„Starke-Familien-Gesetz“: Erleichterungen beim Verfahren – Stadt Herne informiert immer noch nicht über Gesetzesänderungen ! Ein Beitrag aus Bochum zum Thema

Ein Beitrag aus Bochum zur sozialkulturellen Existenzsicherung unserer Kinder

Arme-Kinder-Gesetz: Teilhabe impossible


von Norbert Hermann, Bochum Prekär Quelle: bo alternativ 
Zum 1. August sind verschiedene Verbesserungen des „Bildungs- und Teilhabepaketes“ (BuT) für Kinder armer Eltern in Kraft getreten. Alles in allem kann das durchschnittlich 20 – 50 Euro monatlich ausmachen. Viel Geld für arme Menschen. Aber nicht einmal ausreichend um die Preisentwicklung auszugleichen, schreibt der Paritätische (1). Ob die Hilfen tatsächlich bei den Kindern ankommen, hängt auch sehr von der Umsetzung durch die Verwaltung ab. Dabei hat sich Bochum in der Vergangenheit nicht besonders hervorgetan. Die Verbesserungen sind enthalten in dem euphemistisch so genannten „Starke-Familien-Gesetz“. Berechtigt für die Leistungen des „Bildungs- und Teilhabepaketes“ sind Familien, die Hartz IV-Leistungen oder Sozialhilfe, den auch gerade neu gestalteten „Kinderzuschlag“ zur Vermeidung von Hartz IV-Abhängigkeit (2), Wohngeld oder Grundleistungen des AsylbLG erhalten. Die Schulausstattungspauschale wurde auf magere 150 Euro im Jahr erhöht, der Eigenanteil für die Schulverpflegung und die Schüler*innenfahrkarte ist weggefallen, der Betrag für soziale „Teilhabe“ (Sport, Musik, Kultur, Ferienfreizeiten …) wurde auf beschämende 15 Euro im Monat erhöht, die jetzt pauschal monatlich überwiesen werden. Im Bedarfsfall kann es eine (verbesserte) Lernförderung und Nachhilfe geben.

Erleichterungen gibt es bei der Verfahrensweise: Im Rechtskreis Hartz IV gelten diese Leistungen (mit Ausnahme der Lernförderung) bereits mit dem Grundantrag als mitbeantragt. Für alle anderen sieht die Gesetzeslage einen gesonderten Antrag vor. Hier verhält sich die Stadt Bochum pragmatisch und verzichtet auch bei Menschen, die Leistungen der Sozialhilfe oder des AsylbLG erhalten, auf eine gesonderte Beantragung (3).Das führt zu einer immensen Bürokratieerleichterung für Schulen und Sachleistungserbringer (z.B. Caterer). Wurde ein Mal die Berechtigung durch Vorlage des Bescheides nachgewiesen, so können sie im Weiteren direkt und en bloc mit der Stadt abrechnen.Für die Betroffenen ändert sich dadurch aber wenig: Entstehen individuelle (zusätzliche) Bedarfe, so muss das natürlich der zuständigen Behörde angezeigt („beantragt“) werden. Solche Anträge müssen auch entgegengenommen und beschieden werden. Werden sie abgelehnt, so steht der Rechtsweg offen. Neue Formulare, so die Stadtverwaltung, sind in Arbeit. Etwas erleichtert ist die Möglichkeit, in Vorleistung zu treten und die Erstattung nachträglich zu beantragen.

Die Stadt Hamm kann es noch besser: Dort erhalten die Kinder eine Flatrate-Karte (die „Youcard“). Die Leistungserbringer buchen einfach ab. Sie erreichen damit über 95 Prozent der Anspruchsberechtigten (4). Bochum liegt bei der Bildungsförderung im schlechten Mittelfeld, bei Teilhabeleistungen unten.

Von den Verursacher*innen wie der Verwaltung des Elends wurde das „Arme-Familien-Gesetz“ als großer Wurf gefeiert: Bochum als „Talentschmiede des Ruhrgebiets“. Die Wahrheit sieht anders aus: etwa 14.400 Kinder unter 18 Jahren in Bochum sind arm (6). Die Meisten mit dem diskriminierenden Stempel des sog. „Migrationshintergrundes“. Die Zahlen steigen stetig, jedes Jahr kommen durchschnittlich 500 dazu. Sie werden auch immer ärmer, weil die Regelsatzerhöhungen nicht einmal die Preissteigerungen ausgleichen (1). Die Anzahl armer Familien ist auch höher als angegeben, wie Bochumer Wissenschaftler*innen Anfang 2018 feststellten (7). So werden in der Statistik Kosten der Kinder unter 15 Jahren realitätsfern als 0,3 Erwachsene berechnet, ältere Kinder als 0,5 Erwachsene. Tatsächlich, so Volkes Mund, „fressen Kinder einem die Haare vom Kopp“.

