„Wenn man eine Gesellschaft begreifen will, dann schaue man sich an, wie sie mit ihren Armen umgeht.“ (Georg Simmel)

Diskussion über gesellschaftliche Spaltung: „Armut und Reichtum verschärfen sich“

Welche Ursachen und Folgen hat die gesellschaftliche Spaltung? Was kann man dagegen tun? Die Wissenschaftler Michael Hartmann und Franz Schultheis sprachen in Stuttgart über die Spaltung der Gesellschaft

Unter dem Titel „Die gesellschaftliche Spaltung überwinden – Erkenntnisse aus der Eliten-Prekariatsforschung“ diskutierten im Hospitalhof in Stuttgart am 12. Februar die Soziologen Michael Hartmann und Franz Schultheis. Wie sehr das Thema vielen Menschen unter den Nägeln brennt, zeigte sich am Andrang: 360 Besucherinnen und Besucher kamen. Eingeladen waren zwei Wissenschaftler, dich sich intensiv mit den Menschen beschäftigten, die in der gesellschaftlichen Schicht ganz unten und ganz oben stehen. Die Veranstaltung wurde organisiert von der „Denkfabrik – Forum für Menschen am Rande“, dem EFAS (Evangelischer Fachverband für Arbeit und soziale Integration), dem KDA (Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt) und dem Hospitalhof.

Armut ist nicht nur ökonomisch spürbar

Franz Schultheis (Seniorprofessor an der Zeppelin Universität in Friedrichhafen) erforscht schon seit Jahrzehnten mit Menschen in prekären Lebenslagen. An den Anfang seines Vortrags stellte er einen Satz des Soziologen Georg Simmel: „Wenn man eine Gesellschaft begreifen will, dann schaue man sich an, wie sie mit ihren Armen umgeht.“ Die Betrachtung der Armut habe sich seit den 1980er Jahren stark verändert: weg von der sozialökonomischen Betrachtung von Schichten hin zu der Betrachtung von Milieus, die nach Wertevorstellungen eingeteilt werden. Insgesamt werde das Problem der Armut in Deutschland verkannt, stattdessen gäbe es ein tradiertes Bild einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“. Dem widersprach Schultheis: „Armut ist nicht einfach eine ökonomische Mangellage. Armut ist multiform, sie nimmt die gesamte Daseinsform eines Menschen in Beschlag. Sie geht häufig mit Krankheiten einher, mit Handicaps aller Art.“ Armut vererbe sich genauso wie der Elitestatus, so Schultheis.

Im Folgenden kam Schultheis auch auf zwei Studien zu langzeitarbeitslosen Nichtwählern zu sprechen, die er wissenschaftlich begleitet hat. Dass Langzeitarbeitslose die Gruppe sind, die am wenigsten zu Wahl gehen, sei keine Überraschung, denn sie würden unter einer extremen Form der Ausgrenzung leiden. „Sie haben das Gefühl, dass ihnen niemand zuhört und dass sich nichts ändert.“ Als Gegenstrategien empfiehlt Schultheis massive Änderungen im Sozialstaat, etwa kostenlose Kitas. Finanziert werden könnte dies nach seiner Ansicht durch höhere Vermögens- und Erbschaftssteuern.

Die Ärmsten müssen mehr für das Wohnen ausgeben, die Reichsten weniger

Michael Hartmann (ehemals Professor für Soziologie an der Universität Darmstadt) warf den Blick auf die Eliten. Auch er sieht eine tiefe Spaltung der Gesellschaft, die aber von Durchschnittwerten verdeckt würden. So würden im Mikrozensus Haushaltseinkommen über 18.000 Euro monatlich statistisch nicht erfasst, gleichzeitig gäbe es 20.000 Einkommensmillionäre in Deutschland. Umgekehrt werden auf der Seite der Ausgaben beispielsweise indirekte Steuern oder Mieten nicht oder unvollständig statistisch erfasst. So habe sich die Belastung für Wohnkosten zwischen 1993 und 2013 sehr unterschiedlich entwickelt. Im Jahr 1993 habe das obere Fünftel 16 Prozent seines Einkommens für Wohnkosten aufwenden müssen, 2013 waren es nur noch 14 Prozent. Für das untere Fünftel stieg hingegen der Anteil im gleichen Zeitraum von 27 auf 39 Prozent.

„Es gibt eine Verschärfung der Armut und eine Verschärfung des Reichtums“, so Hartmann. Schuld daran seien politische Entscheidungen wie die Hartz-Reformen, aber auch der gewachsene Niedriglohnsektor oder die faktische Abschaffung der Erbschaftssteuer für die größten Unternehmen. Grund für die politischen Entscheidungen sei nach Ansicht Hartmanns, dass sich die (politischen) Eliten fast ausschließlich aus sich selbst rekrutieren. Ihre Herkunft präge das Denken und Handeln: „Sie bringen ein Denken mit, mit dem sie groß geworden sind und das ihre Entscheidung beeinflusst.“ Viele machten sich zwar ehrliche Sorgen, etwa um die Kinderarmut. „Doch wenn es praktisch wird und es geht ums Geld, ändert sich der Diskussionsstil.“, so Hartmann.

Auch Hartmann plädierte für eine Umverteilung von oben nach unten. Gleichzeitig müssten die Eliten aber auch diverser werden und somit mehr Bevölkerungsgruppen zu politischen Entscheidungsträgern werden. Als Beispiel für fehlenden Zugang zu Debatten und Entscheidungsprozessen führte Hartmann den Journalismus an. Menschen aus den prekären Schichten hätten oft nicht einmal die Ressourcen für ein Praktikum im Journalismus und können daher an diesem gesellschaftlichen Teilbereich nicht aktiv teilnehmen. Eine Möglichkeit dies zu ändern wäre laut Hartmann zum Beispiel eine bessere Bezahlung von Praktika.

von Friedrich Kern (Neue Arbeit) und Lena Becher

Zum Weiterlesen:

O-Ton Arbeitsmarkt, Warum Langzeitarbeitslose der Demokratie den Rücken kehren, 13.09.2019.

Bild: Neue Arbeit gGmbH

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