Herner Sozialforum

Reformen der Grundsicherung im internationalen Vergleich

10. Juli 2019 |

IAB – Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Reformen der Grundsicherung im internationalen Vergleich: neue Wege ja, Systemwechsel nein

In Politik und Öffentlichkeit wird hierzulande seit geraumer Zeit verstärkt darüber debattiert, ob die Grundsicherung für Arbeitsuchende grundlegend reformiert oder gar durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ersetzt werden sollte. Diskussionen, Modellversuche und Reformansätze in diesem Bereich sind auch in anderen Ländern zu beobachten. Der Blick über den nationalen Tellerrand ist daher für die deutsche Reformdebatte äußerst lehrreich.

In der aktuellen Diskussion um die Weiterentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, besser bekannt als Hartz IV, geht es neben der Leistungshöhe und den finanziellen Anreizen zur Aufnahme von Arbeit auch um die Rechte und Pflichten des Einzelnen, das Fördern und Fordern. Ähnliche Diskussionen wie in Deutschland gibt es in anderen Ländern. Denn letztlich geht es um Fragen, die allen bedarfsorientierten Grundsicherungssystemen in Europa gemein sind.

Auch andernorts gilt es, Arbeitsanreize zu erhöhen, die Komplexität der Leistungssysteme zu reduzieren und die Frage zu beantworten, ob Sanktionen zielführend oder kontraproduktiv sind. Und in anderen Ländern wird ebenfalls heftig darum gestritten, ob das bestehende System nicht durch ein leichter zu administrierendes, bedingungsloses Grundeinkommen ersetzt werden sollte.

In der Schweiz war dies vor drei Jahren sogar Gegenstand eines Referendums. Dabei sprach sich eine große Mehrheit von 77 Prozent gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aus. In Finnland wurde jüngst ein zweijähriges Grundeinkommens-Experiment abgeschlossen. Und in den Niederlanden laufen derzeit auf kommunaler Ebene zeitlich begrenzte Experimente, um Antworten auf die Frage zu finden, wie sich das bestehende System verbessern lässt.

Gemischte Erfahrungen mit dem Grundeinkommens-Experiment in Finnland

Führt ein (partielles) bedingungsloses Grundeinkommen zu mehr Beschäftigung und weniger Bürokratie? Um diese Frage zu beantworten, führte Finnland in den Jahren 2017 und 2018 ein Grundeinkommens-Experiment durch. Ebenso wie in Deutschland ist dort das Nebeneinander von konkurrierenden Sozialleistungen wie Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe, Krankengeld, Kinderbetreuungsgeld und Wohngeld äußerst komplex. Das zieht nicht nur hohen bürokratischen Aufwand nach sich, sondern führt auch dazu, dass viele Leistungen gar nicht erst beantragt werden.

Für das Experiment wurden 2.000 Arbeitslose zwischen 25 und 58 Jahren von der finnischen Sozialverwaltung Kela nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Die Teilnehmer erhielten zwei Jahre lang monatlich ein steuerfreies Grundeinkommen – und dies ohne weitere Bedingungen, also unabhängig von möglichem anderen Einkommen und unabhängig davon, ob sie aktiv Arbeit suchten. Aus Kostengründen wurde die individuelle Leistungshöhe auf 560 Euro begrenzt, sie war also für sich genommen in aller Regel nicht bedarfsdeckend.

Die Teilnahme am Experiment war verpflichtend, aber es wurde darauf geachtet, dass niemand finanziell schlechter gestellt werden sollte als zuvor. So wurden zwar eine Reihe von bedürftigkeitsgeprüften Leistungen tatsächlich durch das bedingungslose Grundeinkommen ersetzt. Ansprüche auf Sozialversicherungsleistungen wie Arbeitslosengeld, die 560 Euro überstiegen, wurden aber weiter ausbezahlt. Erwerbseinkommen wurde ebenfalls nicht auf das Grundeinkommen angerechnet.

Die Evaluation konzentrierte sich nicht nur auf die Beschäftigungswirkungen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Experiments, sondern auch auf die Frage, ob sich deren Wohlbefinden und deren Erfahrungen mit der Bürokratie dank des Grundeinkommens verbessern würden.

