und anderes „eigenes“ Einkommen werden automatisch auf die Leistungen für die Bedarfsgemeinschaft angerechnet. Gleich­zeitig besteht ein faktisches Auszugsverbot bis zum 25. Lebens­­jahr, das erst aufgehoben wird durch die Bescheinigung des Jugend­amtes, dass ein Zusammenleben nicht mehr möglich ist (etwa weil die Eltern ihr Kind „vor die Tür gesetzt“ haben).«

Und derzeit läuft ja (wieder einmal) eine der fundamental daherkommenden Hartz IV-Debatten, in der von einer „Abschaffung“ von Hartz IV, also dem Grundsicherungssystem für fast sechs Millionen Menschen, darunter auch viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, diskutiert wird. Ein wichtiger Punkt in dieser Debatte sind (wieder einmal) die Sanktionen, die im bestehenden System vorgesehen sind und in teilweise erheblich unterschiedlicher Intensität in den einzelnen Jobcentern praktiziert werden. Vgl. zu den Sanktionen die zahlreichen Beiträge in diesem Blog. Man muss aber an dieser Stelle wissen, dass das umstrittene und viel kritisierte Sanktionsregime im SGB II gegenüber den Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders hart ausfällt – interessanterweise haben wir hier also eine abweichende Regelung im Vergleich zu anderen Bereichen, man denke an das Jugendstrafrecht, das gerade geringere Strafen als für Erwachsene und eine Schwerpunktsetzung auf erzieherische Maßnahmen beinhaltet. Im SGB II ist es genau umgedreht – härtere Sanktionen gegen die Jungen:

Generell gilt: Verletzen Bezieher von Arbeitslosengeld (ALG) II eine gesetzliche Pflicht nach dem SGB II), ohne einen wichtigen Grund dafür vorweisen zu können, werden ihre Leistungen für drei Monate durch eine Sanktion reduziert. Auch das Gesetz differenziert bei den Folgen eines Verstoßes nach dem sanktionsauslösenden Tatbestand. Wenn ein Meldeversäumnis (nach § 32 SGB II) vorliegt, also die Betroffenen einer Terminverpflichtung im Jobcenter ohne wichtigen Grund nicht eingehalten haben, dann führt das zu Sanktionen in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden ALG-II-Regelbedarfs, für drei Monate. Kommen ALG-II-Bezieher anderen Pflichten (§ 31 SGB II) nicht nach – z. B. der Annahme eines zumutbaren Stellenangebots oder der Teilnahme an einer Fördermaßnahme –, dann werden sie mit härteren Sanktionen konfrontiert. Für Personen ab 25 Jahren liegen sie bei einem ersten Verstoß bei 30 Prozent und bei einem zweiten Verstoß innerhalb eines Jahres bei 60 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs. Bei weiteren gleichartigen Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres entfällt das ALG II für drei Monate ganz (vgl. § 31a Abs. 2 SGB II).

Abweichend sind die Regelungen für die Hartz IV-Empfänger unter 25 Jahre. Schon beim ersten Verstoß nach § 31 SGB II, also beim ersten Regelverstoß, der über ein Meldeversäumnis hinausgeht,  wird das ALG II bei dieser Personengruppe auf die Leistungen für die Unterkunft begrenzt und bei wiederholten Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres entfällt das gesamte ALG II.

Nun gibt es seit langem und immer wieder die Forderung, dieses verschärfte Sanktionsregime für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen wenn nicht abzuschaffen, dann wenigstens zu begrenzen auf die Sanktionshierarchie, die auch für die älteren Leistungsbezieher gilt. Vgl. dazu auch den Beitrag Diesseits und jenseits der schwarzen Pädagogik: Eine Studie zu den Wirkungen von Sanktionen auf junge Hartz IV-Empfänger – und ihre „Nebenwirkungen“ vom 9. Februar 2017 sowie zu den hoch problematischen Folgen auf Seiten der „verloren“ gehenden Jugendlichen bereits dieser Beitrag aus dem Jahr 2015: Durch alle Netze gefallen, vergessen und jetzt ein wenig angeleuchtet: Der Blick auf die „entkoppelten Jugendlichen“.

