„Es sind nicht die Faschisten in der Maske der Faschisten, die zu fürchten sind, es sind die Faschisten in der Maske besorgter Bürger, die zu fürchten sind.“

Franz-Josef Strzalka (rechts) bei der Vorbereitung der Fahrradtour für den Frieden mit den Weggefährten Jörg Höhfeld (links) und Guntram Lange

Rede von Franz-Josef Strzalka auf der Kundgebung des Herner Bündnisses

am Dienstag, den 29. Oktober 2019

 

Ich darf Euch/Sie heute ganz herzlich im Namen des Herner Sozialforums begrüßen. Mein Name ist Franz-Josef Strzalka. Ich arbeite im Arbeitslosenzentrum Herne e. V. Ich vertrete die Katholische Kirche im Sozialforum und bin einer der vier Sprecher des Sozialforums.

Das Herner Sozialforum ist ein partei- und organisationsübergreifendes Bündnis bzw. Netzwerk unterschiedlicher  Gruppen, Verbände, Parteien und Einzelpersonen.  Das Forum hat sich zur Aufgabe gesetzt, soziale Fragen in den Blick zu nehmen und einen übergreifenden Austausch darüber zu ermöglichen. Neben Meinungsaustausch und Diskussion finden regelmäßig Aktionen und Veranstaltungen, wie z. B. Sozialkonferenzen, statt.

Man muss es immer wieder an diese Stelle zu Bewusstsein bringen. Bei denen, denen unsere Gegendemonstration gilt, handelt es sich nicht um Bürger, die besorgt sind. Den Kern derer, die dort laufen, bilden bekannte Neonazis, rechte Hooligans, rechte Rocker, Kampfsportler und Türsteher. Es geht im Endeffekt darum über Bürgerwehren und Vigilantismus auf Dauer eine rechtsradikale und gewalttätige Bewegung zu installieren bzw. zu reaktivieren. Flucht und Asyl wird zum Anlass genommen, offen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus zu propagieren.

Das sei allen denen noch einmal deutlich gesagt, die glauben, dort mitlaufen zu müssen.

Die Forschung zeigt, der Kern von Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus ist Autoritarismus, ein Gefüge aus klaren Hierarchien, Befehl und Gehorsam und eng gefassten Regeln, wie z.B. harten Strafen, unnachgiebiger Erziehung.

Die Forschung, die sich mit Autoritarismus befasst, zeigt, wer nicht geliebt wird, der hasst. Wer nicht geliebt wird, fühlt sich unsicher und weiß nicht, wo sein Platz ist in dieser Welt. Wer nicht geliebt wird, hat keine innere Heimat. Wer nicht geliebt wird, weiß nicht wer er ist. Wer nicht geliebt wird, bildet keine Stärken aus.

Und der, der sich innerlich nicht stark fühlt, zeigt sich umso mehr nach außen stark, ist umso empfänglich für autoritäre Führung und Gefolgschaft. Für den, der Gewalt erfahren hat, sind Einschüchterung und Gewalt Mittel der Konfliktlösung.

Wer sich nicht stark fühlt, strebt nach Überlegenheit und Kontrolle.

Das was autoritäre Führer und autoritäre Gefolgschaft eint, sind Abwertung und Vorurteile gegenüber denen, die nicht zur eigenen Hierarchie gehören – Fremde, Migranten, Juden, Wohnungslose, Homosexuelle, auch Frauen.

Sich stark machen, die eigenen Person aufwerten auf Kosten der Abwertung anderer, das ist die Dynamik, die sowohl für den Neo-Nazi in Springerstiefeln als auch den rechtspopulistischen Politiker gilt.

Jetzt kann man einwenden. Was interessiert mich die Psychologie der Täter?

Damit ich nicht falsch verstanden werde. Es geht nicht etwa um Verständnis oder gar Entlastung von Schuld, keinesfalls, sondern um Verstehen und Begreifen von etwas, das sich in Europa, aber auch darüber hinaus in beängstigende Weise verbreitet.

Mediziner wissen: Man muss eine Krankheit sehr genau kennen, um zu wissen, ob sie ansteckend ist, falls sie ansteckend ist, wie sie sich verbreitet, ob sie zur Epidemie wird, wer im Einzelnen in erster Linie von ihr befallen wird. Von daher kann es hilfreich sein, ist es möglicherweise unerlässlich zu begreifen, wer warum hetzt und pöbelt, sich rechtspopulistisch aufstellt oder rechtspopulistisch wählt.