Bislang liegen nur erste Zwischenergebnisse der Evaluation für das Jahr 2017 vor, endgültige Befunde werden erst Ende 2020 erwartet. Die vorläufigen Auswertungen (siehe Abbildung 1) zeigen keine eindeutigen Hinweise auf einen positiven Beschäftigungseffekt. Im Schnitt waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Jahr 2017, also im ersten Jahr des Experiments, an 49,6 Tagen in Beschäftigung – und damit kaum länger als die Angehörigen der entsprechenden Kontrollgruppe, die zu Jahresbeginn ebenfalls arbeitslos waren. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wurde also bis dato durch das bedingungslose Grundeinkommen weder begünstigt noch konterkariert. Problematisch könnte es möglicherweise auch erst auf längere Sicht werden, wenn sich negative Arbeits- und Bildungsanreize einmal etabliert haben.

Aus einer Befragung im Rahmen der Evaluation geht zudem hervor, dass sich das Wohlbefinden der Teilnehmenden im Mittel verbessert hat. Sie weisen nach eigener Einschätzung etwas weniger Stresssymptome sowie Konzentrations- und Gesundheitsprobleme auf als die Vergleichsgruppe. Die Rücklaufquote bei dieser Befragung war allerdings mit 23 Prozent sehr gering und ist damit nur bedingt aussagekräftig.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Ergebnisse des Experiments in eine etwaige Reform des finnischen Sozialsystems einfließen. Das Experiment hat zwar weltweit eine große Medienaufmerksamkeit auf sich gezogen. Gleichwohl hat die inzwischen abgewählte finnische Regierung die Mitwirkungspflichten in der Grundsicherung weiter verschärft. Unzureichende Eigenbemühungen, die Weigerung, an einer Trainingsmaßnahme teilzunehmen oder einer gemeinnützigen Beschäftigung nachzugehen, führen demnach seit Anfang 2018 zu höheren Leistungskürzungen.

Abbildung 1: Vorläufige ERgebnisse des finnischen Grundeinkommensexperiments

Kommunale Experimente in den Niederlanden

Auch in den Niederlanden wurden die Mitwirkungspflichten verschärft. Seit 2015 ersetzt dort das sogenannte Partizipationsgesetz das alte Sozialhilfegesetz. Sozialhilfeempfänger müssen nun nicht nur aktiv nach Arbeit suchen, sondern grundsätzlich eine Gegenleistung erbringen – in Form einer ehrenamtlichen oder sechsmonatigen gemeinnützigen Aktivität oder eines Praktikums in einem privaten Unternehmen.

Die Kommunen, die für die Umsetzung des Partizipationsgesetzes verantwortlich sind, sollen Sozialhilfeempfängern entsprechende Aktivitäten anbieten. Dies stellt für die Kommunen eine beträchtliche Herausforderung dar, zumal die Zahl der Sozialhilfeempfänger nach der Finanzkrise stark gestiegen war.

Vor diesem Hintergrund machen seit Anfang 2018 einige niederländische Kommunen von der in einem Zusatzartikel des Partizipationsgesetzes geschaffenen Experimentierklausel Gebrauch. Sie testen über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren Ausnahmen von den gesetzlichen Aktivierungsanforderungen. Demnach können die bestehenden Regeln für Aktivierungsverpflichtungen, Hinzuverdienstregeln und Sanktionen gelockert werden. Im Juni 2018 waren davon 3.000 Sozialhilfeempfänger betroffen, also rund ein Prozent aller Sozialhilfeempfänger in den Niederlanden.

In jeder der teilnehmenden Kommunen werden verschiedene Varianten dieses Maßnahmenportfolios erprobt und evaluiert, etwa eine großzügigere Hinzuverdienstregelung – mit und ohne aktive Betreuung durch die Kommunen – oder ein Verzicht auf Sanktionen. Die Ergebnisse der verschiedenen Varianten werden mit denen verglichen, in denen die üblichen gesetzlichen Regelungen angewandt werden.

Als zentraler Erfolgsindikator gilt der Übergang in nachhaltige Beschäftigung. Weitere Ziele betreffen die Verbesserung der Gesundheit, des Selbstmanagements und des Wohlbefindens. Bislang liegen allerdings noch keine Ergebnisse dazu vor, inwieweit mehr Freiräume für die Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe und weniger Zwang die Autonomie und Motivation der Betroffenen tatsächlich stärken und letztlich die Chancen für eine nachhaltige Beschäftigung der Leistungsbeziehenden erhöhen.

Umfassende Leistungsreform im Vereinigten Königreich

Eine Vereinfachung des bestehenden Leistungssystems, mehr Transparenz und die Erhöhung von Arbeitsanreizen sind auch wesentliche Ziele einer umfassenden Leistungsreform im Vereinigten Königreich. Seit 2013 wird dort phasenweise ein „Universal Credit“ (UC) eingeführt.

