Bildung und Teilhabe: Skandal in Herne setzt sich fort – Kindern und Jugendlichen wird das soziokulturelle Existenzminimum nicht garantiert

Bildung und Teilhabe

Aktuelle Zahlen aus Herne im Vergleich zur Stadt Hamm (Stand September 2018)

Skandal in Herne setzt sich fort – Kindern und Jugendlichen wird das soziokulturelle Existenzminimum nicht garantiert

 

Leistungsberechtige        Herne    9.883                Hamm   8.334

Anspruch auf mindestens eine Leistung

                                          Herne    2.434               Hamm   5.532

Eintägiger Schulausflug   Herne    101                  Hamm    5.300

Mehrtägige Klassenfahrt  Herne      83                  Hamm      355

Lernförderung                  Herne      56                   Hamm      520

Mittagsverpflegung          Herne    1.907                Hamm     5.300

Teilhabe Soziokultur        Herne       580                Hamm     5.209

Diese Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sprechen eine deutliche Sprache und sind ein wirklicher Skandal in dieser Stadt, der kaum wahrgenommen wird. Die Stadtverwaltung in Person des Sozialdezernenten zieht sich hinter der Tatsache zurück, dass es sich hier um Förderungen handelt, die von den Erziehungsberechtigten formal beantragt werden müssen. An dieser Stelle macht es sich die Stadt Herne sehr einfach mit der Förderung der betroffenen Kinder und Jugendlichen in Herne. Dazu kommt, dass diese Förderungen vom Bund komplett refinanziert werden.

gez. Norbert Kozicki Dipl.Soz.Wiss.

Wer sich den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung durchliest, findet darin beruhigende Befunde: „Durch das Bildungs- und Teilhabepaket wird das spezifische sozio-kulturelle Existenzminimum von hilfebedürftigen Kindern [……] gesichert“, heißt es da. Übersetzt also: In Deutschland lernen auch arme Hartz-IV-Kinder Musikinstrumente und gehen in Sportvereine.

Das Problem ist nur: Das stimmt nicht.

Was die Bundesregierung in ihren Bericht geschrieben hat, ist zwar das Ziel des Bildungs- und Teilhabepakets, das 2011 als Folge eines geharnischten Urteils des Bundesverfassungsgerichts eingeführt wurde – aber es hat mit der Realität kaum etwas zu tun. In der profitiert nämlich nur ein Bruchteil der Kinder von dem Teil des Pakets, der für die Teilhabe vorgesehen ist. Das ist das Ergebnis einer Auswertung des Paritätischen Wohlfahrtsverband, die dieser gemeinsam mit dem Deutschen Kinderschutzbund veröffentlicht.

Nordrhein-Westfalen verzeichnete (Stand Juli 2017) 254 402 Leistungsberechtigte im SGBII-Bezug im Alter von 6 bis 15 Jahren. Ihre „Teilhabe“ beantragten 36 953. Auf der Ebene von NRW gibt es eine Teilhabequote am sozialen und kulturellen Leben für diese Kinder von 14,5%.

Die Stadt Herne weist eine Teilhabequote unter dem Landesdurchschnitt auf, mit 11,6%.

Von 3 727 Leistungsberechtigten im Alter von 6 bis 15 Jahren haben in Herne nur 431 Kinder Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten.

Interessant ist der Vergleich mit einem der Spitzenwerte in Nordrhein-Westfalen. Die Stadt Hamm weist eine Teilhabequote von sage und schreibe 91,3% aus. Dort bekommen 3 169 Kinder von 3 470 leistungsberechtigten Kindern Förderungen aus dem Bildungspaket.

Diese Tatsache führt zwangsläufig zu Nachfragen bei der Stadt Herne. Besonders vor dem Hintergrund der sehr schlechten Daten zur sozialen Lage der Kinder und Jugendlichen in Herne kann man, nein, muss man von einem Skandal sprechen.

Im Interesse der jungen Generation muss die Stadt aufgefordert werden, entsprechend ihren Verpflichtungen nach umfassender Information (SGB VIII), die betroffenen Familien und Lebensgemeinschaften zu informieren und bei der Antragstellung zu beraten.