Das ist alles hinlänglich bekannt. Bereits 2007 haben rund 40 Arbeitsloseninitiativen eine Kampagne zum Thema „ALG II und Kinderarmut“ durchgeführt, an deren Ende fünf Jahre später besagtes „Bildungs- und Teilhabepaket“ stand (8). Seit dem hat sowohl die Zahl der Armen wie der Grad der Armut zugenommen. Das wissen alle

Es ist ein Skandal. Ein ungleich größerer Skandal ist aber, dass es niemanden interessiert, auch insbesondere die Parteien und Verbände nicht, die das Logo „sozial“ im Schilde tragen, wie es Tobias Riegel bei den „Nachdenkseiten“ beklagt (9). Auch in Bochum fehlt das Interesse ebenso wie die fachliche und sachliche Kompetenz. Die Stadt Bochum übt sich in schönen Reden: “ Bochum will Armut in der Stadt ganz konkret bekämpfen“ (10). Was aber natürlich nichts kosten darf, im Gegenteil, es wird noch auf Kosten der Ärmsten gespart.

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Quellenangaben:

(1) Kinderarmut: Paritätische Studie belegt wachsende soziale Ungleichheit in Deutschland – Pressemeldung vom 1. August 2019
https://www.der-paritaetische.de/presse/kinderarmut-paritaetische-studie-belegt-wachsende-soziale-ungleichheit-in-deutschland/
Die Studie: https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/expertise-konsumausgaben-2019.pdf

(2) DGB: Informationen für Eltern (16.07.2019)
Neuer Kindergeldzuschlag: Mehr Geld für die Haushaltskasse
https://www.dgb.de/themen/++co++d0f666b4-a7d5-11e9-8260-52540088cada

(3) Stadt Bochum: PM Änderungen beim „Bildungs- und Teilhabepaket“
https://www.bochum.de/C125708500379A31/vwContentByKey/W2BEKAAJ633BOCMDE/nav/966HKK875BOCM?open

(4) Bildungsleistungen für arme Kinder: Hamm bundesweit vorn
https://www.wa.de/hamm/bildungsleistungen-arme-kinder-hamm-bundesweiter-spitzenreiter-erfolgsmodell-youcard-10381687.html
https://www.wa.de/hamm/10500-kinder-profitieren-hamm-youcard-nachhilfe-klassenfahrten-10220319.html
https://www.hamm.de/bildungspaket.html

(5) Bochum: Jahresberichte der Kinder- und Jugendhilfe
https://www.bochum.de/C125708500379A31/vwContentByKey/W29YF8XQ743BOCMDE?open&MCL=738BZC866BOLD

(6) Kinder in SGB II-Bedarfsgemeinschaften – Kreis-, Großstadt- und Ländervergleich 2018 – neu berechnet (vom 03.08.2019)
http://biaj.de/archiv-materialien/1259-kinder-in-sgb-ii-bedarfsgemeinschaften-kreis-grossstadt-und-laendervergleich-2018-neu-berechnet.html

12.489 Mädchen und Jungen haben Ende 2017 von Hartz IV gelebt.
… Zum Vergleich: Ende 2014 waren es erst 10.300 Kinder.
https://www.waz.de/staedte/bochum/12-489-arme-kinder-unter-15-jahren-leben-in-bochum-id215986849.html

(7) Viele Familien ärmer als bislang gedacht
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/pid/viele-familien-aermer-als-bislang-gedacht/

(8) Kampagne „Reiches Land – Arme Kinder”
https://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/aktuelles/d/n/1588/

(9) Die Kinderarmut und der Skandal der ausbleibenden Konsequenzen
von: Tobias Riegel – https://www.nachdenkseiten.de/?p=53931 und:
Telepolis: Armut als Schicksal? – 01. August 2019, von Thomas Pany
Studie: Gleichberechtigtes Aufwachsen für Kinder nicht möglich
https://www.heise.de/tp/features/Armut-als-Schicksal-4486691.html

(10) Bochum will Armut in der Stadt ganz konkret bekämpfen
https://www.waz.de/staedte/bochum/bochum-will-armut-in-der-stadt-ganz-konkret-bekaempfen-id226384433.html
https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=Bochum+will+Armut+in+der+Stadt+ganz+konkret+bek%C3%A4mpfen

Mülheim will auch: https://www.waz.de/staedte/muelheim/gruene-spd-und-cdu-wollen-kinderarmut-in-muelheim-bekaempfen-id226458133.html – wer noch?