Man kann sich ferner fragen:

Wie konnte der weltweite Rechtsruck entstehen? Warum keimt der Rechtspopulismus gerade jetzt auf? Und wie können wir ihn aufhalten? Also, wie kommt es zur Epidemie, und was können wir machen, wie können wir sie eindämmen?

Dass wir hier zusammenstehen und demonstrieren, ist ein ganz wichtiger Schritt, ein wichtiges Zeichen.

Aber es ist mehr notwendig.

Rechtspopulismus und autoritäre Strukturen finden ihren Nährboden in einer für viele unsicher gewordenen Welt. Da ist die Globalisierung mit ihren Folgen, die Digitalisierung, die Umbrüche in der Arbeitswelt, die Verdichtung der Arbeit, Arbeitslosigkeit, unsichere Arbeitsverhältnisse, prekäre Beschäftigung, die Verlagerung von Macht auf anonyme Märkte. Und nicht zuletzt ist da das neoliberale Modell, das die persönliche Absicherung viel stärker zu einer Sache der Eigeninitiative macht.

Die alten Fragen stehen im Raum: Wer sichert mich? Wo ist mein Platz in dieser Gesellschaft?

Die Fragen belasten vor allem die, die in der globalisierten Welt weniger gute Karten haben, die nicht mehr gefragt sind. Für sie kann das Versprechen von kleineren, sicheren Einheiten, klaren Grenzen, von Heimat verlockend sein.

Die nicht mehr Gefragten sind häufig auch die nicht mehr gehörten.

Für die nicht mehr Gehörten kann es attraktiv sein, wenn dann endlich doch der vermeintliche „Wille des Volkes“ gehört wird.

Wer gesellschaftlich nicht gehört wird, politisch sich nicht mehr vertreten fühlt, dem bedeutet möglicherweise auch die Demokratie nichts mehr. Warum noch zur Wahl gehen? Oder jetzt doch zur Wahl gehen und den Mächtigen, die sowieso nur ihr Ding machen, einen Denkzettel verpassen?

Wer nicht gehört wird, wird hörig.

Es ist eigentlich unglaublich, dass mit einem Mal die Demokratie infrage gestellt wird. Noch vor einigen Jahren wäre dies völlig absurd gewesen.

In den Vereinigten Staaten spricht der Rechtspopulist Trump angesichts eines möglichen Amtsenthebungsverfahrens  von „Landesverrat“ und „Bürgerkrieg“.

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dürfen nie zur Disposition stehen. Das Recht kann nicht jeder in seine eigene Hand nehmen. Gewalt ist nicht das Mittel um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Die Wahrheit ist nicht im Besitz eines einzelnen oder einer Gruppe. Demokratischer Diskurs und Kompromiss sind unverzichtbar.

Die Hard-Core-Nazis und Rechten sind wahrscheinlich nicht mehr zurückgewinnen oder zu überzeugen. Wir werden sie nicht als Ersatzeltern in eine offene, bunte Gesellschaft zurücklieben können. Eine rationale Debatte mit Nazis, Rassisten oder hate groups zu führen, würde bedeuten ihnen zu viel Respekt zu erweisen. Hier muss die demokratisch-rechtsstaatliche Gemeinschaft konsequent rechtsstaatlich handeln.

Darüber hinaus können wir aber den Rechtspopulisten das Terrain streitig machen, den Boden entziehen, indem wir uns für eine bessere Gesellschaft, für eine bessere Welt einsetzen. Hass, Vorurteil, Intoleranz und Gewalt dürfen keinen Nährboden bekommen. Wir können, um im Bild der Medizin zu bleiben, Bedingungen schaffen, die der Ausbreitung der Epidemie entgegenwirken. Wir können für eine Welt kämpfen, in der die Vernunft Maßstab ist und die Losung von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ anstelle des Gesetzes des Stärkeren steht.

Eine Welt der Aufklärung, eine Welt, in der wir wieder um Fakten ringen und den Andersdenkenden nicht mit dem Schlagwort „Fake News“ mundtot machen.

Wir können für eine bessere Welt kämpfen, für eine anständige Welt, die der Jugend eine Zukunft und den älteren Menschen Sicherheit gewährt, an der jeder durch gute auskömmliche Arbeit an der Gesellschaft mitwirken kann. Die der Andersartigkeit mit Toleranz begegnet.

