Jobcenter-Sanktionen & Kinder – am Beispiel Bochum

Montag 27.01.20, 13:32 Uhr  Quelle: bo-alternativ
Kindeswohlgefährdung des Jobcenters Bochum

Jobcenter-Sanktionen & Kinder – am Beispiel Bochum


Norbert Hermann für Bochum-Prekär schreibt: »423 Sanktionen hat das Jobcenter Bochum in 2018 gegen Alleinerziehende und ihre Kinder verhängt, 93% davon wegen Meldeversäumnissen. Alle Sanktionen, von denen Kinder unter vier Jahren betroffen sind, meldet das Jobcenter dem Jugendamt, auch wenn nicht alleinerziehende Familien betroffen sind. Das Jugendamt meint dazu: „Grundsätzlich muss bei einer Leistungseinschränkung davon ausgegangen werden, dass die finanziellen Mittel der Familie nicht reichen, um die Familienmitglieder mit ausreichend Lebensmitteln zu versorgen“. Das Jobcenter beruft sich dabei auf die Gesetzeslage und meint, nicht anders handeln zu können. Das ist nicht richtig. Jeder Verwaltungsmensch ist für sein/ihr Tun selbst verantwortlich. Alle Hoheitsakte sind auf Verhältnismäßigkeit und Vereinbarkeit mit (ggf. höhergeordnetem) Recht zu überprüfen.

Am 01.12.2019 hat bo-alternativ mit Dokumenten aus Moers darüber berichtet, wie auf diese Weise arme Kinder noch ärmer gemacht werden und das Kindeswohl gefährdet wird. Die „Stadtgestalter“ haben das aufgegriffen, jetzt liegt die Antwort der Verwaltung vor. Auch in den Vorjahren lag die Zahl der sanktionierten Alleinerziehenden und ihrer Kinder in ähnlicher Höhe. Das Jobcenter weist jede Möglichkeit einer Bewertung und damit der Vermeidung von Geldkürzungen von sich. Das scheint zwar zunächst richtig zu sein, da der Wortlaut des Gesetzes nicht anderes hergibt. Es ist aber ungeschriebener Teil des Rechtsstaatsprinzips, dass jeglicher Eingriff der Verwaltung, insbesondere in Grundrechte, zu prüfen ist ob der Eingriff geeignet, angemessen und erforderlich ist und die Verhältnismäßigkeit in Abwägung zur Gefährdung des zu schützenden Rechtsguts gewahrt ist, selbst wenn das so nicht im Einzelgesetz steht. Dafür ist jedeR einzelne Sachbearbeiter*in persönlich verantwortlich, „Kadavergehorsam“ ist seit 75 Jahren obsolet.Auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz IV-Sanktionen wird die Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen überhaupt weiter diskutiert. Hier sind aber Kinder betroffen, für die besondere Schutzrechte gelten. Die finden sich zwar (noch) nicht im Grundgesetz, aber die UN-Kinderrechtskonvention(*) ist auch in Deutschland geltendes Recht mit der Maßgabe, dass „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorgan getroffen werden, …das Wohl des Kindes … vorrangig zu berücksichtigen ist” (Art. 3 Abs. 1).Wenn das Jobcenter sich hier nicht von selbst einsichtig zeigt, wäre das ein Thema für die Trägerversammlung, in der die herrschende Koalition gleichberechtigt verantwortlich ist, und für den Beirat des Jobcenters Bochum, in dem auch Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände vertreten sind. Auch das Jugendamt müsste massiv einschreiten, Moers hat es vorgemacht. Des Weiteren ist das Kindeswohl in besonderem Maße dadurch gefährdet, dass den Familien nicht die gesamten Wohnungskosten anerkannt werden. Das Defizit muss aus dem ohnehin unzureichenden Regelsatz gedeckt werden. Dadurch werden alle Bestrebungen, die Kinderarmut zu vermindern, hintertrieben.

Zwar sind Grundrechte manchmal nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind. Immer wieder wird durch das Jobcenter die Existenz der Menschen gefährdet. Auch ehedem Geflüchtete befinden sich immer wieder in extrem prekären Situationen, weil die Klärung von Zuständigkeiten Monate dauern kann und in der Zwischenzeit niemand zuständig sein will. Das ist mit Rechtsstaatlichkeit und der Verpflichtung zur Einhaltung der Menschenrechte unvereinbar. Es ist eine Schande!

Am Dienstag, 04. Februar, tagt der Sozialausschuss und könnte hier eine Aufgabe sehen. In gleicher Sitzung (5) wird auch berichtet über die prekäre Wohnsituation von nahezu 2.000 städtisch untergebrachten ehedem Geflüchteten, die noch prekärere Situation von mehr als tausend nur geduldeten Aufenthaltsberechtigten, davon 299 mehr als 5 Jahre und 156 sogar mehr als 10 Jahre hier lebend.

*In einer Studie über die Umsetzung von Kinderrechten hat das Dt. Kinderhilfswerk das Recht auf Beteiligung, das Recht auf Gesundheit, das Recht auf angemessenen Lebensstandard, das Recht auf Bildung, und das Recht auf Ruhe und Freizeit, Spiel und Erholung in den Mittelpunkt gestellt. Diese Rechte sind insbesondere auch für Kindern von Geflüchteten unzureichend gesichert. (https://www.dkhw.de/schwerpunkte/kinderrechte/kinderrechte-index/).«

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