In sechs Jahren hat sich die Zahl der Mehrfachbeschäftigten um 25 Prozent erhöht auf nunmehr 3,54 Millionen Menschen. In Herne um 35 Prozent !

Es werden mehr und mehr: Über 3,5 Millionen Mehrfachbeschäftigte. Zwischen gerne mehr bei einigen und mehr müssen bei vielen

Noch ein paar Tage und man hätte das Jahr rund gehabt beim Wiederaufruf eines Themas: Inhaltlich geht es um die – weiter steigende – Zahl an Mehrfachbeschäftigten, um die Neben- oder auch Multijobber. Dazu wurde hier am 3. Februar 2019 dieser Beitrag veröffentlicht: Immer das gleiche Spiel: Die Zahl der Menschen mit einem Nebenjob steigt an, die einen sehen darin die Not und die anderen die Freude an der Arbeit. Und auch damals wurde das ausgelöst durch Meldungen, die für einen Tag durch die Medienlandschaft gereicht wurden:  Zahl der Nebenjobs steigt auf Rekordzahl oder 3,4 Millionen Menschen haben mehrere Jobs, so waren die vor knapp einem Jahr überschrieben. Und heute, um nur eine von den vielen herauszugreifen: Immer mehr Deutsche haben einen Nebenjob. Nur die Zahl hat sich etwas verändert: »Etwa 3,5 Millionen Mehrfachjobber zählt die Bundesagentur für Arbeit einem Bericht zufolge. Für mehr als jeden Zweiten sind finanzielle Schwierigkeiten ausschlaggebend für eine Nebentätigkeit.« In solchen Ausführungen steckt eine quantitative Tatsache (3,5 Millionen) und eine vermutliche Größenordnung die Motive betreffend. Bleiben wir zuerst einmal bei den Zahlen.

In den vergangenen sechs Jahren hat sich die Zahl der Mehrfachbeschäftigten um 25 Prozent erhöht auf nunmehr 3,54 Millionen Menschen. Die Zahl der Mehrfachbeschäftigten insgesamt wird erst seit 2013 gesondert ausgewiesen. Was muss man sich unter den Mehrfachbeschäftigten vorstellen? Da gibt es unterschiedliche Kombinationen, mit einem mehr als eindeutigen Schwerpunkt:

➞  Die häufigste Kombination: eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit mindestens einem Minijob. Das machen fast genau 2,99 Millionen Menschen in Deutschland.
➞  In 345.000 Fällen wurden dagegen mindestens zwei sozialversicherungspflichtige Jobs kombiniert.
➞  261.000 Menschen haben mindestens zwei Minijobs.

Die Entwicklung der Zahl derjenigen, die neben einem sozialversicherungspflichtigen Hauptjob noch eine geringfügige Beschäftigung im Nebenjob ausüben, kann man auch länger zurückverfolgen – und der Anstieg ist wahrlich beeindruckend:

Die Kombination einer sozialversicherungspflichtigen Teil- oder Vollzeitarbeit mit einem Minijob kann nicht wirklich überraschen, denn das ist für die betroffenen Arbeitnehmer eine individuell gesehen besonders attraktive Variante: Das Einkommen aus der geringfügigen Nebenjob-Beschäftigung bleibt für die steuer- und abgabenfrei, diesen Lohn gibt es brutto für netto. Man müsste sich nur ergänzend vorstellen, was das netto weniger wäre, wenn die Zeit für den Nebenjob im Sinne von Überstunden eines normalen Arbeitsverhältnisses der (bestehenden) Steuer- und Sozialabgabenpflicht unterworfen wäre.

Und offensichtlich gibt es auch bei vielen Arbeitgebern eine hohe Nachfrage nach diesen speziellen Beschäftigungsformaten, was sich auch in einer überdurchschnittlichen Dynamik niedergeschlagen hat, mit der die Nebenjobs bei einer sozialversicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung zugenommen haben:

Der anfangs zitierten Meldung – Immer mehr Deutsche haben einen Nebenjob – wurde neben der korrekten Zahl auch dieser Hinweis entnommen: »Für mehr als jeden Zweiten sind finanzielle Schwierigkeiten ausschlaggebend für eine Nebentätigkeit.« Das verweist zum einen auf eine Diskussion, die auch dieses Jahr wieder sofort losgetreten wurde: Machen die das aus Not oder aus Arbeitsfreude? Dass (angeblich) mehr als jeder zweite Nebenjobber aus finanziellen Schwierigkeiten heraus agiert, stammt aus dieser im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung:

