Studie zu Folgen der Coronapandemie: Vor allem Geringverdiener müssen Einbußen bei Löhnen hinnehmen.

Klassengesellschaft

Jeder Vierte verliert

Studie zu Folgen der Coronapandemie: Vor allem Geringverdiener müssen Einbußen bei Löhnen hinnehmen

Von Bernd Müller jw 11.07.2020

Die Coronapandemie belastet in Deutschland vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen. Das ist eines der ersten Ergebnisse einer Onlinebefragung, die am Freitag von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung präsentiert wurden. Die Lockerungen der Kontaktbeschränkungen haben demnach diesen Menschen nicht geholfen: Ungleichheiten bei Einkommen und beruflichen Möglichkeiten vergrößern sich weiter.

Die Befragung ist die zweite ihrer Art. 6.309 Erwerbstätige wurden zwischen Mitte und Ende Juni für die repräsentative Studie interviewt. Die erste wurde im April durchgeführt. Der Vergleich der Ergebnisse beider Befragungen zeigt: Die Zahl der Erwerbstätigen, die Einbußen bei ihren Einkommen hinnehmen mussten, ist angestiegen. Ihr Anteil stieg zwischen April und Juli von 20 auf 26 Prozent.

Die Umfrageergebnisse dokumentieren eine enorme soziale Spreizung: In Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 1.500 Euro berichteten 40 Prozent von Einbußen, bei denen mit bis zu 2.600 Euro waren es 30 Prozent, und bei denen mit über 3.200 Euro im Monat klagten nur noch 22 Prozent über Lohneinbußen.

Dennoch blicken inzwischen mehr Menschen optimistischer in die Zukunft: Die Quote derer, die sich Sorgen um ihr wirtschaftliches Auskommen und ihren Arbeitsplatz machen, ist im Vergleich zum April um zwölf Prozent zurückgegangen. Auch hier zeigt sich der soziale Unterschied: In der höchsten Einkommensgruppe rechnen 60 Prozent damit, generell von Einkommensverlusten verschont zu bleiben, in der untersten waren es dagegen nur 36 Prozent. Die Zahl der Personen mit Zukunftsängsten sank auch in den höheren Einkommensgruppen am deutlichsten; in der untersten bleib sie mit 83 Prozent fast unverändert auf sehr hohem Niveau.

Frauen besonders betroffen

In der Coronapandemie wurde auch deutlich, dass traditionelle Geschlechterrollen in der Bundesrepublik längst nicht überwunden sind. Es sind nach wie vor die Mütter, die sich hauptsächlich um die Kinder kümmern. Im Vergleich zum April ist der Anteil der Väter, die vor allem den Nachwuchs betreuen, gesunken.

Zwar öffneten im Juni viele Kindergärten, Krippen und Schulen wieder, von einem Normalbetrieb waren sie indes weit entfernt. Mehr als jeder zweite Vater gab für diese Zeit an, dass sich vor allem die Frau in der Beziehung um die Kinder kümmere. Nur neun Prozent der Väter sagten, sie würden den Hauptanteil der Sorgearbeit übernehmen. Ähnlich – wenn auch mit kleinen prozentualen Unterschieden – sahen es die befragten Frauen.

Die Befürchtung bleibe, »dass sich Mütter und Väter unter dem Druck der Krise wieder an traditionelle Rollenmuster gewöhnen«, sagte Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, bei der Vorstellung der Umfrageergebnisse am Freitag.

Man könne an dieser Stelle keine Entwarnung geben, und man sehe spürbare Effekte bei der Arbeitszeit: Die Differenz zwischen der Arbeitszeit von Müttern und Vätern stieg von zehn auf zwölf Stunden. Väter arbeiten laut der Umfrage durchschnittlich 38 Stunden, Mütter dagegen nur 26 Stunden.

Trotz aller Probleme und Zukunftsängste zeigten sich rund zwei Drittel der Befragten zufrieden mit dem »Krisenmanagement« der Bundesregierung. Bei den Zustimmungswerten offenbarten sich aber erneut die sozialen Unterschiede: Vor allem Haushalte mit geringen Einkommen sind unzufrieden. In der untersten Einkommensgruppe waren nur 46 Prozent zufrieden mit der Regierungspolitik, bei der höchsten waren es dagegen 72 Prozent. Darüber hinaus hegen fast 40 Prozent aller Befragten den Verdacht, die Pandemie könnte benutzt werden, »um die Interessen von Reichen und Mächtigen durchzusetzen«. Auch hier: Je höher das Einkommen, desto mehr Vertrauen.

Stabilität in Gefahr

»Angesichts der enormen weltweiten Erschütterungen durch die Pandemie zeigt sich die deutsche Gesellschaft bislang vergleichsweise stabil«, sagte Kohlrausch. Die Gründe dafür sieht sie in einem angeblich handlungsfähigen Sozialstaat und in der auf Klassenversöhnung setzenden Sozialpartnerschaft. Zufrieden zurücklehnen könne man sich aber nicht, so die Direktorin: Die noch vorhandene Stabilität könne »ins Kippen geraten, wenn diejenigen, die schon vorher finanziell und sozial schlechter gestellt waren, in der Krise noch weiter zurückfallen«.

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