„Grundsicherung“ im Alter – Fazit: Regeln vereinfachen, Bürokratie abbauen
Starke Nichtinanspruchnahme von Grundsicherung deutet auf hohe verdeckte Altersarmut
Von Hermann Buslei, Johannes Geyer, Peter Haan und Michelle Harnisch
Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
Das Altersarmutsrisiko heute und insbesondere seine künftige Entwicklung sind derzeit wichtige Themen in der rentenpolitischen Diskussion. Altersarmut wird häufig daran gemessen, wie viele Seniorinnen und Senioren tatsächlich Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (im Folgenden Grundsicherung) beziehen. In dieser Betrachtung bleiben diejenigen außen vor, denen Grundsicherung zustünde, die aber, sei es aus Unwissen, Scham oder einem anderen Grund diese nicht in Anspruch nehmen (die sogenannte verdeckte Altersarmut).
Seit der Einführung der Grundsicherung im Jahr 2003 ist die Zahl der Personen mit Leistungsbezug stetig gestiegen: Ende 2003 waren es knapp 260 000 Personen, im Juni 2019 (letzte verfügbare Zahlen) waren es 566 000 Personen – gut drei Prozent aller Personen ab der Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung (Abbildung 1). In diesen Zahlen sind neben den Personen in Privathaus halten auch alle Personen in Einrichtungen wie Pflegeheimen (etwa zwölf Prozent aller Personen mit Grundsicherungsbezug) enthalten.
Eines der Ziele bei der Einführung der Grundsicherung war es, die bei der Vorgängerregelung vermutete hohe Nichtinanspruchnahme der Leistung zu reduzieren. Die Grundsicherung im Alter ist wie die Vorgängerleistung eine bedürftigkeitsgeprüfte Mindestsicherungsleistung, die nicht automatisch ausgezahlt wird. Berechtigte Personen müssen selbst einen Antrag auf Leistungsgewährung stellen, um die Grundsicherungsleistung zu beziehen. Dabei wird sowohl das Einkommen der Person und ihres/ihrer Partner/in als auch das individuelle Vermögen angerechnet.
Allerdings entfällt seit Einführung der Grundsicherung der Einkommensrückgriff auf die Kinder bis zu einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 100 000 Euro. Durch diesen Verzicht auf die Berücksichtigung des Einkommens der Verwandten ersten Grades und durch bessere Informationen über die Leistung hatte man sich erhofft, dass die Nichtinanspruchnahme und damit die verdeckte Armut zurückgehen würden.
In diesem Wochenbericht wird die Nichtinanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen quantifiziert, und es wird aufgezeigt, welche Haushalte Grundsicherung nicht beantragen. Darüber hinaus wird dokumentiert, wie sich die Nichtinanspruchnahme auf die Einkommen der betroffenen Haushalte und die Einkommensverteilung auswirkt. Für die politische Diskussion von Altersarmut ist das Ausmaß der Nichtinanspruchnahme von Grundsicherung von zentraler Bedeutung.
Ist die Grundsicherungsquote niedrig und gleichzeitig die Nichtinanspruchnahme der Grundsicherungsleistungen hoch, ist die Altersvorsorgepolitik nur scheinbar erfolgreich. Das gleiche gilt für Reformen der Grundsicherung zur Bekämpfung von Altersarmut. Wenn ein erheblicher Teil der für den Bezug von Grundsicherung berechtigten Seniorinnen und Senioren diese nicht in Anspruch nimmt, dann hat eine Ausweitung der Grundsicherungsleistung nur einen geringen Effekt auf die finanzielle Lage dieser Menschen.
Der komplette Wochenbericht zum Thema vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung:
https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.699934.de/19-49-1.pdf