➔ Sebastian Graf, Jutta Höhne, Alexander Mauss und Karin Schulze Buschoff (2019): Mehrfachbeschäftigungen in Deutschland. Struktur, Arbeitsbedingungen und Motive. WSI-Report Nr. 48, Düsseldorf, März 2019

Die Verfasser der Studie verweisen bei ihren methodischen Hinweisen auf ihr Vorgehen und die damit verbundenen Restriktionen für eine Interpretation der Zahlen wie „mehr als jeder Zweite“ macht das aus finanziellen Schwierigkeiten: »Auf der Basis einer Online-Befragung wurde zunächst ein Überblick über die Struktur von Haupt- und Nebentätigkeiten, Arbeitsbedingungen, Zufriedenheiten und Motiven von Mehrfachbeschäftigten erstellt. Rekrutiert wurden die Befragten der Online- Umfrage durch ein Access-Panel … Dieser Überblick kann zwar nach engeren statistischen Maßgaben nicht als repräsentativ bezeichnet werden, die Ergebnisse sind aber mit anderen statistisch-repräsentativen Erhebungen hinsichtlich grundlegender soziodemografischer Verteilungen vergleichbar.« (S. 3). Das muss man schon berücksichtigen bei der Bewertung der nun auch wieder zitierten Ergebnisse dieser Studie.

Wie auch im vergangenen Jahr stammen die heute berichteten Zahlen aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag und die haben da ziemlich klare Vorstellungen, die man von ihnen sicher auch erwartet: »Die Linken-Abgeordnete Sabine Zimmermann forderte eine Erhöhung des Mindestlohns „in einem ersten Schritt auf 12 Euro die Stunde“, um dem Trend zu begegnen. Sie mahnte … überdies die Abschaffung der systematischen Niedriglohnbeschäftigung in Form von Leiharbeit und von sachgrundlosen Befristungen an.«

Das klingt irgendwie reflexhaft und wenn man schon bei Reflexen ist, dann vermisst man direkt bis zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Beitrags die ansonsten postwendend vorgetragene Entgegnung des Instituts der deutschen Wirtschaft, deren Vertreter es nicht so mit dem Arbeitsleid haben, sondern lieber die Sonnenseite der Mehrfachbeschäftigung herausstellen möchten. Im vergangenen Jahr wurde dazu auf Ausführungen von Holger Schäfer aus dem von den Arbeitgebern finanzierten Institut verwiesen, der sich dahingehend eingelassen hatte, dass Nebenjobber (angeblich) sogar oft sozial besser gestellt seien als andere Beschäftigte.

Folgt man hingegen den Befunden des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, dann stellt sich das so dar, dass Nebenjobber im Schnitt in ihrem Hauptjob deutlich weniger verdienten als Menschen ohne Nebenjob. Nach einer Studie des Instituts bekommen Nebenjobber in ihrer Hauptbeschäftigung im Schnitt etwa 570 Euro im Monat weniger als Personen mit nur einem Job, was darauf hindeutet, dass relativ viele Nebenjobber auf das zusätzliche Geld angewiesen sind.

Unter den Nebenjobbern sind Frauen, Personen mittleren Alters sowie Personen mit Hauptberufen in Verwaltung und Büro, in Allgemeinen Dienstleistungen, im Verkehr, im Gesundheitswesen sowie in Sozial- und Erziehungsberufen überdurchschnittlich häufig vertreten. Ein Drittel der Mehrfachbeschäftigten übt im Haupt- und im Nebenjob denselben Beruf aus. Mit Blick auf das Einkommen besteht die höchste Wahrscheinlichkeit für einen Nebenjob im untersten Lohnsegment; mit steigendem Entgelt sinkt sie relativ rasch. Über die gesamte Entgeltverteilung hinweg üben eher Teilzeit- als Vollzeitbeschäftigte einen weiteren Job aus.

