„Ein europäischer Rahmen für Mindestlöhne kann eine gleichmäßige und gerechtere Entwicklung in Europa fördern und dadurch auch Lohndumping verhindern.“ (DGB)

Lohnuntergrenze EU-Kommission prüft Einführung eines europäischen Mindestlohns

Die Arbeitgeber laufen Sturm gegen dieses Vorhaben: Brüssel denkt über eine Untergrenze für die Bezahlung der Arbeitnehmer nach. EU-Sozialkommissar Schmit will die Sozialpartner befragen.

12.01.2020

Anfang 2019 gab es in 22 von 28 EU-Staaten gesetzliche Mindestlöhne. Quelle: dpa

EU-Kommission

Anfang 2019 gab es in 22 von 28 EU-Staaten gesetzliche Mindestlöhne.

(Foto: dpa)

Brüssel Die EU-Kommission betritt sozialpolitisches Neuland: Sozialkommissar Nicolas Schmit denkt darüber nach, erstmals eine europäische Lohnuntergrenze festzulegen. „Ein EU-Rechtsrahmen für Mindestlöhne kann helfen, Ungleichheiten zu bekämpfen und einen zerstörerischen Wettlauf nach unten bei den Arbeitskosten zu vermeiden“, sagte Schmit dem Handelsblatt.

Der Luxemburger folgt damit einem Auftrag der neuen EU-Kommissionspräsidentin. Ursula von der Leyen hatte bereits in ihrer Bewerbungsrede im Sommer eine europäische Regelung zum Mindestlohn angekündigt. Die Christdemokratin hatte auf diese Weise die Sozialisten im Europaparlament umworben, deren Stimmen sie für ihre Wahl an die Spitze der wichtigsten EU-Institution benötigte.

Bei von der Leyens eigenen Parteifreunden kommt die Idee weniger gut an. „Ich bin kein Freund eines europäischen Mindestlohns und kann keinen Sinn darin erkennen“, beschwert sich Europaparlamentarier Markus Ferber (CSU).

EU-Kommissar Schmit treibt das Vorhaben gleichwohl voran. Am kommenden Dienstag startet der Sozialdemokrat eine Konsultation bei den Sozialpartnern: Arbeitgeber und Gewerkschaften sollen Position zu einem europäischen Mindestlohn beziehen. Nach Abschluss des rund dreimonatigen Konsultationsverfahrens könnte dann im Sommer ein EU-Richtlinienentwurf zum Mindestlohn folgen.

Anfang 2019 gab es in 22 von 28 EU-Staaten gesetzliche Mindestlöhne. Die Bandbreite reichte von 11,97 Euro pro Stunde in Luxemburg bis 1,72 Euro pro Stunde in Bulgarien. In Deutschland wurde der Mindestlohn am Anfang dieses Jahres auf 9,35 Euro pro Stunde erhöht. An den großen Unterschieden will die Kommission im Prinzip nichts ändern.

Ein Einheitslohn für alle sei natürlich nicht geplant, wird in Kommissionskreisen betont. Vielmehr denkt Schmit daran, relativ zum Durchschnittslohn des jeweiligen Landes eine prozentuale Untergrenze festzulegen. Gewerkschaften, Sozialdemokraten und Grüne gehen davon aus, dass diese Untergrenze bei 60 Prozent des Medianlohns, also des mittleren Einkommens, liegen müsste, um das Existenzminimum abzudecken.

Um Zahlen geht es zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht. Schmit will bei den Sozialpartnern erst einmal ausloten, ob sie eine gesetzliche Regelung auf europäische Ebene überhaupt für nötig halten. Die Antwort der Arbeitgeber darauf fällt eindeutig aus. „BusinessEurope ist strikt gegen eine EU-Gesetzgebung zum Mindestlohn“, sagte Markus J. Beyrer, Generaldirektor des EU-Industrieverbandes dem Handelsblatt.

Mindestlöhne dürften nicht als Umverteilungsinstrument missbraucht werden. Grundsätzlich sei die Lohnfindung eine nationale Aufgabe. Die Sozialpartner des jeweiligen Landes seien dafür zuständig. Die Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) schließt sich an. „Mit einem einheitlichen europäischen Mindestlohn würde die EU zu weit gehen“, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter dem Handelsblatt.

Die Gewerkschaften sehen das – wenig überraschend – ganz anders. „Ein europäischer Rahmen für Mindestlöhne kann eine gleichmäßige und gerechtere Entwicklung in Europa fördern und dadurch auch Lohndumping verhindern“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell dem Handelsblatt. Im Zuge der Eurokrise seien nationale Mindestlöhne gedrückt und Lohnverhandlungssysteme geschleift worden. Es sei dringend nötig, diese Kürzungspolitik zu beenden.

Skandinavien wehrt sich

Anders als die Arbeitgeber sind sich die europäischen Gewerkschaften in der Mindestlohnfrage allerdings nicht einig. Die Arbeitnehmerorganisationen in Schweden und Dänemark lehnen eine gesetzliche EU-Lohnuntergrenze ab, weil sie darin einen unerlaubten Eingriff in die Tarifautonomie sehen. Anders als im Rest Europas ist die Tarifbindung in den beiden skandinavischen Ländern noch weitgehend intakt. Aus diesem Grund bräuchten diese Länder keine gesetzlichen Mindestlöhne.

Der DGB sieht darin jedoch keinen Hinderungsgrund für eine europäische Regelung. Man könne für die Skandinavier eine Hintertür öffnen. Wenn Tariflöhne 70 Prozent oder mehr der Beschäftigten erfassen würden, könne man das jeweilige Land von der gesetzlichen Mindestlohnpflicht befreien,  hieß es in Gewerkschaftskreisen.

Ob die EU-Kommission am Ende tatsächlich eine zwingende EU- Lohnuntergrenze vorschlagen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt aber noch ziemlich unklar. Nach Auffassung der Arbeitgeber gibt es dafür im EU-Vertrag von Lissabon gar keine Rechtsgrundlage. Die EU-Kommission wird sich voraussichtlich auf Artikel 153, 1b des Vertrages berufen. Demnach darf die EU ihre Mitgliedstaaten dabei unterstützen, die Arbeitsbedingungen im Land zu regeln.

Entsprechende EU-Richtlinien können mit qualifizierter Mehrheit, also 55 Prozent der Stimmen bei 65 Prozent Repräsentanz der EU-Bevölkerung, beschlossen werden. Im selben Vertragsartikel steht allerdings auch explizit, dass dies nicht für das Arbeitsentgelt gilt – und darauf berufen sich die Arbeitgeber.

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