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Rechtsgrundlagen:
SGB II Stand 31.07.2019
Zuletzt geändert durch Art. 3 G v. 29.4.2019 („Starke-Familien-Gesetz“)
Relevante Paragrafen: 28; 29; 36; 37
Änderung durch Art. 4 G v. 8.7.2019 I 1025 (Nr. 26) („Gesetz zur Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes“) mWv 1.8.2019 textlich nachgewiesen, dokumentarisch noch nicht abschließend bearbeitet
Änderung durch Art. 5 G v. 11.7.2019 I 1066 (Nr. 27) („Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch“) mWv 18.7.2019 textlich nachgewiesen, dokumentarisch noch nicht abschließend bearbeitet
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/  oder
https://www.buzer.de/gesetz/2602/index.htm

SGB XII Stand 31.07.2019
Zuletzt geändert durch Art. 4 G v. 29.4.2019 („Starke-Familien-Gesetz“)
Relevante Paragrafen: 34; 34a; 40; 42b; 98
Hinweis: Änderung durch Art. 2 G v. 8.7.2019 I 1029 (Nr. 26) mWv 1.8.2019 textlich nachgewiesen, dokumentarisch noch nicht abschließend bearbeitet
Mittelbare Änderung durch Art. 7 G v. 29.4.2019 I 530 ist berücksichtigt
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_12/ oder
https://www.buzer.de/gesetz/3415/index.htm

Bundeskindergeldgesetz (BKGG) Stand 31.07.2019
Zuletzt geändert durch Art. 2 G v. 29.4.2019 I 530 (s.o.)
Hinweis: Änderung durch Art. 15 G v. 11.7.2019 I 1066 (Nr. 27) mWv 18.7.2019 textlich nachgewiesen, dokumentarisch noch nicht abschließend bearbeitet (s.o.)

https://www.gesetze-im-internet.de/bkgg_1996/

Starke-Familien-Gesetz_19-04-29
https://www.bmfsfj.de/blob/jump/135830/bgbl-starke-familien-gesetz-data.pdf oder
https://www.buzer.de/Starke-Familien-Gesetz.htm oder
https://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Harald_2019/StaFamG.pdf

Gesetzentwurf und Begründung der Bundesregierung
https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Gesetze/starke-familien-gesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Beschlussempfehlung und Bericht zum StaFamG vom 20.03.2019
dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/086/1908613.pdf

AsylbLG (08.03.2019): § 6 (Sonstige Leistungen), § 6a (Erstattung von Aufwendungen anderer)
https://www.gesetze-im-internet.de/asylblg/

Praktische Zusammenstellung der entsprechenden Gesetzesauszüge:
https://harald-thome.de/fa/redakteur/Harald_2019/Gesetzestext_BuT_im_SGB_II-SGB_XII-BKGG_ab_01.08.2019.pdf
Aber beachten: Nicht auf dem aktuellen Stand!

SGB II: Es fehlt in § 29 Abs 1 Satz 1 die Ziffer 3: Geldleistungen; Es fehlen auch die Absätze 4 (Erbringung von Geldleistungen monatlich oder nachträglich) und 6 (Sammelabrechnung durch Schulen, ggf. Abschlagszahlungen), Abs. 4 wird zu Abs. 5.

SGB XII: § 34 Abs 3a (jährliche Anpassung) scheint weggefallen zu sein; allerdings wird im SGB II noch Bezug darauf genommen.

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Zahlen für Bochum:

Bochum: Sozialberichtserstattung
https://www.bochum.de/sozialberichterstattung

Bochum: Jahresberichte der Kinder- und Jugendhilfe
https://www.bochum.de/C125708500379A31/vwContentByKey/W29YF8XQ743BOCMDE?open&MCL=738BZC866BOLD

Alle Poster der zefir-Ruhrgebietstagung 2018
http://www.zefir.ruhr-uni-bochum.de/mam/content/zefir_ruhrgebietstagung_alle_poster.pdf

Auf die Adresse kommt es an
http://www.zefir.ruhr-uni-bochum.de/mam/content/kerstinggroos_2015_auf_die_adresse_kommt_es_an.pdf

Arbeitsmarkt im Überblick – Juli 2019 – Bochum, Agentur für Arbeit

Ausbildungsmarkt – Berichtsmonat Juli 2019 – Bochum, Agentur für Arbeit
(unversorgte/nicht vermittelte Bewerber       1.216)
https://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statistik/Statistik-nach-Regionen/BA-Gebietsstruktur/Nordrhein-Westfalen/Bochum-Nav.html

12.489 arme Kinder unter 15 Jahren leben in Bochum
12.489 Mädchen und Jungen in dieser Altersklasse haben Ende 2017 von Hartz IV gelebt. Das geht aus dem jüngsten Sozialbericht der Stadt hervor. Zum Vergleich: Ende 2014 waren es erst 10.300 Kinder.

In Sachen Kinderarmut etwa liegen Welten zwischen Stiepel, wo 3,2 Prozent der Kinder unter 15 Jahren von Hartz IV leben, und Wattenscheid-Mitte (45,6 Prozent).

https://www.waz.de/staedte/bochum/12-489-arme-kinder-unter-15-jahren-leben-in-bochum-id215986849.html

oder hier:

https://www.ikz-online.de/staedte/bochum/12-489-arme-kinder-unter-15-jahren-leben-in-bochum-id215986849.html

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