Gewerkschaften fordern von der CDU-Ministerin bis zu 37% höheren Azubi-Mindestlohn – CDU-Gesetzentwurf stellt Azubis schlechter als Schüler

Mindestlohnvorschlag Bildungsministerin Karliczek will Azubi-Mindestlohn auf 504 Euro festlegen

Die Bundesbildungsministerin legt ihren Mindestlohnvorschlag für Azubis vor. Doch sie stellt weder den DGB noch viele Handwerker zufrieden. Auch vom Koalitionspartner kam umgehend Protest.
08.11.2018

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat sich Zeit genommen. In dem im März unterschriebenen Koalitionsvertrag hatte sie den ersten Mindestlohn für Lehrlinge verankern lassen. Am Donnerstag legte Karliczek den lange erwarteten Vorschlag auf den Tisch: Azubis im ersten Jahr sollen 504 Euro erhalten. In den Folgejahren sollen es fünf, zehn und 15 Prozent mehr sein: konkret 529, 554 und 580 Euro pro Monat.

Der höhere Lohn soll die berufliche Ausbildung attraktiver machen und mehr junge Menschen in die duale Ausbildungsberufe wie Bäckereiverkäufer locken. Dort bleiben derzeit auch wegen der niedrigen Azubi-Löhne viele Plätze leer.

Beim Tag der Berufsausbildung des Deutschen Gewerkschaftsbundes nannte die CDU-Politikerin ihren Vorschlag eine Mindestausbildungsvergütung „von Maß und Mitte“. Schließlich müsse der Mindestlohn „bundes- und branchenweit gelten: Also nicht nur in Niedersachen und Hessen, sondern auch in Sachsen und Brandenburg.“ Die Novelle des Berufsbildungsgesetzes soll im Sommer 2019 verabschiedet und zum 1. Januar 2020 in Kraft treten.

Karliczek schob vor den Gewerkschaftern auch gleich die Vermutung hinterher, dass „Sie als die Vertreter der Arbeitnehmer diese Summe vermutlich zu niedrig finden. Und die Arbeitgeber werden mir sagen, dass die Summe aus Ihrer Sicht viel zu hoch ist“, so Karliczek. „Diese Spannungen werden wir nicht vollständig auflösen können“, fügte sie hinzu.

Auch vom Koalitionspartner kam umgehend Protest: „Die Ministerin prescht nach Monaten der Untätigkeit mit nicht nachvollziehbaren und unabgestimmten Vorschlägen zur Höhe der Mindestausbildungsvergütung vor. Damit wird sie den berechtigten Ansprüchen der Auszubildenden, für ihre Leistung eine angemessene Vergütung zu erhalten, nur unzureichend gerecht“, sagte die Sprecherin für Berufsausbildung der SPD-Fraktion, Yasmin Fahimi, dem Handelsblatt.

Sie fordert, die Höhe der Vergütung solle im Austausch mit beiden Seiten der Sozialpartner und in Anlehnung an das Tarifgefüge festgelegt werden. Die Vorschläge der Ministerin „geben schlicht das wieder, was Arbeitgebervertreter für vertretbar erklärt haben“, sagte die frühere Generalsekretärin der SPD.

In welchem Maß die Unternehmen von den unterschiedlichen Azubi-Löhnen betroffen sind, zeigt eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Bei einer Mindestausbildungsvergütung von 500 Euro im ersten Lehrjahr müssten rund elf Prozent aller Ausbildungsbetriebe ihren Lehrlingen mehr zahlen als heute. Bei einer Untergrenze von 650 Euro wäre schon mehr als jeder dritte betroffen.

Von den Kleinstbetrieben mit weniger als zehn Beschäftigten wären 17 Prozent durch eine Untergrenze von 500 Euro tangiert, so die BIBB-Studie: Bei 650 Euro wäre es dagegen schon fast jeder zweite. Die Unternehmen im Osten wären überproportional betroffen.