Die neue bedürftigkeitsgeprüfte Leistung für voraussichtlich sieben Millionen Haushalte, das ist rund ein Drittel aller britschen Haushalte mit Personen im Erwerbsalter, ersetzt sechs bedürftigkeitsgeprüfte Einzelleistungen – Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Wohngeld, Kinder- und Steuergutschriften sowie Grundsicherung bei Erwerbsminderung – durch eine einzige monatliche Leistung pro Haushalt. Der UC wird nicht nur an Beschäftigungslose, sondern auch an Menschen gezahlt, die einer Arbeit nachgehen, wenn deren Erwerbseinkommen allein nicht den Bedarf des Haushalts deckt („Aufstocker“).

Mit der neuen Leistung sollen mehr Menschen als bisher, einschließlich vieler Partner bei Paaren mit Kindern, nicht nur finanziell besser gestellt, sondern auch stärker aktiviert werden. Auf der einen Seite wurden deshalb die finanziellen Anreize zur Arbeitsaufnahme erhöht („Fördern“): Von jedem verdienten Pfund verbleiben 37 Pence oberhalb eines Freibetrages anrechnungsfrei. Neu ist, dass durch eine degressiv ausgestaltete Transferentzugsrate zudem die finanziellen Anreize für eine Ausweitung der Arbeitszeit gestärkt werden. Auf der anderen Seite („Fordern“) wurden beispielsweise die Sanktionsregeln verschärft. Im äußersten Fall kann die Leistung sogar vollständig für drei Jahre gestrichen werden.

Aufgrund der schleppenden Implementierung können die Wirkungen des UC bislang kaum beurteilt werden. Bis Oktober 2018 erhielt erst eine Million Haushalte die neue Leistung; der Rückstand bei der Umsetzung beträgt schon jetzt sechs bis sieben Jahre. Grund für die Verzögerung sind vor allem informationstechnische Probleme.

Arbeitsmarktperspektiven für Grundsicherungsbeziehende im Ländervergleich

Ein zentrales Motiv für die Weiterentwicklung der bestehenden Sozialleistungssysteme ist die Verbesserung der Arbeitsmarktperspektiven für Grundsicherungsbeziehende. Im Vergleich mit Finnland, den Niederlanden und Großbritannien hat Deutschland aktuell die niedrigste Arbeitslosenquote (siehe Abbildung 2). Die Arbeitslosigkeit ist hierzulande seit Einführung der Grundsicherung im Jahr 2005 nahezu kontinuierlich gesunken und auch die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich im internationalen Vergleich sehr günstig entwickelt (siehe Abbildung 3).

Wenngleich unter Experten nicht unumstritten, zeigen zahlreiche Studien, darunter eine als IAB-Discussion Paper 3/2019 publizierte Untersuchung des IAB, dass die sogenannten Hartz-Reformen einen Beitrag zu dieser postiven Arbeitsmarktentwicklung geleistet haben. Geprägt wird die Reformdebatte aber eher durch die nach wie vor bestehenden Probleme und Schwächen des Grundsicherungssystems.

Abbildung 2: Entwicklung der Arbeitslosigkeit im LÄndervergleich, 2005 bis 2017

Abbildung 3: Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit im Ländervergleich, 2005 bis 2017

Häufige Wechsel zwischen Erwerbslosigkeit und kurzzeitiger Beschäftigung

Angesichts der verbesserten Lage auf dem Arbeitsmarkt nehmen heute Diskussionen um Verteilungsgerechtigkeit, Niedriglohnbeschäftigung und Nachhaltigkeit von Beschäftigungsverhältnissen einen größeren Raum ein als zu Beginn des Jahrtausends – also zu Zeiten sehr hoher, tendenziell steigender Arbeitslosigkeit.

Zwar gelingt es seit Jahren, eine hohe Zahl von Grundsicherungsbeziehenden in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Zum Abbau der Hilfebedürftigkeit trägt dies jedoch kaum bei. Bei etwa der Hälfte der circa eine Million jährlich neu aufgenommenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse wird der Leistungsbezug nicht beendet. Es handelt sich überwiegend um Beschäftigung im Niedriglohnbereich, die häufig nicht für den Bedarf eines ganzen Haushalts ausreicht. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass ein hoher Anteil der Beschäftigung in Teilzeit erfolgt, wie eine im IAB-Kurzbericht 2/2018 publizierte Analyse deutlich macht.

