Studie über Finanzämter: „Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass politisches Engagement für die Verwirklichung der Menschenrechte, zur Stärkung der Demokratie oder zugunsten gemeinnütziger Vorhaben häufig nicht als gemeinnützig anerkannt wird.“

Die Grenzen der Gemeinnützigkeit werden enger gezogen und einige werden ausgeschlossen.

Das trifft nicht nur politische Akteure, sondern auch die „Zweckbetriebe“ gemeinnütziger Organisationen

Da hat der Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) aber so einigen Teilnehmern am immer noch bunten Vereinsleben in Deutschland einen gehörigen Schrecken eingejagt: »Ist ein Mann gemeinnützig, wenn er unter seinesgleichen bleibt – oder bloß in gemischtgeschlechtlicher Gesellschaft? Der Vorschlag von Finanzminister Scholz bringt traditionelle Männervereine in Bedrängnis.« In dem Artikel Das Problem der traditionellen Herrenklubs wird dann weiter ausgeführt: Scholz verkündete, man ändere derzeit das Gemeinnützigkeitsrecht. „Wer Frauen ausschließt, sollte keine Steuervorteile haben und Spendenquittungen ausstellen“. Das würde mehrere Tausend Vereine treffen – und eine Folge des Wegfalls der Gemeinnützigkeit wäre dann u.a., dass man keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen darf.

Und ein derart begründeter Entzug der Gemeinnützigkeit könnte auch eine deutsche Institution von internationalem Ruf treffen: den Kölner Karneval. In den Traditionskorps, dessen wichtigsten Vereinen, dürfen Frauen bislang keine aktiven Mitglieder werden.

Dass das auch für die katholische Kirche relevant werden könnte, davon war aber nichts zu hören, obgleich man ja durchaus inhaltliche Bezüge herstellen könnte. Mit dieser Institution wird man sich auch kaum anlegen. Dafür gibt es andere Spielwiesen, wo es dann um Organisationen geht, denen man den durchaus vorteilhaften Status der Gemeinnützigkeit absprechen kann. Diese Erfahrung musste Anfang des Jahres der globalisierungskritische Verein Attac machen.

Die Globalisierungskritiker hatten schon seit Jahren Stress mit der Finanzverwaltung. Die Entscheidung des Finanzamts Frankfurt im Jahr 2014, dem Verein Attac den Status der Gemeinnützigkeit zu entziehen, hatte für viel Empörung und ein jahrelanges Tauziehen vor Gericht gesorgt. Und im Februar 2019 ging dann der Daumen (vorbehaltlich einer verfassungsrechtlichen Prüfung) endgültig nach unten: Die Nichtregierungsorganisation Attac könne mit ihren Aktivitäten nicht mehr als gemeinnützig gelten, verkündete der V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) im Februar dieses Jahres. Der BFH bestätigte die Entscheidung des Finanzamts dem Grunde nach (Urt. v. 26.02.2019, Az. V R 60/17) und hob damit ein Urteil des hessischen Finanzgerichts auf, das Attac noch als gemeinnützig angesehen hatte. Dazu der Beitrag Der sch­male Grat zwi­schen Infor­ma­tion und Agi­ta­tion vom Maximilian Amos.

»In Deutschlang gelten als gemeinnützig nach § 52 der Abgabenordnung (AO) Körperschaften, die einen der dort genannten Zwecke verfolgen. Sodann findet sich eine umfangreiche Auflistung über 25 Nummern, darunter die Förderung der Wissenschaft, der Kunst, des Naturschutzes, aber auch des Karnevals oder der Heimatkunde. Kurzum: Man kann sich für so ziemlich alles engagieren, was irgendwie schön oder leidlich nützlich ist, und dabei als gemeinnützig gelten.«

Warum soll dann aber Attac nicht mehr gemeinnützig sein? Dazu lohnt der Blick auf die Leitsätze des BFH-Urteils vom 26.02.2019:

1.) Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck i.S. von § 52 AO. Eine gemeinnützige Körperschaft darf sich in dieser Weise nur betätigen, wenn dies der Verfolgung eines der in § 52 Abs. 2 AO ausdrücklich genannten Zwecke dient.
2.) Bei der Förderung der Volksbildung i.S. von § 52 Abs. 2 Nr. 7 AO hat sich die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung auf bildungspolitische Fragestellungen zu beschränken.
3.) Politische Bildung vollzieht sich in geistiger Offenheit. Sie ist nicht förderbar, wenn sie eingesetzt wird, um die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen.

