Krankenhäuser zwischen Volksbegehren gegen den Pflegenotstand und unsicheren Pflegebudgets im kommenden Jahr

Krankenhäuser zwischen Volksbegehren gegen den Pflegenotstand und unsicheren Pflegebudgets im kommenden Jahr

In Hamburg ist man bereits gegen die gerichtliche Wand gelaufen – gemeint ist der Hamburger Volksentscheid gegen Pflegenotstand und für eine gute Versorgung im Krankenhaus. Die Volksinitiative hatte im März 2018 die nötige Zahl an Unterstützern zusammenbekommen. Eine erste Vorlage wurde von der Bürgerschaft allerdings nicht als Gesetz verabschiedet. Deshalb beantragten die Initiatoren im Oktober 2018 die Durchführung des Volksbegehrens mit einem überarbeiteten Gesetzentwurf, den sie im Dezember nochmals änderten. Nach Angaben der Initiative fehlen in den Krankenhäusern der Stadt etwa 2.500 Pflegekräfte. Weil er den Antrag für unzulässig hielt, hatte der rot-grüne Senat Ende 2018 das Verfassungsgericht angerufen.

Aber Anfang Mai 2019 wurde dann das hier aus der Hansestadt bekannt: Verfassungsgericht stoppt Pflege-Volksbegehren: »Das Hamburgische Verfassungsgericht hat das Volksbegehren gegen den Pflegenotstand für unzulässig erklärt … Die Richter begründeten ihre einstimmige Entscheidung unter anderem mit formalen Gründen: Nach ihrer Überzeugung wurde das Volksbegehren zu stark überarbeitet. Auch inhaltlich verwarf das Verfassungsgericht das Volksbegehren – zum Beispiel, weil es nicht nur mehr Pflegepersonal, sondern auch mehr Reinigungspersonal in Krankenhäusern forderte. Dieses Verknüpfen von zwei Forderungen sei nicht erlaubt. Und noch in einem weiteren, entscheidenden Punkt verwarfen die Richter das Volksbegehren: In erster Linie sei der Bund zuständig, Hamburg könne nicht im Alleingang über die Personalausstattung von Kliniken entscheiden.«

»Von einem „Schlag ins Gesicht der Bevölkerung und der Beschäftigten in den Krankenhäusern“ sprach Kirsten Rautenstrauch nach dem Urteil. Ihre Mitstreiterin Regina Jürgen sagte: „Die Kaltherzigkeit, die aus diesen Begründungen spricht, schockiert mich.“ Tief enttäuscht zeigten sich die beiden Pflegerinnen und Mit-Initiatorinnen des „Hamburger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus“ nach der Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts«, berichtet Marc Hasse in seinem Artikel Pflege-Volksbegehren abgelehnt: „Schlag ins Gesicht“. Und er verweist auf eine zentrale Begründung der Landesrichter, den Verfassungsgerichtspräsidenten Friedrich-Joachim Mehmel zitierend: »Die Regelungen, die der Bund zuletzt zur Bemessung des Pflegepersonals getroffen habe, seien „erschöpfend“, sagte Mehmel. „Die Länder sind nicht berechtigt, eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dort in Anspruch zu nehmen, wo sie eine – abschließende – Bundesgesetzgebung für unzulänglich und deshalb reformbedürftig halten.“«

