Corona: Verschärfung der Einkommensungleichheit

6 DISKUSSION UND FAZIT

  1. Anhebung des Kurzarbeitsgeldes: Das Kurzarbeitsgeld entspricht in den ersten drei Monaten maximal 60 % bzw. 67 % für Beschäftigte mit mindestens einem Kind. 9 Insbesondere bei Beschäftigten im Niedriglohnsektor können diese Einkommenseinbußen drastische Folgen haben, da ihre Einkommen damit unter dem Existenzminimum liegen. Aus diesem Grund sollte hier zusätzlich zu den gesetzlichen Regelungen zur Aufstockung des Kurzarbeitsgeldes ein Mindest-Kurzarbeitsgeld definiert werden, dass die Existenz auch während der Krise sichert. Dieses Mindest-Kurzarbeitsgeld sollte sich wie zum Beispiel in Frankreich am Mindestlohn orientieren und sollte somit die Grenze von 1.200 Euro nicht unterschreiten (Bispinck/Schulten 2020).
  2. Gewährleistung institutioneller Kinderbetreuung: Die Einschränkung der institutionellen Kinderbetreuung insbesondere zu Beginn der Krise hat verdeutlicht, dass insbesondere die Beschäftigten, die keine Möglichkeiten haben im Homeoffice zu arbeiten, ihre Arbeitszeit reduzieren mussten, um ihre Kinder betreuen zu können. Da insbesondere Geringqualifizierte nur selten von zu Hause aus arbeiten können, muss die institutionelle Kinderbetreuung gewährleistet sein, damit gerade diese Eltern ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Darüber hinaus bedarf es einer Kompensation der Einkommenseinbußen von Familien, insbesondere in den niedrigeren Einkommensgruppen. Ein denkbares Instrument wäre die erneute Auszahlung eines erhöhten Kinderbonus. Da dieser mit dem Kinderfreibetrag verrechnet wird, käme dieser vor allem unteren und mittleren Einkommen zugute.
  1. Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten: Durch die Krise hat die Digitalisierung einen großen Schub erfahren, sodass sich auch langfristig die Nachfrage nach einzelnen Jobs ändern wird. Insbesondere Tätigkeiten geringqualifizierter Beschäftigter könnten damit langfristig verloren gehen. Hierbei kommt insbesondere das Arbeit-von-morgen-Gesetz bzw. das Qualifizierungschancengesetz zum Tragen, das Betrieben in Kurzarbeit durch eine (zumindest teilweise) Übernahme der Weiterbildungskosten die Qualifizierung der Beschäftigten erleichtert. Allerdings gilt es hier die Voraussetzungen zeitweise anzupassen, um das Potenzial der Weiterbildung während der Kurzarbeit besser auszuschöpfen zu können. Denkbar sind hier zum Beispiel auch höhere Qualifikationen also zum Beispiel den Meister oder Techniker oder weitere nicht nach §82 SGBIII geförderten Maßnahmen zu berücksichtigen.
  1. Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes: Die aktuellen Regelsätze des ALGII (Harz IV) sind in der jetzigen Ausgestaltung nicht armutsfest. Es empfiehlt sich daher eine sofortige Erhöhung der Regelsätze auf ein bedarfsgerechtes Niveau unter einer dauerhaften Anhebung der Vermögensfreibeträge.
  1. Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I: Mit einer Verlängerung der Bezugsdauer der ALG I über das Jahr 2020 hinaus bis zum Ende der Krise könnten jene vor weiteren Einkommensverlusten geschützt werden, die aufgrund des krisenbedingten Rückgangs von Neueinstellungen aktuell keine neue Arbeit aufnehmen können.

Um die Kluft zwischen arm und reich langfristig zu reduzieren, sind insbesondere folgende Maßnahmen notwendig:

  1. Verringerung des Niedriglohnsektors durch Anhebung des Mindestlohns: Um die Einkommensarmut zu reduzieren, müssen die Löhne im Niedriglohnsektor erhöht bzw. der Niedriglohnbereich weitestgehend abgeschafft werden. Hierfür muss der Mindestlohn schrittweise angehoben werden. Die Höhe des Mindestlohns beschreibt hierbei eine existenzsichernde Lohnuntergrenze, die nach EU-Konventionen 60 % des Medianlohns von Voll-zeitbeschäftigten entspricht, und momentan bei ca. 12 Euro liegt (Schulten 2020). Weiterhin sollte bei der Reformierung des Mindestlohn-gesetz neben diesem relativen Schwellenwert auch dieser existenzsichernde Mindestlohn als absolute Lohnuntergrenze gesetzlich verankert werden.
  2. Stärkung der Tarifbindung: Der Ausbau der Tarifbindung spielt eine wesentliche Rolle bei der Reduktion des Niedriglohnbereichs. Denn insbesondere Beschäftigte mit geringem Monatsentgelt arbeiten deutlich seltener in Betrieben, die nach Tarifvertrag entlohnen (Schulten/Müller 2020). Eine Stärkung des Tarifvertragssystem würde demnach insbesondere dem Niedriglohnsektor zugutekommen. Hierzu sollten das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung erleichtert und Tariftreuevorgaben bei öffentlichen Aufträgen gestärkt werden.
  3. Besteuerung von Kapitalerträgen und Reformierung der Erbschaftssteuer: Um ein weiteres Ansteigen der Vermögenskonzentration zu vermeiden, müssen Kapitalerträge stärker besteuert werden. Daher sollten sie in die Einkommenssteuer integriert werden und somit progressiv anstatt wie bisher pauschal besteuert werden. Zudem sollten sehr hohe Erbschaften stärker besteuert werden, zum Beispiel durch eine Anhebung des Steuersatzes von außerordentlich hohen Unternehmensübertragungen. Weiterhin sollte die Mehrfachnutzung von Freibeträgen bei Schenkungen eingeschränkt werden.
  4. Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen von Migrant*innen: Der vorliegende Bericht zeigt, dass Migrant*innen ein deutlich höheres Armutsrisiko haben als Personen ohne Migrationsgeschichte. Daher müssen von staatlicher Seite deutlich mehr Anstrengungen unternommen werden, ausländische (Aus-)Bildungsabschlüsse anzuerkennen. Weiterhin sollte das Angebot an Qualifizierungsangeboten zum Beispiel zur Behebung von Sprachbarrieren ausgebaut werden. Zudem müssen potenzielle Diskriminierungsprozesse stärker in den Blick genommen und beseitigt werden.
  5. Bedarfsorientierte Beratung für Bedürftige: Um die Ungleichheiten der Einkommen zu reduzieren, ist neben finanzieller auch soziale Unterstützung nötig. Dies schließt zum Beispiel auch eine unbürokratische Hilfestellung bei Schulden oder Suchtproblemen ein.

Download der Studie:

https://www.boeckler.de/download-proxy-for-faust/download-pdf?url=http%3A%2F%2F217.89.182.78%3A451%2Fabfrage_digi.fau%2Fp_wsi_report_62_2020.pdf%3Fprj%3Dhbs-abfrage%26ab_dm%3D1%26ab_zeig%3D9133%26ab_diginr%3D8483

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