Diese Befunde stützen nicht wirklich die These, dass es überwiegend die besser gestellten Arbeitnehmer sind – und auch das angebliche Motiv, aus Spaß an der Arbeit zu arbeiten, relativiert sich doch erheblich für die große Masse, ohne damit abstreiten zu wollen, dass es solche Konstellationen durchaus geben kann. Aber eben nicht als Mehrheitsfall.

Und auch eine Betrachtung der Verteilung der Nebenjobber auf bestimmte Branchen führt zu einer weitaus stärkeren Gewichtung des Arguments, dass viele der Nebenjobber aus finanziellen Nöten heraus eine solche zusätzliche Beschäftigung aufgenommen haben (was nicht nur bedeuten muss, dass man ohne diese Zusatzeinkommen nicht über den laufenden Monat kommen würde, sondern das kann auch die Realisierung eines überschaubaren Lebensstandards sein, wie einmal im Jahr einen Urlaub damit finanzieren zu können, was ansonsten schwer oder nicht möglich wäre – oder aber gerade in den wirtschaftlich prosperierenden Regionen, in denen es auch überdurchschnittlich viele Nebenjobber gibt wie in Süddeutschland, angesichts der hohen Mieten und anderer höherer Preise klar kommen zu können). Dazu diese Auswertung der Bundesagentur für Arbeit, die sich auf den Stand 2017 bezieht:

➔ Bundesagentur für Arbeit (2018): Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit geringfügig entlohntem Nebenjob, Nürnberg, Mai 2018

»Die meisten der 2,7 Millionen Nebenjobs werden in Reinigungsberufen (465.000), Lebensmittel- und Gaststättenberufen (404.000), Berufen der Unternehmensführung und -organisation* (360.000) sowie in Verkehrs- und Logistikberufen (312.000) ausgeübt.« (S. 13; * dazu gehören vor allem Büro- und Sekretariatskräfte).

Interessant mit Blick auf die These, dass finanzielle Nöte von großer Bedeutung sind, ist die Analyse der Nebenjob-Intensität ausgehend von der Branche, in der der Hauptjob angesiedelt ist. Dazu berichtet die BA: »Bezogen auf die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den einzelnen Berufssegmenten ist ein geringfügig entlohnter Nebenjob besonders häufig in Reinigungsberufen (24 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten), Lebensmittel- und Gaststättenberufen (11 Prozent) sowie medizinischen und nichtmedizinischen Gesundheitsberufen (10 Prozent) verbreitet … Sowohl bei Männern als auch bei Frauen haben Beschäftigte in Reinigungsberufen den höchsten Anteil Mehrfachjobber dieser Form (16 Prozent der Männer; 26 Prozent der Frauen) … Auch in Lebensmittel- und Gaststättenberufen ist ein Zweitjob weit verbreitet. Hier haben 10 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Männer bzw. 13 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen zusätzlich einen geringfügig entlohnten Nebenjob.«

Die Expansion des Niedriglohnsektors in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre hat auch hier breite Spuren hinterlassen – und das nicht nur bezogen auf die vielen Menschen, die dort arbeiten und zusätzliche Einkommen brauchen, um über die Runden zu kommen, sondern spiegelbildlich auch dahingehend, dass in manchen dieser Niedriglohnbranchen die Nebenjobber von großer Bedeutung sind, wie die BA berichtet: »Bezieht man die Beschäftigten mit Nebenjob einer Branche auf die Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, ergibt sich folgendes Bild: An der Spitze mit jeweils einem Anteil von zwölf Prozent an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Branche stehen die Sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen* sowie das Gastgewerbe. Bei den Sonstigen Dienstleistungen und privaten Haushalten sowie dem Gesundheits- und Sozialwesen liegt der Anteil bei zehn Prozent.« (S. 12; * zu den „Sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen“ gehören beispielsweise Wach- und Sicherheitsdienste, Hausmeisterdienste, Gebäude- und Straßenreinigung und Call Center.)

Das sind Hunderttausende, die für wenig Geld arbeiten gehen und ein wenig Geld zusätzlich dazu verdienen über einen zweiten oder dritten Job. Und die meisten werden das sicher nicht außer lauter Langeweile machen oder weil es so befriedigend ist, nach der eigentlichen Arbeit noch am Abend oder am Wochenende eine Schicht beim Reinigungs- oder einem Sicherheitsdienst einzuschieben. Es sind die Menschen, die hier vieles am Laufen halten.

 

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