Um (den zusätzlichen Bedarf) bis zum Jahr 2025 zu decken, werden in Westdeutschland für Kinder bis zum Schuleintritt rund 462.000 bis 630.000 zusätzliche Plätze in der Kindertagesbetreuung benötigt. Das entspricht zwischen 18 und 24 Prozent der im Jahr 2019 vorhandenen Kita-Plätze.

Von einem Rechtsanspruch (auf dem Papier) und einem Mangel an Plätzen und Fachkräften.

Eine neue Studie über die Kita-Landschaft in West- und Ostdeutschland

»Der Ausbau der Kindertagesstätten hält mit dem Bedarf nicht Schritt. Größtes Hemmnis ist, dass nicht genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen«, so Edeltraud Rattenhuber in ihrem Artikel unter der bezeichnenden Überschrift Viele Familien werden leer ausgehen. Es geht mal wieder um den wohlfeilen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. »Zumindest in westdeutschen Kitas steht … auf lange Sicht zu wenig qualifiziertes Personal zur Verfügung, um mit den Wünschen der Eltern nach einem Kita-Platz Schritt halten zu können. Das liegt vor allem daran, dass die Schere zwischen Platzangebot und Nachfrage in den westdeutschen Ländern weiter auseinandergegangen ist.«

Der eine oder andere wird sich erinnern – als der damals vor allem ideologisch heftig umstrittene, schon ein vielen Jahren verabschiedete Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für die unter dreijährigen Kinder zum August 2013 scharf gestellt wurde, da gab es eine aufgeheizte Debatte über ein drohendes „Kita-Chaos“ aufgrund fehlender Angebote (vor allem in Westdeutschland). Dabei ging man damals von einer „bedarfsdeckenden Quote“ in der Größenordnung von 35 Prozent aus.

Mittlerweile wünschen sich 50 Prozent der Eltern einen Kita-Platz für ihre unter dreijährigen Kinder, berichtet Rattenhuber in ihrem Artikel. Sie stützt sich dabei auf eine neue Studie, die ein Forschungsverbund des Deutschen Jugendinstituts und der TU Dortmund dazu veröffentlicht hat:

➔ Thomas Rauschenbach, Christiane Meiner-Teubner, Melanie Böwing-Schmalenbrock und Ninja Olszenka (2020): Plätze. Personal. Finanzen. Bedarfsorientierte Vorausberechnungen für die Kindertages- und Grundschulbetreuung bis 2030. Teil 1: Kinder vor dem Schuleintritt, Dortmund: Forschungsverbund DJI/TU Dortmund, Dezember 2020

Ein Teil 2 zur Ganztagsbetreuung im Grundschulalter und Teil 3 mit Analysen auf der Ebene der Bundesländer werden noch folgen.

Eine Zusammenfassung der wichtigsten Befunde findet man auf der Seite des Deutschen Jugendinstituts unter der Überschrift Akuter Personalmangel in westdeutschen Kitas, Potenzial für Qualitätsverbesserungen in Ostdeutschland. Dort wird man sogleich mit dem Mangel konfrontiert: »Für einen Kita-Ausbau, der den Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kindertagesbetreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr erfüllt und den Bedarf der Eltern deckt, fehlen in den westdeutschen Bundesländern in den kommenden fünf Jahren mindestens 20.400, gegebenenfalls sogar bis zu 72.500 Kita-Fachkräfte. Das entspricht vier bis 15 Prozent des Personalbestands in Kindertageseinrichtungen für Kinder bis zum Schuleintritt im Jahr 2019.«

Interessant ist aber auch der Hinweis, dass wir in einem Land der Ungleichheiten leben: Der Mangel (an Personal und auch vielerorts an Plätzen) ist vor allem ein westdeutsches Problem, während es in Ostdeutschland nicht nur schon immer mehr und ausreichend Plätze gab (allerdings bei einem im Vergleich zu vielen Regionen im Westen katastrophal schlechten Personalschlüssel), sondern: »In den ostdeutschen Ländern werden hingegen bald schon mehr Fachkräfte ausgebildet als benötigt werden.«