Und das Sanktionsthema wird auch im Monitor Jugendarmut 2018 wieder aufgerufen: »Die Anwendung dieser verschärften Sanktionsregeln im SGB II führt dazu, dass junge Menschen deutlich unter dem Existenzminimum leben, jeglichen Anspruch auf Unterstützung und dadurch gegebe­nen­falls auch ihre Wohnung verlieren. Sie lassen junge Menschen „abtauchen“ und bergen ein hohes Risiko von Wohnungs- und Obdachlosigkeit.«

Und die bereits zitierte Ulrike Heidenreich hat nicht nur 2014, sondern nun auch im Jahr 2018 über die Ergebnisse des Monitors Jugendarmut berichtet, diesmal unter der Überschrift Wie der Staat die Situation gefährdeter Jugendlicher erschwert. »Viele staatliche Hilfen enden mit Erreichen des 18. Lebensjahres. Die katholischen Sozialarbeiter werfen dem Staat vor, Familien, die bisher auf die Grundsicherung, also Hartz IV, angewiesen waren, nicht genug zu unterstützen. Beginne ein Kind eine Ausbildung, so schmälere die Ausbildungsvergütung letztlich das Familieneinkommen – weil die Grundsicherung nun gekürzt werde. „Die Quote der verfestigten Armut hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt“, warnt Ewers. Er wirft dem Staat auch vor, bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz sich selbst und den Jugendlichen im Weg zu stehen: Diese würden von unterschiedlichen Behörden betreut. Wechselnde Anlaufstellen und Zuständigkeiten seien die Folge. Auch gebe es de facto ein Verbot für unter 25-Jährige aus Hartz-IV-Familien, von daheim auszuziehen; egal, wie zerrüttet womöglich dort das Verhältnis ist. Tun sie es doch, können die jungen Leute nicht mit dem vollen Grundsicherungsbetrag von 416 Euro pro Monat rechnen, sondern nur mit 327 Euro. Zudem drohten weitere Kürzungen der Hilfen.«

Und dann verweist sie noch auf ein anderes, hier schon angedeutetes Problem einer speziellen Gruppe in der Welt „zwischen“ SGB VIII und SGB II: »Auf sich alleingestellt sind mit 18 Jahren auch die 180.000 Jugendliche, die in Heimen, in Wohngruppenoder bei Pflegefamilien aufwachsen. Laut „Monitor Jugendarmut“ endet mit der Volljährigkeit für etwa 75 Prozent von ihnen die Möglichkeit, dort zu bleiben. Sie müssen ein neues Zuhause finden. Was nicht immer gelingt: Das Deutsche Jugendinstitut schätzt, dass 37.000 junge Erwachsene keine Wohnung haben und sich teils auf der Straße durchschlagen müssen.«

Es bleibt noch anzumerken, dass das einer der wenigen Artikel war, der überhaupt berichtet hat über die Zahlen und Menschen aus dem Monitor Jugendarmut 2018.

Hier kann man auch den Monitor Jugendarmut nachlesen:

Monitor-Jugendarmut-in-Deutschland-2018

 

UN-Kinderrechtskonvention

MichelangeloKinderrechte sind Menschenrechte. Dieser Grundsatz sollte für alle Kinder auf der Welt gelten. Die Vereinten Nationen haben sich das zum Ziel gesetzt und die Rechte der Kinder in der Kinderrechtskonvention festgelegt. Dieses Übereinkommen über die Rechte des Kindes besteht aus 54 Artikeln, die Rechte von Kindern und Jugendlichen beinhalten.

In der Kinderrechtskonvention sind u.a. folgende Kinderrechte festgelegt worden:

  • Keine Benachteiligung von Kindern
  • Achtung des Privatlebens und der Würde der Kinder
  • Mitbestimmungsrecht und freie Meinungsäußerung.
  • das Recht auf Informationen
  • das Recht auf Bildung und Ausbildung
  • das Recht auf Spiel, Erholung und Freizeit
  • das Recht auf besonderen Schutz im Krieg und auf der Flucht
  • das Recht auf Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung
  • das Recht auf Gesundheit
  • das Recht auf Geborgenheit, Familie, elterliche Fürsorge und ein sicheres Zuhause
  • das Recht auf besondere Fürsorge und Förderung bei einer Behinderung.

 

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