Maximilian Amos erläutert die Entscheidung dann so: »Organisationen dürfen … durchaus öffentlich Missstände benennen und politische Lösungen vorschlagen. Eng wird es allerdings, wenn die politische Arbeit in Aktivismus umschlägt, führten die Finanzrichter aus. Sie betonten, politische Bildungsarbeit setze „ein Handeln in geistiger Offenheit voraus“. Dem läuft es ihrer Meinung nach zuwider, wenn eine Organisation gezielt agiert, um die Öffentlichkeit für von ihr verfolgte Ziele zu gewinnen. Der BFH verwies dazu explizit auf Kampagnen des Bündnisses zu einem Sparpaket der Bundesregierung, zur Finanztransaktionensteuer, der Bekämpfung der Steuerflucht, wöchentlicher Arbeitszeit oder zum sog. bedingungslosen Grundeinkommen.«

Richter Bernd Heuermann vom BFH wird von Amos dahingehend zitiert, dass das Urteil „komplett politisch neutral“ zu verstehen sei. Nun ja, da kann man durchaus ein großes Fragezeichen anbringen.

Und weiter geht es: »Nach dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac hat auch die Bürgerbewegung Campact den Status einer gemeinnützigen Organisation verloren. Das Berliner Finanzamt für Körperschaften habe dem Verein mitgeteilt, Campact sei überwiegend allgemeinpolitisch tätig und mache Kampagnen zu Themen, die keinem gemeinnützigen Zweck der Abgabenordnung zugeordnet werden könnten«, kann man beispielsweise dieser Meldung vom 21.10.2019 entnehmen: Nach Attac verliert auch Campact den Status der Gemeinnützigkeit.

Und jetzt das hier: Vereinigung der Naziverfolgten verliert Gemeinnützigkeit: »Der Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) ist die Gemeinnützigkeit als Verein aberkannt worden. Mit dem Bescheid des Berliner Finanzamtes für Körperschaften von Anfang November seien Steuernachforderungen in fünfstelliger Höhe verbunden, die noch in diesem Jahr fällig würden.« Mit welcher Begründung? Hier sollte man genau hinschauen:

»Danach wird die VVN-Landesvereinigung Bayern im dortigen Verfassungsschutzbericht als linksextremistisch beeinflusst dargestellt.« Das Berliner Finanzamt begründet seine Entscheidung damit, dass ein voller Beweis des Gegenteils nicht erbracht worden sei.

Diese Begründung ist neben der eigenen Diskussionswürdigkeit der Beweistauglichkeit des Tatbestands, in einem Verfassungsschutzbericht erwähnt zu werden, deshalb interessant, weil sie zugleich den Finger auf eine offene Wunde in der Umsetzung des Gemeinnützigkeitsrechts legte: die Entscheidungen fallen eben nicht überall gleich aus, es gibt eine bemerkenswerte Streuung. Konkret am Beispiel des VVN-BdA:

»Das Berliner Finanzamt handele anders als das Finanzamt Oberhausen-Süd, das der VVN Nordrhein-Westfalen die Gemeinnützigkeit gewährt habe. In beiden Fällen sei derselbe Vorwurf erhoben worden. Danach wird die VVN-Landesvereinigung Bayern im dortigen Verfassungsschutzbericht als linksextremistisch beeinflusst dargestellt. Während das Finanzamt in Oberhausen der Widerrede dagegen gefolgt sei, beharre das Berliner Finanzamt darauf, dass ein voller Beweis des Gegenteils nicht erbracht worden sei.«