Nun haben sich zwischenzeitlich am anderen Ende des Landes ebenfalls Menschen auf den Weg gemacht, Maßnahmen gegen den Pflegenotstand in den Krankenhäusern einem Volksbegehren zuzuführen. In Bayern gibt es das Volksbegehren „Stoppt den Pflegenotstand“ an Bayerns Krankenhäusern. Zu den Initiatoren des Volksbegehrens gehören neben der Linken auch SPD, Grüne, Gewerkschaften und Verbände von Ärzten und Pflegekräften. Noch nie in der bayerischen Geschichte war ein Volksbegehren in der ersten Phase so erfolgreich: In nur zwei Monaten haben sich mehr als 100.000 Bürger in die Unterschriftenlisten des Volksbegehrens „Stoppt den Pflegenotstand“ eingetragen. Der wirkliche Bedarf soll bestimmen, wie viele Pflegekräfte eine Station braucht, so die Idee hinter dem Volksbegehren. »Krankenhäuser sollen verpflichtet werden, über ein System zu ermitteln, wie viele Pflegekräfte notwendig sind. Bürokratischer Mehraufwand wäre das den Initiatoren zufolge nicht, da das System schon jetzt in vielen Häusern verwendet werde. Ob sie die Vorgaben einhalten, müssten die Kliniken dann der Staatsregierung berichten. Ist das nicht der Fall, müssten sie einen Plan präsentieren, wie sie die notwendige Zahl an Pflegekräften erreichen könnten«, so Lisa Schnell in ihrem Artikel Gericht entscheidet über Pflege-Volksbegehren. Der Bedarf an mehr Pflegekräften wird dann mit solchen Beispielen illustriert:

»Martina Burer muss gar nicht viel erzählen, es reichen ein paar Zahlen: 46 und zwei etwa. 46 Patienten hat sie bei sich auf der Geriatrie, wo die alten Menschen behandelt werden. Und in der Nacht genau zwei Pfleger, die sich um sie kümmern. Ein Pfleger auf 23 Patienten, das macht: ein Riesenproblem. So lässt sich in Schnellform zusammenfassen, was Burer „Pflegenotstand“ nennt.« Und dann berichtet die 26-Jährige, die in einer Uniklinik in Bayern arbeitet und in Wirklichkeit anders heißt, von typischen Missständen, in diesem Fall von einer Nachtschicht: »Die Ausgangslage: 46 zu zwei, wie immer. Sie haben zu wenig Zeit, wie immer. Da kommt zum ganz normalen Irrsinn noch das dazu, von dem Burer jedes Mal hofft, dass es nicht passiert: ein Notfall. Mehr als eine Stunde lang versuchen sie einen Patienten am Leben zu halten, mit Erfolg. Als Burer ins nächste Zimmer geht, sieht sie, wer sie noch gebraucht hätte: ein Mann liegt auf dem Boden, im Dunkeln, seit einer Stunde, wie sich herausstellt. Was, wenn er nicht nur aus dem Bett gestürzt wäre, wenn es zwei Notfälle in einer Nacht gibt? Wen rettet sie dann?«

»Sie hat einfach keine Zeit. Deshalb liegen sich Patienten in der Nacht wund, deshalb liegen sie lange mit vollen Windeln da und deshalb setzt sie die Leute in diese Stühle. Es sind spezielle Stühle, an deren Vorderseite ein Tisch montiert ist. Wer in ihnen sitzt, ist eingesperrt. Die Patienten können sich nicht mehr bewegen. Wie eine Fixierung. Eigentlich ist es auch eine, sagt Burer, nur werden die Stühle halt offiziell nicht als Fixierung angesehen. So können die Pflegekräfte die Freiheitsrechte der Patienten einschränken und das ohne richterlichen Beschluss. Fünf, sechs Stunden sind die Patienten oft in so einem Stuhl eingesperrt. Manche beruhigen sich, die meisten aber schreien, versuchen auszubrechen, schmeißen mit Dingen um sich.«

Aber wie die Überschrift des Artikels von Lisa Schnell bereits andeutet, werden wir auch hier mit dem gleichen Spiel wie in Hamburg konfrontiert: Die Staatsregierung hat das Volksbegehren nicht zugelassen und nun muss sich der Bayerische Verfassungsgerichtshof mit der Nicht-Zulassung des Volksbegehrens beschäftigen und darüber entscheiden. Wie argumentiert die Staatsregierung?

➞ Dem Land Bayern fehle es an der Gesetzgebungskompetenz, so die Argumentation des bayerischen Innenministeriums – was ja auch das Hamburger Verfassungsgericht herausgestellt hat.
➞ Und das zweite Argument des Ministeriums lautet: Der Bund habe von seiner konkurrierenden Gesetzgebung „abschließend Gebrauch gemacht“. Gemeint ist das Gesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, das für wenige Bereiche Untergrenzen für Pflegekräfte vorsieht.