Wir sind durch unsere Smartphones kommunikativ miteinander vernetzt, aber sind es auch unsere Herzen? Wir sprechen zu viel, aber wieviel fühlen wir? Roboter arbeiten und denken für uns. Demnächst treffen sie für uns Entscheidungen und pflegen uns, wenn wir alt sind. Wir werden immer schneller, aber kommen wir auch innerlich mit? Wir müssen darauf achten, dass unsere Möglichkeiten uns nicht eitel, kalt und hart werden lassen. Vor künstlicher Intelligenz, Bilanzen und Börsenkursen kommt immer Menschlichkeit, Toleranz und Güte. Wir müssen darauf achten, dass die Habgier nicht das Gute in uns verschüttet. Untersuchungen zeigen, dass der Mensch nicht des Menschen Wolf ist, wie es uns häufig eingeredet wird. Wir sind besser als es häufig den Anschein hat. Wir sind eigentlich kooperativ und hilfsbereit.  Auf dieser Welt ist genug für jeden.

Armut, Arbeitslosigkeit und  unsichere Arbeitsverhältnisse machen körperlich krank, depressiv, hoffnungslos und verkürzen das Leben. Wir müssen uns fragen, wo wir unter dem Schlagwort Eigeninitiative Menschen unsere Solidarität vorenthalten? Wir müssen gut bedenken, wie viel Konkurrenz wir unseren Kindern in der Schule zumuten. Anerkennung und Auszeichnung bekommen in unserem Bildungssystem vor allem jene, dieses zeigen die PISA-Ergebnisse, die bereits vom Leben mit dem richtigen Elternhaus bestens ausgestattet sind. Was machen wir aber mit den Familien, die nicht mit den Ressourcen ausgestattet sind, die für eine gelungene Kindheit nötig sind?

Die Fragen bleiben: Wer sichert mich? Wo ist mein Platz?

Wir müssen Eigeninitiative,  Konkurrenz und Auslese sehr besonnen überdenken.

Wir haben uns hier mit Gottesdienst und Kundgebung zu einem wirklich bunten, demokratischen Bündnis zusammengefunden. Menschen unterschiedlichster Herkunft und Weltanschauung, die nicht immer die gleiche Meinung teilen, stehen hier heute wieder zusammen, um ein deutliches Zeichen gegen Intoleranz, Demokratiefeindlichkeit und Gewalt auszusenden. Es gut über den eigenen Schatten zu springen, um Mauern, die voneinander  trennen, einzureißen.

Stellen wir uns konsequent den Rechtsradikalen entgegenstellen, und lasst uns daran arbeiten, ein politisches und soziales Klima der Integration zu erzeugen, das vorhandene Stigmatisierungs-, Etikettierungs- und Ausgrenzungstendenzen nicht verstärkt, das dem vermeintlich Schwächeren und auch dem Fremden Platz und Gehör in der Gesellschaft bietet. Das den Rechten den Sumpf trocken legt, das die Krankheit, die tödlich sein kann, im Keim erstickt.

Ohne Menschlichkeit, Nächstenliebe, Gewaltfreiheit  und Gemeinschaftssinn ist unser Dasein nicht lebenswert. Beim Evangelisten Lukas heißt es: „Gott wohnt in jedem Menschen“. Also nicht in einem oder einer Gruppe von Menschen. Wir müssen den Blick auf das Wesentliche richten. Zu lieben lernen. Zu leben lernen. Solidarität üben. Den Gemeinsinn fördern.

Die AfD hat das geistige Klima geschaffen, in dem Spaziergänge besorgter Bürger, wie wir sie heute hier und anderswo erleben, schamlos möglich sind.

Wir sollten aber mit Blick auf die AfD nicht übersehen: Auch wenn Nazis und Rassisten demokratisch gewählt werden, bleiben sie immer noch Nazis und Rassisten.

Insofern möchte ich zum Schluss Theodor W. Adorno zitieren. Er sagt:

„Ich fürchte nicht die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.“

Und man könnte Adorno aktuell ergänzen: Es sind nicht die Faschisten in der Maske der Faschisten, die zu fürchten sind, es sind die Faschisten in der Maske besorgter Bürger, die zu fürchten sind.

Danke für Eure Aufmerksamkeit und nochmals Dank, sofern ich das überhaupt sagen darf, für Euer Kommen.

 

 

 

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