Betrachten wir als ein weiteres Fallbeispiel diese Entscheidung aus der Finanzverwaltung: Kulturzentrum in Ludwigsburg verliert Gemeinnützigkeit: Das örtliche Finanzamt hat dem soziokulturellen Zentrum „Demokratisches Zentrum Ludwigsburg – Verein für politische und kulturelle Bildung“ (DemoZ) aus Baden-Württemberg am 24. Oktober 2019 die Gemeinnützigkeit aberkannt. Aufschlussreich ist die Begründung des Finanzamts im vorliegenden Fall: »Das Finanzamt wirft dem DemoZ vor, dass es sich politisch positioniert, beispielsweise durch kapitalismuskritische Veranstaltungen, die im Rahmen des Programms 2017 zu den Themen „Kapitalismus – was ist das und was können wir dagegen tun?“ oder „Einführung in die Idee des Anarchismus“ stattgefunden hatten. Zudem kritisiert das Finanzamt, dass die Angebote des DemoZ nicht der Allgemeinheit dienen. Schließlich seien rechtsextreme Menschen von den Veranstaltungen ausgeschlossen: „Gegenüber dem Anspruch, der ‚Volksbildung‘ und einer offenen demokratischen Diskussion zu dienen, ist laut Text neben dem Impressum festzustellen, dass der Verein DemoZ ausdrücklich auch Personen von seinen Veranstaltungen ausschließt“, heißt es in einem Schreiben des Finanzamts Ludwigsburg vom 11. Juni 2019.«

Der eine oder andere mag eine gewisse Schieflage erkennen – also vor allem eher linke Organisationen geraten unter die Planierraupe des Entzugs der Gemeinnützigkeit. Dabei gibt es auch zahlreiche rechte bis rechtsextreme Organisationen, die gerne die Vorteile der Gemeinnützigkeit genießen. Darüber berichtete das ARD-Politikmagazin „Panorama“ am 28.03.2019 in diesem Beitrag: Steuer: Vorteile für rechtsradikale Vereine. Dort wird neben anderen Vereinen dieses Beispiel genannt: die „Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft“ (SWG) in Hamburg. Dazu berichtet das Politikmagazin: »Hinter dem unverdächtig klingenden Namen versteckt sich eine geschichtsrevisionistische Vereinigung. Die 1962 vom einstigen Goebbels-Referenten Hugo Wellems mit gegründete SWG gibt Schriften heraus, organisiert Tagungen und gilt als eine Art Scharnier zwischen Rechtskonservatismus und Rechtsextremismus. Als Referenten treten bei der SWG nicht nur AfD-Köpfe wie Alexander Gauland und Konrad Adam auf, sondern auch Rechtsextremisten. Die Rechtsextremisten Richard Melisch, Gisa Pahl, Claus Nordbruch und Olaf Rose stehen beispielsweise auf der Rednerliste der gemeinnützigen Gesellschaft. Zu Gast war auch die verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck.«

Über die konkreten Fälle hinausgehend wird hier ein grundlegendes Problem angesprochen: Mit einer breit angelegten repräsentativen Studie wurden alle zuständigen Finanzämter in Deutschland daraufhin geprüft, ob sie das Gemeinnützigkeitsrecht gleichmäßig anwenden und ob das entsprechende Gesetz so eindeutig ist, wie das Bundesfinanzministerium behauptet. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass politisches Engagement für die Verwirklichung der Menschenrechte, zur Stärkung der Demokratie oder zugunsten gemeinnütziger Vorhaben häufig nicht als gemeinnützig anerkannt wird. Es stellt sich heraus, dass die Finanzämter gleiche Fälle verschieden beurteilen. Dabei wird deutlich, dass Ursache der Probleme nicht Anwendungsfehler der Sachbearbeiter sind, sondern dass Abgabenordnung (AO) und Anwendungserlass zur AO diese Unterschiede systematisch produzieren. »Statt bürgerschaftliches Engagement großzügig zu fördern und rechtlich abzusichern, führt die aktuelle Praxis der Finanzämter beim Gemeinnützigkeitsrecht zu großer Rechtsunsicherheit. Das ist der zentrale Befund eines Arbeitspapiers, das den Nachweis erbringt, dass gleiche Mustersatzungen von den Finanzämtern unterschiedlich behandelt werden: Mal wird die Gemeinnützigkeit bestätigt, mal abgelehnt. Das Bundesfinanzministerium versuchte, die Studie zu verhindern, als es davon erfuhr – ohne Erfolg«, so die Otto-Brenner-Stiftung, die diese Studie gefördert hat. Im Juli 2017 wurden insgesamt 404 Finanzämter mit Briefen zu insgesamt drei verschiedenen, konstruierten Beispielen angeschrieben. Das Bundesfinanzministerium wurde auf die Studie aufmerksam und stoppte nach Angaben der BBE die Befragung – doch bereits fast die Hälfte der zuständigen Finanzämter hatte die Fragen bereits beantwortet:

➔ Stefan Diefenbach-Trommer, unter Mitarbeit von Jannika Marré, Jan-Hendrik Klugkist und Melina Schmidt (2018): Engagiert euch – nicht? Wie das Gemeinnützigkeitsrecht politisches Engagement erschwert. Eine empirische Untersuchung der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e. V. – gefördert von der Otto Brenner Stiftung (OBS). Arbeitspapiere Nr. 5, Berlin: Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE), 2018

➞ Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ ist ein Zusammenschluss von mehr als 120 Vereinen und Stiftungen. Das langfristige Ziel der Allianz ist ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht. Kurzfristig will man eine Änderung der Abgabenordnung erreichen, um einerseits klarzustellen, dass gemeinnützige Organisationen zur Erreichung ihrer Zwecke selbstverständlich Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen dürfen und um andererseits zusätzliche Zwecke aufzunehmen, da die bisherigen Zwecke das Spektrum zivilgesellschaftlicher Arbeit zum Wohle der Allgemeinheit nicht abdecken. Im Gesetz fehlen wichtige und allgemein anerkannte gemeinnützige Zwecke.

Diese seit längerem laufende Diskussion wird auch von Seiten der Politik aufgegriffen. So in dem Gastbeitrag Vereine und Wirtschaftsverbände nicht unterschiedlich behandeln! der beiden grünen Politikerinnen Lisa Paus und Manuela Rottmann, der am 2. August 2019 veröffentlicht wurde: »Gemeinnützige Vereine, die sich politisch äußern, riskieren ihren Steuervorteil. Absurd! Wir brauchen dringend eine Debatte darüber.« Es geht wie bereits herausgearbeitet um politische Aktivitäten gemeinnütziger Organisationen und deren Beurteilung durch die Finanzverwaltung. »Die enge Auslegung … durch den Bundesfinanzhof wirft für drei Gruppen von Organisationen die Frage auf, ob sie ihre Tätigkeit wie bisher fortführen können: für Organisationen, die sich auf einen gemeinnützigen Zweck berufen, aber nicht mehr abschätzen können, wie viel tagespolitische Einmischung künftig ein Risiko für die Gemeinnützigkeit ist. Für Organisationen, die sich auf einen gemeinnützigen Zweck berufen, sich aber politisch zu anderen Themen äußern. Und für Vereine, die sich bei einer Vielfalt von Themen an der politischen Willensbildung beteiligen. Der Gesetzgeber muss die Frage beantworten, ob er hier eine liberalisierende Klarstellung will, die den Spielraum der politischen Betätigung sichert.« Man erkennt an dieser Analyse, dass das Problem weit über einige wenige Einzelfälle hinausgeht. Zugleich weisen Paus und Rottmann darauf hin: »Bei Berufs- und Wirtschaftsverbänden hinterfragen wir eine tagespolitische Einflussnahme nicht und räumen ihnen unabhängig davon Steuervorteile ein.«