Über die Tiefen und Untiefen dieser Untergrenzen wurde bereits ausführlich in dem Beitrag Wenn Pflegepersonaluntergrenzen in der Realität zu erheblichen Problemen in vielen Krankenhäusern führen, dann wird der in Zahlen gegossene Pflegenotstand sichtbar. Und was das auch mit einer „Bereinigung“ der Krankenhauslandschaft zu tun haben könnte vom 16. Juni 2019 berichtet. Aus Bayern berichtet Peter Hoffmann, Oberarzt an der Klinik in Harlaching:

»Die Pflegekräfte würden von der einen Abteilung, wo keine Untergrenzen gelten, in eine andere mit Untergrenze verschoben. Und selbst dort werden die Untergrenzen offenbar nicht eingehalten. Im ersten Quartal 2019 wurden sie bei 500 Schichten von 6000 in den Münchner Kliniken unterlaufen. Das zeigt eine Antwort auf eine Anfrage der Linken im Münchner Stadtrat.«

Für den 18. Juni 2019 war nun eine mündliche Verhandlung des Verfassungsgerichtshofes über den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens „Stoppt den Pflegenotstand an Bayerns Krankenhäusern“ angesetzt. Die fand auch statt – aber eine Entscheidung in diesem Verfahren soll nun erst am 16. Juli 2019 verkündet werden. Vgl. dazu Urteil zu Volksbegehren erst im Juli. Offensichtlich hat man sich bei der Anhörung auf die Hamburger Entscheidung bezogen: »Die Vertreter des Innenministeriums machten deutlich, dass sie das Ziel einer guten Versorgung für ehrenhaft hielten – aber das Ministerium und die Richter hätten ausschließlich über die rechtliche Frage zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Volksbegehren gegeben seien. Dies sei nicht der Fall. Denn Bayern habe keinen Spielraum, eigene Personalbemessungsgrundlagen zu beschließen, weil der Bund dies bereits abschließend geregelt habe. Genau aus diesem Grund habe das Hamburger Verfassungsgericht am 7. Mai dieses Jahres ein ähnliches Volksbegehren gestoppt.«

Und eine gute Überleitung zu dem zweiten Thema dieses Beitrags ist dann diese Stellungnahme der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml: »Das neue Pflegepersonal-Stärkungsgesetz des Bundes habe dem Volksbegehren politisch den Boden entzogen, da die Krankenhäuser nun keinen finanziellen Anreiz mehr hätten, am Pflegepersonal zu sparen.«

Damit spielt die Ministerin offensichtlich auf die geplante Herausnehme der Pflegekosten aus dem auf DRGs basierenden Fallpauschalensystem an. Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz hat die Bundesregierung ab dem Jahr 2020 die Einführung eines Pflegebudgets vorgesehen, bei dem die Krankenhäuser hausindividuell die Pflegepersonalkosten mit den Krankenkassen vor Ort verhandeln. Das hört sich einfacher an als es sein wird.

»Die bislang in den Diagnosis Related Groups (DRG; diagnosebezogene Fallgruppen) ein­gepreisten Pflegepersonalkosten sollen zuvor in einem aufwendigen Verfahren aus den einzelnen Fallpauschalen herausgerechnet werden. Da jedes Krankenhaus ein anderes Leistungsportfolio anbietet, ist jedes Haus von dieser Maßnahme in unterschiedlichem Maß betroffen«, kann man diesem Artikel entnehmen: Krankenhäuser haben Angst vor Liquiditätsproblemen. Und dort wird dann der Finger auf eine offene Wunde gelegt:

»Für die Übergangszeit, in der die Verhandlungen über das Pflegebudget noch nicht ab­geschlossen sind, sollen die Krankenhäuser 130 Euro je vollstationärem Belegungstag erhalten. Dadurch sollen Liquiditätsprobleme der Krankenhäuser im kommenden Jahr verhindern werden, wie die Regierungsparteien erklärten.
Aus Sicht der Krankenhaus­direktoren ist dieser Betrag jedoch nicht ausreichend. „Die 130 Euro sind nicht annähernd kostendeckend“, erklärte der Kaufmännische Direktor des Universitätsklinikums Aachen, Peter Asché. Wenn es bei diesem Betrag bleibe, werde es im kommenden Jahr zu einer gigantischen Unterdeckung der Personalkosten kommen. „Ich habe das Gefühl, dass die Tragweite der Auswirkungen dieser Regelung auf die Liquidität der Krankenhäuser überhaupt nicht wahrgenommen wird“, kritisierte Asché.«

Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesell­schaft (DKG), Gerald Gaß, erwartet, dass es zu vielen Schiedsstellenentscheidungen kommen wird und die ersten Budgets insofern erst im Jahr 2021 vorliegen werden.

Das Problem wird auch in diesem Beitrag aufgegriffen: Krankenhäuser sorgen sich um Zahlungsfähigkeit wegen neuer Pflegeentgelte: »Der Klinikverbund Hessen hat vor „erheblichen Liquiditätsproblemen“ für Krankenhäuser gewarnt, wenn zum 1. Januar 2020 die neuen Pflegeentgelte zum Tragen kommen.«

„Gerade Krankenhäuser, die einen hohen Anteil an pflegeintensiven Leistungen haben, werden vor dem Abschluss einer Vereinbarung mit den Krankenkassen durch die vorläufige Abrechnung der Pflegeentgelte weit weniger Einnahmen haben, als sie an Kosten für das Pflegepersonal aufwenden müssen“, so wird Clemens Maurer, Vor­standsvorsitzender des Klinikverbunds Hessen, zitiert. Denn nach den Berechnungen des Klinikverbundes reichten die 130 Euro nicht aus, um die aus den DRG-Fallpauschalen ausgegliederten Pflegekosten zu decken.

„Einerseits werden ab dem 1. Januar 2020 sofort die DRG-Fallpauschalen ohne die vorher darin enthaltenden Kosten für das Pflegepersonal abgerechnet, andererseits wird es lange dauern, bis die Kliniken das Budget für 2020 mit den Krankenkassen vereinbart haben; aufgrund der neu zu verhandelnden Tatbestände und deren Kom­plexität in vielen Fällen bis über das Jahr 2020 hinaus“, so Achim Neyer, stell­vertretender Vorstandsvorsitzender des Klinikverbunds.« Der nachteilige Effekt ist umso stärker, je höher der Anteil der pflegeintensiven Leis­tun­gen ist; er wird also vor allem Bereiche wie Pädiatrie, Geriatrie und Intensivmedizin betreffen.

„Dieser Effekt konterkariert die Zielsetzung des Pflegebudgets, die Pflegepersonal­kos­ten vollständig und auskömmlich außerhalb der Fallpauschalen zu finanzieren“, so Reinhard Schaffert, der Geschäftsführer des hessischen Klinikverbundes. Eine solche Liquiditätslücke könne sich kein Krankenhaus leisten. Bis die Pflegepersonalkosten ausgeglichen seien, drohe vielen Kliniken die Zahlungsun­fähigkeit.

Erneut lernt man: Es ist (und wird) deutlich komplizierter, als sich das so manche Leute vorgestellt haben. Und das Krankenhaus-Management, dass sollte nicht vergessen werden, hat ja auch noch parallel weitere Restriktionen zu bearbeiten, die zu ganz erheblichen Einbrüchen bei den Einnahmen führen können, mann denke hier nur an die Pflegepersonaluntergrenzen oder die Mindestmengenvorgaben im OP-Bereich.

Stürmische Zeiten für nicht alle, aber durchaus viele Krankenhäuser. Die übrigens nicht irgendwelche Produzenten von was auch immer sind, sondern zum Kernbereich der „Daseinsvorsorge“ gehören.

 

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