Wie kommen die Wissenschaftler auf eine Spannbreite zwischen 20.400 und 72.500 fehlenden Fachkräften in Westdeutschland? Wie immer geht es hier um die Annahmen, die man den Kalkulationen zugrunde legt, die Autoren sprechen von einer „Kombination wahrscheinlicher Szenarien“:

»Angenommen, der Personalbedarf ist niedrig und eine hohe Anzahl an Erzieherinnen startet nach der Ausbildung tatsächlich in das Arbeitsfeld Kita, wächst die Personallücke bis zum Jahr 2023 auf einen Wert von 20.400 fehlenden Fachkräften. Geht man jedoch von einem höheren Bedarf aus bei gleichzeitig weniger neu ausgebildeten Erzieherinnen, die in die Kitas einmünden, würde die Personallücke 2025 mit 72.500 fehlenden Fachkräften den Höchststand erreichen. In beiden Fällen verringert sie sich danach zwar wieder leicht. Zumindest bis zum Jahr 2026 muss allerdings mit einem ungedeckten Personalbedarf gerechnet werden.«

➔ Immerhin wird noch ergänzend darauf hingewiesen, dass es neben den Kindertageseinrichtungen auch die Kindertagespflege gibt. Und auch dort gibt es rechnerisch einen steigenden Personalbedarf: »Hinzu kommt, dass für die Kindertagespflege bis 2030 voraussichtlich weitere 13.000 bis 17.000 Personen benötigt werden.« Zur Einordnung dieser Größe: Am 1. März 2019 gab es ausweislich der Daten der Kinder- und Jugendhilfestatistik in Deutschland insgesamt 44.722 Kindertagespflegepersonen – das würde bedeuten, dass bis 2030 die Zahl der Tagesmütter und -väter in einem Bereich zwischen +29 bis +38 Prozent gegenüber dem derzeitigen Stand gesteigert werden müsste!

Und auf eines muss man bei der Bewertung der präsentierten Bedarfszahlen unbedingt hinweisen: »Geplante Qualitätsverbesserungen sind in diesen Szenarien noch nicht berücksichtigt, beispielsweise beim Personalschlüssel in den Kita-Gruppen, sodass sich der Personalbedarf unter diesen Gesichtspunkten weiter erhöhen dürfte. Die Vorausberechnungen beziehen sich allein auf die Bereitstellung eines bedarfsdeckenden Angebots für Kinder vor dem Schuleintritt – ein Versprechen, das seit Einführung der Rechtsansprüche seiner Umsetzung harrt.« Das bedeutet, die Quantifizierung des notwendigen zusätzlichen Fachkräftebedarfs schreibt die bestehenden – und in der fachwissenschaftlichen und fachpolitischen Diskussion seit Jahren massiv kritisierten – Personalausstattungen in den Kindertageseinrichtungen fort.

Der zusätzliche (und unter Berücksichtigung der Fortschreibung bestehender Zustände als Untergrenze zu verstehende) zusätzliche Personalbedarf ergibt sich unter anderem aus dem weiterhin bestehenden Bedarf an zusätzlichen Kita-Plätzen für Kinder bis zum Schuleintritt. Dieser wird maßgeblich durch zwei Größen beeinflusst: die demografische Entwicklung und den unerfüllten Elternbedarf:

»Um (den zusätzlichen Bedarf) bis zum Jahr 2025 zu decken, werden in Westdeutschland für Kinder bis zum Schuleintritt rund 462.000 bis 630.000 zusätzliche Plätze in der Kindertagesbetreuung benötigt. Das entspricht zwischen 18 und 24 Prozent der im Jahr 2019 vorhandenen Kita-Plätze. Bis zum Jahr 2030 dürfte der Bedarf allerdings wieder um 90.000 bis 95.900 Plätze zurückgehen.« Es müssten demnach mehr als 500.000 Plätze zusätzlich geschaffen werden, von denen aber knapp jeder fünfte Platz nur vorübergehend benötigt wird.