Was schlagen die beiden Politikerinnen vor? Ihrer Meinung nach sollte der »Gesetzgeber klarstellen, dass tagespolitische Einflussnahme von gemeinnützigen Verbänden im Rahmen der Verfolgung ihres Zwecks zulässig ist, soweit die parteipolitische Neutralität gewahrt wird und die Mittelverwendung nicht die Regelungen zur Parteienfinanzierung umgeht. Er sollte weiterhin klarstellen, dass gelegentliche Betätigung außerhalb des gemeinnützigen Zwecks zur selbstlosen Förderung des demokratischen Staatswesens oder anderer gemeinnütziger Zwecke für die Gemeinnützigkeit unschädlich ist.«

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat sich zu diesem Themen- und Minenfeld ebenfalls zu Wort gemeldet:

➔ Werner Hesse (2019): Politische Betätigung von gemeinnützigen Vereinen – ein Vorschlag zur Neuordnung, Berlin: Der Paritätische Gesamtverband, 31.10.2019

Zwischenzeitlich nimmt das Thema erkennbar Fahrt auf, vor allem durch die geplante gesetzgeberische Konkretisierung einer Veränderung des Gemeinnützigkeitsrechts: »Finanzminister Scholz will laut einem Bericht Steuerbegünstigungen für Vereine beschränken, wenn sie sich politisch betätigen. Das Ministerium nennt den Bericht falsch«, so diese Meldung vom 22.11.2019: Gemeinnützigkeit für Vereine soll eingeschränkt werden. Im Entwurf für die veränderte Abgabenordnung heißt es, Vereine würden „auch dann noch“ steuerlich begünstigt, „wenn eine gemeinnützige Tätigkeit mit politischen Mitteln begleitet wird“. Damit dürften sich Vereine nur noch politisch äußern, wenn es ihrem Vereinszweck diene. Die Absicht, politische Parteien oder die staatliche Willensbildung zu beeinflussen, müsse dabei „weit in den Hintergrund“ treten. Das Bundesfinanzministerium wird mit einer ganz anderen Perspektive zitiert: „Zielrichtung der Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ist nicht eine Bestrafung, sondern der Schutz von Vereinen, die sich auch politisch engagieren“, so ein Sprecher des Ministeriums. Es solle klargestellt werden, dass eine gemeinnützige Tätigkeit „mit politischen Mitteln begleitet werden kann“, ohne dass dies negative Auswirkungen auf die Gemeinnützigkeit hätte. „Dadurch wird Rechtssicherheit für viele Vereine geschaffen.“

Die Kritik ist erheblich: „Rechte der Zivilgesellschaft beerdigen“ – Olaf Scholz will Gemeinnützigkeit reformieren, so beispielsweise die Frankfurter Rundschau.

Bislang haben wir hier die Ebene der politischen Aktivitäten und der mit ihnen im Gemeinnützigkeitsrecht verbundenen Probleme beleuchtet. Aber die Frage der Gemeinnützigkeit hat auch eine überaus bedeutsame Rolle im Bereich der gemeinnützigen Einrichtungen, die in der Wohlfahrtspflege unterwegs sind. Und auch hier gibt es Neues zu vermelden – und das wird im Bereich der Sozialwirtschaft noch große Wellen schlagen:

»Der BFH machte dieses Jahr schon Schlagzeilen, als er der NGO Attac die Gemeinnützigkeit absprach. Für Zweckbetriebe, die der Wirtschaft Konkurrenz machen, taten es die Münchner Richter nun ebenso«, kann man diesem Artikel entnehmen: Noch Gemein­nutz oder schon Kom­merz? »Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass die Umsätze eines Bistros einer gemeinnützigen Behindertenwerkstatt nicht dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent unterliegen (Urt. v. 23.07.2019, Az. XI R 2/17). Das Urteil betrifft viele gemeinnützige Einrichtungen, die nun entgegen der „derzeit allgemein geübten Praxis prüfen müssen, ob sie für die Umsätze ihrer Zweckbetriebe weiterhin den ermäßigten Steuersatz anwenden können“, wie der BFH … mitteilte.«

Man schaue sich hierzu den Leitsatz des Urteils (BFH, Urt. v. 23.07.2019, Az. XI R 2/17) an:

»Die Umsätze, die ein gemeinnütziger Verein zur Förderung des Wohlfahrtswesens aus Gastronomieleistungen und der Zurverfügungstellung einer öffentlichen Toilette erzielt, sind selbst dann nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ermäßigt zu besteuern, wenn diese Leistungen der Verwirklichung satzungsmäßiger Zwecke gedient haben.«

Zum Sachverhalt und der Entscheidung des BFH erfahren wir hier: »Geklagt hatte ein gemeinnütziger Verein, der Menschen mit Behinderung unterstützt. Neben einer Werkstatt für behinderte Menschen betrieb der Verein ein öffentlich zugängliches Bistro, in dem auch behinderte Menschen arbeiten. Wenn diese Geschäfte dem gemeinnützigen Vereinszweck dienen, nennt man sie im Steuerrecht „Zweckbetrieb“. Der Verein begehrte für die Bistro-Umsätze den ermäßigten Steuersatz, das Finanzamt gestattete ihm diesen jedoch nicht zu und besteuerte die Umsätze stattdessen mit dem üblichen Umsatzsteuersatz von 19 Prozent.« Der 11. Senat des BFH verneinte die Steuersatzermäßigung in seiner Entscheidung nun aber bereits dem Grunde nach. Warum?

»Das Umsatzsteuergesetz stelle darauf ab, dass der Zweckbetrieb entweder nicht in unmittelbarem Wettbewerb zu der Regelbesteuerung unterliegenden Unternehmern steht oder mit dessen Leistungen die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklicht werden. Laut BFH muss es sich also um Leistungen von Einrichtungen handeln, die sowohl gemeinnützig als auch für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit tätig sind. Diese Voraussetzungen sah der BFH im Falle des klagenden Vereins jetzt aber nicht als erfüllt an. Zum einen sei der Verein mit seinen Gastronomieumsätzen in Wettbewerb zu anderen Unternehmern mit vergleichbaren Leistungen getreten. Zum anderen dienten die Gastronomieumsätze in erster Linie den Zwecken der Bistrobesucher und seien daher keine originär gemeinnützigen Leistungen.«

Der BFH hat damit zum zweiten Mal in diesem Jahr die Grenzen der Gemeinnützigkeit enger gezogen. Man muss aber die neue Entscheidung hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Bedeutung einordnen:

Die neue Entscheidung »geht über die Sphäre des Politischen weit hinaus: Das Urteil bezieht sich darauf, dass viele gemeinnützige Vereine gleichzeitig Nebengeschäfte betreiben, beispielsweise Läden oder Cafés. Gemeinnützige Vereine sind gegenüber gewinnorientiert arbeitenden Firmen steuerbegünstigt, außerdem erhalten sie in vielen Städten und Gemeinden weitere Vorteile, zum Beispiel Förderzuschüsse und günstige Kredite.« Und dahinter steht eine alte Debatte über die Ungleichbehandlung von gewinnorientierten und gemeinnützig agierenden Unternehmen: »In der Wirtschaft gibt es seit Jahren Kritik, dass Vereine zunehmend in kommerzielle Bereiche vorstoßen und dabei von der öffentlichen Hand auch noch durch Vergünstigungen privilegiert würden.«

Und auch auf der operativen Ebene der Umsetzung steuerrechtlicher Gestaltungen gibt es ein grundsätzliches Dilemma, aus dem heraus eine gewisse Präferenz für restriktive Auslegungen entspringen kann: »In den Finanzämtern gilt die Vereinsbesteuerung als unerfreuliche Materie, nicht zuletzt, weil eine klare Abgrenzung von steuerbegünstigtem Zweckbetrieb und rein kommerziellem Wirtschaftsbetrieb in der Regel sehr schwierig ist.«

Man darf gespannt sein, wie sich nach dieser Entscheidung des BFH die praktische Auslegung weiterentwickeln und/oder ob es gesetzgeberische Klarstellungen geben wird. Erwartbar sind härter werdende Zeiten für die gemeinnützigen Einrichtungen hinsichtlich der Generierung von Einnahmen aus Bereichen, die auch von „normalen“ Unternehmen bedient werden, selbst wenn die Einrichtungen an sich gemeinnützig anerkannt sind und bleiben.

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