Die neu aufgenommenen Beschäftigungsverhältnisse sind zudem vielfach nicht stabil: Nur etwa 60 Prozent aller Leistungsbeziehenden, die eine Beschäftigung aufgenommen haben, sind nach einem Jahr noch beschäftigt. Der häufige Wechsel zwischen Erwerbslosigkeit und kurzen Beschäftigungszeiten mit geringem Verdienst ist ein Problem, das nicht nur Deutschland, sondern auch andere europäische Länder wie Großbritannien betrifft. Den wenigsten Grundsicherungbeziehenden gelingt der nachhaltige Aufstieg. Wie ein groß angelegtes, zwischen 2003 und 2007 durchgeführtes, soziales Experiment in Großbritannien zeigt, kann die Aufwärtsmobilität von langzeitarbeitslosen Leistungsbeziehenden durch eine Kombination aus Beratung nach der Einstellung und zeitlich befristeten Lohnzuschlägen zumindest in begrenztem Umfang gefördert werden.

Bürokratieabbau und Anreizprobleme als Reformmotiv

Die Frage, wie Leistungen unbürokratisch und anreizkompatibel erbracht werden können, eint die Reformdebatte in den verschiedenen Ländern. Die Ermittlung von Leistungsanspruch und Leistungshöhe ist auch andernorts mit einer detaillierten Überprüfung von Vermögen, Einkommen, Haushaltskonstellationen und Bedarfen verbunden. Der Abbau der damit verbundenen Bürokratie war daher ein zentrales Motiv der Grundeinkommens-Experimente in Finnland und den Niederlanden. Großbritannien fasst mit dem Universal Credit ebenfalls zahlreiche Sozialleistungen in einer Transferleistung zusammen, um die Wechselwirkungen schlecht aufeinander abgestimmter Sozialleistungen zu begrenzen.

Die Reformvorschläge zur deutschen Grundsicherung zielen in eine ähnliche Richtung. Es geht auch hierzulande darum, Bürokratie abzubauen und Arbeitsanreize zu erhöhen. Das Problem: Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, können ihr Haushaltseinkommen durch Erwerbsarbeit nur wenig steigern. Wie unter anderem im IAB-Kurzbericht 2/2018 ausgeführt, wird ein erheblicher Teil des Hinzuverdienstes angerechnet. Gleiches gilt, wenn Wohngeld und Kinderzuschlag parallel bezogen werden.

Eine Debatte über eine Reduzierung von Transferentzugsraten und eine bessere Abstimmung der Leistungen mit dem Ziel, hohe Grenzbelastungen zu vermeiden, ist bereits im Gange und hat sich unter anderem in der Reform des Kinderzuschlags niedergeschlagen. Neben anderen Neuerungen wurden die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Leistungsbeziehende verbessert. Um Erwerbstätige im unteren Einkommensbereich wirklich besserzustellen, sind jedoch weiterführende Schritte notwendig.

Fazit

Die Reformdebatte in Deutschland ähnelt den Diskussionen in anderen europäischen Ländern wie Finnland, den Niederlanden und Großbritannien. Trotz verschiedener Experimente zur Vereinfachung der Leistungssysteme ist in Europa bislang kein Paradigmenwechsel hin zu einer bedingungslosen Grundsicherungspolitik auszumachen.

Eine vollständige Abkehr von bestehenden Formen sozialer Sicherung wäre mit hohen fiskalischen Kosten verbunden und würde neue Verteilungsfragen aufwerfen (lesen Sie hierzu im IAB-Forum auch den Serien-Beitrag „Das Solidarische Grundeinkommen wäre der falsche Weg“ von Joachim Wolff). Deshalb konzentrieren sich die europäischen Wohlfahrtsstaaten bislang auf Reformen innerhalb der bestehenden Sozialleistungssysteme und versuchen, diese so weiterzuentwickeln, dass bestehende Schwächen beseitigt werden. Die betrachteten Länder wenden sich dabei jedoch nicht vom Aktivierungsansatz ab. Teils wurden Anforderungen an die Leistungsempfänger und Sanktionsmöglichkeiten sogar verschärft.

Stärker als in anderen Ländern wird die Reformdebatte hierzulande zudem unter Gerechtigkeitsaspekten geführt. Der deutsche Sozialstaat Bismarck’scher Prägung orientiert sich traditionell stärker am Prinzip der Statussicherung als am Prinzip der Armutsvermeidung. Daran knüpft sich vielfach die Erwartung, dass Lebensleistung entsprechend honoriert werden sollte. Dies verträgt sich nach Ansicht vieler nicht mit der Tatsache, dass Arbeitslose bereits nach zwölf Monaten in die Grundsicherung rutschen und dann jede zumutbare Tätigkeit annehmen müssen.