Die BIBB-Zahlen zeigten, dass das Handwerk von einer Untergrenze besonders stark tangiert würde. Demnach zahlt heute jeder fünfte Ausbildungsbetrieb weniger als 500 Euro. Der Zentralverband des Handwerks hatte auch schon eindringlich gewarnt, dass sich deshalb diverse Handwerker aus der Ausbildung zurückzögen.

Besser sieht es im Zuständigkeitsbereich der Industrie- und Handelskammern (IHK) aus: Dort ging man bisher davon aus, von einem Mindestlohn kaum betroffen zu sein.

Über alle Ausbildungsbereiche, Betriebsgrößen und Regionen hinweg wenden die Unternehmen heute 7114 Euro je Auszubildendem und Jahr auf. Nach der Simulation des BIBB würden diese Kosten durch die Vergütungsuntergrenze um mindestens zwei Prozent steigen.

Als Bezugsbasis schlägt Karliczek das Schüler-Bafög vor, das solche Schüler erhalten, die eine Vollzeit-schulische Ausbildung machen und nicht bei ihren Eltern wohnen. Das bedeutet, dass anders als beim DGB-Vorschlag, der Azubi-Mindestlohn nicht von Vereinbarungen der Tarifpartner abhängen würde, sondern vom Gesetzgeber.

SPD kritisiert Azubi-Mindestlohn-Konzept von Karliczek

504 Euro würde Azubis schlechter stellen als Schüler

Die SPD kritisiert das vom Bildungsministerium unter Anja Karliczek (CDU) ausgearbeitete Konzept des Azubi-Mindestlohns. Der von der Großen Koalition angekündigte neue Mindestlohn für Auszubildende soll im ersten Jahr 504 Euro betragen – angelehnt an das Bafög für Schüler, die nicht mehr zu Hause wohnen, wie es aus dem Gesetzentwurf für eine Novelle des Berufsbildungsgesetzes hervorgeht, über den das “Handelsblatt” berichtet. In den Folgejahren soll der Azubi-Mindestlohn um fünf, zehn und 15 Prozent steigen.

Die SPD kritisiert sowohl die Höhe als auch die Basis: “504 Euro würde Azubis schlechter stellen als Schüler, denn sie müssen davon noch Sozialabgaben leisten”, sagte Yasmin Fahimi, Berichterstatterin der SPD für Berufliche Bildung, dem “Handelsblatt”. Die SPD möchte als Bezugsbasis die durchschnittlichen Tariflöhne der Lehrlinge. “Auszubildende sind Teil des Betriebspersonals und keine Schüler”, so Fahimi. Karliczek jedoch versuche, “die Mindestausbildungsvergütung über den Umweg eine Sozialleistung niedrig zu halten und zusätzlich die Tarifautonomie zu untergraben”. Völlig ungeklärt ist Fahimi zufolge nach Karliczeks Entwurf auch der Widerspruch zwischen dem Gesetz und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: Danach könnten Auszubildende in tarifungebundenen Unternehmen eine Vergütung von mindestens 80 Prozent der üblichen Tarifvergütung einklagen – “in der Elektrobranche sind das etwa 800 Euro”.

Wenn diese nun auf die Mindestausbildungsvergütung zurückfielen, “wäre das eine Schlechterstellung zum Ist-Zustand”, sagte die SPD-Politikerin. “Das können wir keinesfalls akzeptieren.” Neben der SPD sind Wirtschaftsverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) auch über das Prozedere verärgert: Der Referentenentwurf war kurz vor Weihnachten verschickt worden – mit Frist für Stellungnahmen bis zum 8. Januar. “Das ist eine Unverschämtheit”, sagte Fahimi. Offenbar wolle “Frau Karliczek ein unliebsames Thema schnell vom Tisch haben”. Handwerk, die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), Arbeitgeber und der DGB hatten unisono um Fristverlängerung gebeten – erfolglos. +++

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