„Der durchschnittliche Stundenlohn des einkommensärmsten Zehntels kletterte 2016 um 15 Prozent.“

von Dierk Hirschel (Frankfurter Rundschau, 26.2.2020)

Zwölf Euro sollten es mindestens sein.

Die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns im Januar 2015 war ein großer Erfolg. Mehr als vier Millionen Beschäftigte profitierten davon. Der durchschnittliche Stundenlohn des einkommensärmsten Zehntels kletterte 2016 um 15 Prozent. Die sozialversicherte Beschäftigung stieg in den Mindestlohnbranchen stärker als in anderen Sektoren. Die Erzählung vom Jobkiller Mindestlohn entpuppte sich als Märchen.

Die neue Lohnuntergrenze konnte Erwerbsarmut aber nicht beseitigen. Der Mindestlohn hat den Niedriglohnsektor nur nach unten abgedichtet. Das aktuelle Niveau von 9,35 Euro die Stunde ist nicht existenzsichernd und entspricht lediglich 46 Prozent des mittleren Einkommens. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens bezieht. Folglich arbeitet hierzulande noch immer jeder vierte Beschäftigte für einen Armutslohn. Damit hat Deutschland weiterhin einen der größten Niedriglohnsektoren Europas.

ver.di, Dr. Dirk Hirschel

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Unsere tägliche Kolumne von Gastautorinnen und Gastautoren im Wirtschaftsteil. Heute: Dirk Hirschel, Chefökonom der Gewerkschaft Verdi.

Deswegen sollte der gesetzliche Mindestlohn auf mindestens zwölf Euro erhöht werden. Das würde rund zehn Millionen Beschäftigten helfen. Eine kräftige Mindestlohnerhöhung würde die private Kaufkraft stärken und dadurch der aktuellen Konjunkturschwäche entgegenwirken. Um den Unternehmen die Anpassung zu erleichtern, könnte die Erhöhung auch in wenigen großen Schritten vollzogen werden.

Ein höherer Mindestlohn würde Branchen aufwerten, die in den letzten Jahrzehnten von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt wurden. Gleichzeitig würden geschlechtsspezifische Lohnunterschiede abgebaut. Weniger Lohnkonkurrenz nach unten würde auch den Gewerkschaften helfen, oberhalb des Mindestlohns neue Tarifstrukturen aufzubauen. Insofern würde ein höherer Mindestlohn auch die Tarifpolitik stärken.

Die paritätisch besetzte Mindestlohnkommission – drei Gewerkschafts- und drei Arbeitgebervertreter – kann aber den Mindestlohn mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht substantiell erhöhen. Ihre Geschäftsordnung sieht lediglich vor, die Lohnuntergrenze an die Tariflohnentwicklung anzupassen. Davon kann die Kommission nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit abweichen. Folglich ist die Politik am Zug. Die große Koalition sollte den Mindestlohn auf mindestens zwölf Euro anheben. Das ist sozialpolitisch notwendig und ökonomisch vernünftig.

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