Diese traurige Statistik für Herne stellt keinen Qualitätsbeweis für die Schulen in Herne aus. Diese Einrichtungen müssen sich ebenfalls die Frage gefallen lassen, warum so wenig leistungsberechtigte Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren hier gefördert werden.

gez. Norbert Kozicki, Dipl.Soz.Wiss.

 

Kinderarmut: Nicht einmal 15 Prozent der 6- bis unter 15-Jährigen profitieren von Teilhabeleistungen

Pressemeldung vom 18.09.2018

Die Leistungen für benachteiligte Kinder und Jugendliche seien in ihrer Höhe unzureichend und in der bestehenden Form schlicht nicht geeignet, Kinderarmut zu bekämpfen, Teilhabe zu ermöglichen und Bildungsgerechtigkeit sicherzustellen, kritisieren der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Deutsche Kinderschutzbund. Nach einer aktuellen Expertise der Paritätischen Forschungsstelle profitieren nur weniger als 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler unter 15 Jahren im Hartz-IV-Bezug von den sogenannten „soziokulturellen Teilhabeleistungen“. Die Leistungsart sieht eine monatliche Förderung von zehn Euro pro Kind für beispielsweise Mitgliedsbeiträge in Sportvereinen oder Musikunterricht vor und war 2011 neu eingeführt worden. Anlass war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das festgestellt hatte, dass Bildung und Teilhabe für Kinder und Jugendliche über die regulären Regelsätze in Hartz IV nicht angemessen abgesichert sind. Der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Deutsche Kinderschutzbund Bundesverband sehen in den Ergebnissen der Studie den Beleg für das Scheitern des damals geschnürten „Bildungs- und Teilhabepaketes“ und fordern eine Totalreform. Notwendig sei die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Angebote der Jugendarbeit im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) und die Einführung einer existenzsichernden, einkommensabhängigen Kindergrundsicherung.

„Das Bildungs- und Teilhabepaket ist gefloppt, geht komplett an der Lebensrealität Heranwachsender und den Strukturen vor Ort vorbei und läuft in der Praxis ins Leere“, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Die soziokulturellen Leistungen kommen laut Expertise bei der großen Mehrheit der grundsätzlich leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 15 Jahren nicht an. Die Studie belegt deutliche regionale Unterschiede, insgesamt sei aber in einem Großteil der Kommunen die durchschnittliche Quote bewilligter Anträge und festgestellter Ansprüche „niederschmetternd gering“. Statt auf ein bürokratisches Konzept zu bauen, das Familien verärgert und die kommunale Verwaltung und Leistungsanbieter belastet, brauche es daher einen Rechtsanspruch auf Angebote der Kinder- und Jugendarbeit, so die gemeinsame Forderung von DKSB und Paritätischem Wohlfahrtsverband. „Teilhabechancen dürfen nicht von der Herkunft abhängen. Es geht darum, Angebote für alle Kinder und Jugendlichen zu schaffen, die sie in ihrer Entwicklung fördern“, so Schneider.

„Das Bildungs- und Teilhabepaket stigmatisiert Kinder, weil es sie immer wieder dazu zwingt, sich in Schule und Freizeit als arm zu outen“, warnt DKSB-Präsident Heinz Hilgers. „Hinzu kommt, dass die einzelnen Leistungen in ihrer Höhe bereits bei der Einführung nicht ausreichend waren und seitdem nie erhöht wurden.“ Das werde insbesondere am Beispiel des Schulbedarfes deutlich: „Eine Schulerstausstattung, die wir auf der Grundlage von Informationsblättern von Schulen zusammengestellt haben, kostet mehr als doppelt so viel, als vom Bildungs- und Teilhabepaket vorgesehen“, betont Hilgers.

Anlässlich des Weltkindertages am 20. September rufen die Verbände zu lokalen Aktionen und Veranstaltungen rum um das Thema Kinderrechte und Kinderarmut auf.

Mehr unter: www.dksb.de, www.mensch-du-hast-recht.de, www.kinderarmut-hat-folgen.de

Hier finden Sie die Expertise:

Paritaet. Expertise_4_2018_Bildungs- und Teilhabepaket.pdf

 

 

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