Die SPD und ihre Pläne zu Hartz IV. Gastkommentar von Christoph Butterwegge

12.02.2019

Was zu tun ist

Die SPD und ihre Pläne zu Hartz IV. Gastkommentar von Christoph Butterwegge

Etwa 20 Millionen Menschen haben seit 2005 Arbeitslosengeld II, also »Hartz IV«, bezogen und sind in gewisser Weise gedemütigt worden, haben das auch auf die SPD zurückgeführt. Jetzt muss die Sozialdemokratie dafür sorgen, dass sie wieder erkennbar wird. Mit den sogenannten Hartz-Gesetzen wurden zahlreiche Verschlechterungen für Langzeiterwerbslose, Geringverdiener und Arbeitsuchende eingeführt. Folgende neun Regelungen müssten zurückgenommen, abgeschafft bzw. geändert werden, wenn man »Hartz IV hinter sich lassen« möchte, was Andrea Nahles als Vorsitzende der SPD für ihre Partei seit kurzem in Anspruch nimmt.

1. Die Höchstbezugsdauer des Arbeitslosengeldes (I) wurde auf höchstens 18 Monate verringert. Mehr als zwei Drittel aller Erwerbslosen befinden sich heute im Hartz-IV-Bezug und bloß noch ein knappes Drittel im Versicherungssystem. Immer mehr Erwerbslose fallen gleich in Hartz IV. Deshalb müssen die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und die Rahmenfrist für die Anrechnung von Versicherungszeiten über die ab 1. Januar 2020 geltenden 30 Monate verlängert werden, während die Anwartschaftszeit von zwölf Monaten verkürzt werden sollte.

2. In seiner berühmt-berüchtigten »Agenda«-Rede hat Gerhard Schröder mit der Forderung nach einer »Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe« 2003 die zentrale Legitimationsformel für Hartz IV präsentiert. Dabei wurde gar nichts zusammengelegt, sondern mit der Arbeitslosenhilfe zum ersten Mal seit 1945 eine den Lebensstandard von Millionen Erwerbslosen (noch halbwegs) sichernde Lohnersatzleistung abgeschafft. Will man »nicht hinter Hartz IV zurück«, also keine Lohnersatzleistung wie die Arbeitslosenhilfe einführen, kann man den Lebensstandard auch durch ein im Extremfall bis zur Rente gezahltes Arbeitslosengeld sichern.

3. Mit der Einführung von Hartz IV war eine Pauschalierung der Regelsätze verbunden, die zu niedrig sind, um in Würde leben, sich gesund ernähren und ordentlich kleiden zu können. Einerseits müssten die Regelbedarfe deutlich erhöht werden, was Andrea Nahles ablehnt; andererseits sollten jene Beihilfen wiedereingeführt werden, die geeignet sind, bedürftigen Eltern und ihren Kindern zu helfen.

4. Einen Berufs- und Qualifikationsschutz gibt es bei Hartz IV nicht mehr. Dieser muss wieder im Sozialgesetzbuch verankert werden.

5. Hartz IV ist mit verschärften Zumutbarkeitsregelungen für die Arbeitsaufnahme verbunden. Arbeitslosengeld-II-Bezieher müssen jeden Job annehmen, auch wenn er weder nach Tarif noch ortsüblich entlohnt wird. Hungerlöhne dürfen vom Staat nicht mehr gesetzlich legitimiert und die Kosten dafür sozialisiert werden.

6. Ein wesentlicher Bestandteil von Hartz IV sind harte Sanktionen, um Zwangsmaßnahmen der Jobcenter durchsetzen zu können. Es wird massiver Druck auf die Betroffenen ausgeübt, der sie teilweise in die Resignation und in die Depression treibt. Die unsägliche Rohrstockpädagogik längst vergangener Zeiten hat in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts nichts zu suchen.

7. Hartz IV übernahm das wie viele andere Bestandteile dieses Gesetzespaketes aus der Weimarer Republik stammende Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft – damals hieß es noch »Familiennotgemeinschaft« – aus dem Fürsorgerecht. Eine ausgeweitete Kollektivhaftung darf es nicht geben, weshalb die Bedarfsgemeinschaft aus dem Sozialgesetzbuch zu streichen ist.

8. Mit den ersten Hartz-Gesetzen wurden die Hürden der Bedürftigkeitsprüfung schrittweise erhöht. Gegenüber der Regelung bei der Arbeitslosenhilfe verringerte sich das Schonvermögen. Die SPD will das Schonvermögen erhöhen. Dies erscheint zweckmäßig, obwohl davon eher besser situierte Leistungsberechtigte profitieren, während vor allem in den ostdeutschen Ländern viele Antragsteller überhaupt kein Vermögen besitzen, das geschont werden könnte.

9. Ausgerechnet im Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung, das Europa 2010 beging, fassten die damaligen Regierungsparteien CDU, CSU und FDP den Entschluss, den Arbeitslosengeld-II-Beziehern das Elterngeld auf die Transferleistung anzurechnen (und davon abzuziehen). Verschlechterungen wie diese, zu denen sich Andrea Nahles nicht geäußert hat, müssen rückabgewickelt werden, um Hartz IV überwinden und ein neues Sozialstaatsmodell begründen zu können. Auch wenn dies das Ende der Regierungskoalition bedeutet. Ziel muss eine soziale Grundsicherung sein, die den Namen wirklich verdient, weil sie armutsfest, bedarfsdeckend und repressionsfrei ist.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität Köln und war 2017 Kandidat der Partei Die Linke bei der Bundespräsidentenwahl. 2018 gab er mit Kuno Rinke das Buch »Grundeinkommen kontrovers« heraus

https://www.jungewelt.de/artikel/348974.was-zu-tun-ist.html

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