Und wenn man so weiter macht wie bisher? »Würde sich lediglich die bisherige Ausbaugeschwindigkeit fortsetzen, könnte der Platzbedarf für Kinder unter drei Jahren erst viele Jahre später, zwischen den Jahren 2028 und 2030, gedeckt werden und für Kinder zwischen drei Jahren und dem Schuleintritt erst in den Jahren 2023 bis 2026.«

Ostdeutschland ist mal wieder anders, also auf den ersten Blick: »Deutlich anders stellt sich die Lage in Ostdeutschland dar: Sofern die Ausbildungszahlen weiterhin stabil und die aktuellen Personalschlüssel unverändert bleiben, werden dort deutlich mehr Fachkräfte ausgebildet, als für die Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern bis zum Schuleintritt benötigt werden.«

»In den ostdeutschen Ländern könnte daher eine Qualitätsoffensive gestartet werden, mit der die immer wieder kritisierten Personalschlüssel verbessert werden könnten«, so die Wissenschaftler in ihrer Studie. »Von einer Senkung der Ausbildungskapazitäten rät die Autorengruppe ab, nicht zuletzt, weil von den verfügbaren Fachkräften andere Arbeitsfelder profitieren könnten, beispielsweise die ganztägige Betreuung von Grundschulkindern.«

Da war doch noch was? Genau, der Rechtsanspruch 2.0 ante portas

Nun kommt ein weiterer Rechtsanspruch hinzu, dessen Realisierung erhebliche zusätzliche Personalressourcen binden würde. Nach dem Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr bis zum Schuleintritt liegt der politische Fokus seit einiger Zeit auf einem weiteren Rechtsanspruch: auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter. Dieser soll bis 2025 verwirklicht werden. Bereits in den vergangenen Jahren ist das Angebot ausgeweitet worden. Insgesamt sind etwa 90.000 Beschäftigte in Bildungs- und Betreuungsangeboten für Grundschulkinder tätig. Im Fall eines Rechtsanspruchs muss ihre Zahl noch deutlich ausgeweitet werden. Wo sollen die herkommen? Auf eine Abschätzung der Größenordnung des damit einhergehenden Bedarfs an Personal wird der angekündigte Teil 2 des Forschungsverbunds von DJI und TU Dortmund eine erste Annäherung geben.

Die Wissenschaftler haben eine wichtige Schneise geschlagen für die politische Diskussion über eine gelingende Realisierung einmal in die Welt gesetzter Rechtsansprüche jenseits ihres Papiertiger-Daseins. Es kann sich dabei nur um eine grobe Abschätzung handeln, denn die Vogelperspektive, die hier wie bei allen Untersuchungen, die der Frage nachgehen, wie viel Personal den insgesamt fehlt, können dem Grundproblem nicht ausweichen, dass die tatsächliche Versorgungssituation durch die kleinräumigen Verhältnisse vor Ort bestimmt werden. Und im Bereich der Kindertagesbetreuung (wie auch in anderen derzeit unter besonderer Aufmerksamkeit stehenden Bereiche wie der Pflege) gibt es keinen nationalen Arbeitsmarkt, sondern wir haben es in der Regel mit lokalen, maximal regionalen Arbeitsmärkten zu tun, was im übrigen quantitative Austauschspielereien auf das reduzieren, was sie sind: Theorie.

Und hinzu kommt für die Praxis in vielen Einrichtungen ein höchst relevanter, weil täglich spürbarer Effekt: Selbst wenn auf dem Papier gerade so die Mindestausstattung mit Personal gegeben ist, so erweist sich das oft als eine rein rechnerische Größe, wenn man bedenkt, dass es sich bei vielen Kitas eher um kleine Betriebe handelt, in denen durch was auch immer bedingte Personalausfälle hart zu Buche schlagen. Und die Ausfallzeiten sind ein höchst reales Problem, vgl. dazu beispielsweise den Beitrag Aus der Welt des realen Fachkräftemangels: Pädagogische Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen fehlen immer mehr und länger und andere fallen aus vom 29. Januar 2020.

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