Dies schürt denn auch nicht unerhebliche Abstiegsängste in der Mitte der Gesellschaft, obwohl die Zahl der Übergänge aus dem Arbeitslosengeld I in die Grundsicherung gering ist. Arbeitslose, die zuvor Arbeitslosengeld I bezogen haben, spielen mit einem Anteil von weniger als zehn Prozent an allen Zugängen in die Grudnsicherung tatsächlich nur eine geringe Rolle, wie die Statistik der Bundesagentur für Arbeit ausweist. Werden die Arbeitslosen hinzugezählt, die bereits vorher ihr Arbeitslosengeld mit Arbeitslosengeld II aufstocken mussten, sind es knapp 14 Prozent.

Die zur Diskussion stehende flächendeckende Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wäre ein riskanter Blindflug. Reformbedarf ist allerdings gegeben. Die Entwicklung regionaler und zeitlich begrenzter Experimente wäre hingegen auch hierzulande eine Möglichkeit, um alternative Aktivierungsansätze zu erproben.

Es liegen bereits eine Reihe von Vorschlägen auf dem Tisch. Auch das IAB hat Vorschläge zur Reform des Transfersystems im unteren Einkommensbereich entwickelt (lesen Sie hierzu im IAB-Forum den Serien-Beitrag „Mehr Arbeitsanreize für einkommensschwache Familien schaffen“). Dabei geht es um eine bessere und einfachere Gestaltung der Hinzuverdienstregelungen und darum, Transferleistungen wie Wohngeld, Kinderzuschlag und Maßnahmen der Arbeitsförderung in einer Leistung zu bündeln, um die Zahl der Schnittstellen zu verringern.

Außerdem sollte geprüft werden, ob gewisse Abstriche beim Ziel einer möglichst schnellen Arbeitsmarktintegration hingenommen werden müssen, wenn zugleich das Ziel einer möglichst hohen Beschäftigungsqualität erreicht werden soll.

Eine Reihe entsprechender Reformen wurde von der derzeitigen Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht. Mit dem Teilhabegesetz wird beispielsweise die Förderung der Teilhabe durch subventionierte Beschäftigung für sehr arbeitsmarktferne Grundsicherungsempfänger weiter ausgebaut.

Mit dem Qualifizierungschancengesetz setzt die Bundesregierung zudem künftig stärker auf das Fördern durch soziale Investitionen für breitere Bevölkerungsgruppen, die Beschäftigte mit einbeziehen. Da die Weiterbildungsbeteiligung von Geringqualifizierten unterdurchschnittlich ist, wie beispielsweise ein 2018 erschienener Beitrag von Christoph Osiander und Gesine Stephan im IAB-Forum zeigt, bleibt aber abzuwarten, in welchem Umfang Geringqualifizierte, die Grundsicherungsleistungen beziehen, künftig mehr Qualifizierungsangebote wahrnehmen.

Literatur

Betzelt, Sigrid; Bode, Ingo (2017): Angst im Sozialstaat – Hintergründe und Konsequenzen. WISO Direct 38.

Brewer, Mike; Finch, David; Tomlinson, Daniel (2017): Universal Remedy. Ensuring Universal Credit is fit for purpose. Resolution Foundation Report.

Bruckmeier, Kerstin; Hohmeyer, Katrin (2018): Arbeitsaufnahmen von Arbeitslosengeld-II-Empfängern: Nachhaltige Integration bleibt schwierig. IAB-Kurzbericht Nr. 2.

Bruckmeier, Kerstin; Mühlhan, Jannek; Peichl, Andreas (2018): Mehr Arbeitsanreize für einkommensschwache Familien schaffen. In: IAB-Forum, 24.1.2018.

Dorsett, Richard (2014): The effect of temporary in-work support on employment retention: evidence from a field experiment. Labour Economics, Volume 31, S. 61–71.

Groot, Loek; Muffels, Ruud; Verlaat Timop (2018): Welfare States’ Social Investment Strategies and then Emergence of Dutch Experiments on a Minimum Income Guarantee. Social Policy & Society,  S. 1–11.

Hochmuth, Brigitte; Kohlbrecher, Britta; Merkl, Christian; Gartner Hermann (2019): Hartz IV and the decline of German unemployment: A macroeconomic evaluation. IAB-Discussion Paper No. 3.

Osiander, Christopher; Stephan, Gesine (2018): Gerade geringqualifizierte Beschäftigte sehen bei der beruflichen Weiterbildung viele Hürden. In: IAB-Forum, 2.8.2018.

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2018): Berichte: Analyse Arbeitsmarkt. Grundsicherung für Arbeitsuchende (Monatszahlen). Dezember.

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