„Wir halten die Einrichtung des „Runder Tisch Kinderarmut“unter Einbeziehung der mit Kinderarmut befassten Organisationen und Verbänden in Herne weiterhin für dringend erforderlich.“ (verdi)

Kinderarmut: ver.di sieht dringenden Handlungsbedarf!

 

Der ver.di Ortsvorstand Herne fordert die schnelle Einführung einer bedarfsgerechten Kindergrundsicherung und drängt die politischen Mandatsträger in der Stadt auf, sich auf allen politischen Ebenen mit diesem Thema zu beschäftigenund die Umsetzung voran zu bringen.

 

Wir halten die Einrichtung des „Runder Tisch Kinderarmut“unter Einbeziehung der mit Kinderarmut befassten Organisationen und Verbänden in Herne weiterhin für dringend erforderlich.

Kinderarmut bedeutet in Herne:

2020 lebten mehr als 6400 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren

von Leistungen nach dem SGB 2. Die Gesamtzahl armer Kinder,

die bei einem alleinerziehenden Elternteil oder in Haushalten

leben und auf welche die Armutsdefinition anzuwenden ist,

liegt jedoch wesentlich höher.

2019 waren 20,4 % der versicherungspflichtigen Beschäftigten in

Herne im Niedriglohnsektor beschäftigt. Ca. 13500 Beschäftigte

befanden sich Ende 2020 in Kurzarbeit. (Statistik der Bundesanstalt

für Arbeit- hochgerechneter Schätzwert)

Hinzu kommen noch alle Berufstätigen, die keine Ansprüche auf

Kurzarbeitergeld haben, aber auch keine Einkünfte, wie Selbstständige,

Soloselbstständige, Kunstschaffende und Minijobber.

Durch die Auswirkungen der Coronakrise hat sich die finanzielle

Situation in vielen Haushalten in Herne drastisch verschlechtert.

Mehr als 21.000 Menschen in Herne sind überschuldet. Die Zahl

der Privatinsolvenzen steigt stetig. (Creditreform Bochum)

 

Bei einer Dunkelziffer zur Kinderarmut von ca. 35% (bundesweit,

Veröffentlichung mehrerer Wohlfahrtsverbände) und der Sozialstruktur

in Herne, muss man von mehr als 9000 Kindern und Jugendlichen

in Armut ausgehen.

 

Das ist nicht akzeptabel.

 

Unserer Meinung nach kann dieser Kreislauf durch eine auskömmliche,

dem Kindesbedarf angepasste Kindergrundsicherung

durchbrochen werden.

Hintergründe:

Selbst die ASMK (Die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister*

innen der Bundesländer) hat im November 2020 einen Beschluss

zur Einführung einer Kindergrundsicherung beschlossen.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert dies schon seit langem.

Dabei wurde auch berücksichtigt, dass viele Anspruchsberechtigte

Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabegesetz

nicht abrufen. In Herne werden lediglich ca. 30 % des „Topfes“ in

Anspruch genommen.

Die Ungleichbehandlung von armen Kindern mit all ihren negativen

Auswirkungen bis oft in das Erwachsenenalter hinein muss

aufhören.

Wie hoch soll die Kindergrundsicherung sein?

Welche Berechnungen liegen dieser Summe zugrunde? Verfassungsrechtlich

notwendiger Betrag für das sächliche Existenzminimum:

393 EURO+ Betrag für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung

180 EURO= 573 EURO.

Erhalten letztendlich alle Kinder die gleiche Summe?

 

Nein. Familien ohne oder mit geringem Einkommen erhalten die

gesamte Leistung in Höhe von 573 Euro. Mit steigendem Einkommen

wird die Leistung gemäß dem Einkommensteuertarif bis

zum Mindestbetrag von ca. 290 Euro bei Spitzeneinkommen abgeschmolzen.

 

Bis zu welchem Alter soll die Kindergrundsicherung gezahlt werden?

Die Leistung wird für alle Kinder und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr gewährt. Junge

Erwachsene in Ausbildung oderStudium erhalten analog zum Kindergeld bis zum 25.

Lebensjahr den Mindestbetrag von ca. 290 Euro als Pauschale. Gleichzeitig bleibt der

Anspruch auf BAföG und ähnliche Förderleistungen neben dem pauschalen Betrag der

Kindergrundsicherung bestehen.

 

Soll die Kindergrundsicherung immer gleich hoch bleiben?

 

Nein. Die Höhe der Kindergrundsicherung soll sich am aktuellen

soziokulturellen Existenzminimum orientieren und dabei

stetig an die Inflationsrate angepasst werden.

 

Auf welcher Ebene soll die Kindergrundsicherung ausgezahlt

werden? Die Auszahlung soll die Familienkasse und damit der

Bund übernehmen. (Konzept zur Kinderarmut des Deutschen

Kinderschutzbundes.)

 

Kinderarmut

 

Laut einer Studie wächst jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut auf.

Das sind 2,8 Mio. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die Kinderund

Jugendarmut verharrt seit Jahren auf diesem hohen Niveau.

 

Wie wird Armut gemessen?

 

Es gibt zwei in der Wissenschaft anerkannte Armutsdefinitionen:

1.Sozialstaatlich definierte Armutsgrenze: Kinder gelten als arm, die in

einem Haushalt leben, der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch

Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II/Hartz IV)

erhält.

2.Relative Einkommensarmut: Kinder gelten als armutsgefährdet, die

in Haushalten leben, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des

mittleren Einkommens (Median des Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens)

aller Haushalte beträgt.

 

Um Haushaltseinkommen zwischen Haushalten mit unterschiedlicher

Größe und Alterszusammensetzung miteinander vergleichen zu können,

wird das Nettoäquivalenzeinkommen berechnet. Dazu wird das

gesamte Nettoeinkommen eines Haushalts durch die Anzahl der Personen

im Haushalt – gewichtet mit der neuen OECD-Skala – dividiert.

Die OECD-Skala weist den Mitgliedern eines Haushaltes unterschiedliche

Faktoren zu. Der Haushaltsvorstand erhält dabei den Faktor 1,

weitere Personen über 14 Jahre im Haushalt erhalten den Faktor 0,5

und Kinder bis 14 Jahre den Faktor 0,3. Zur Kritik an der OECD-Skala

siehe Garbuszus u.a. (2018). Was bedeutet „Armut“ in Deutschland? In

einem reichen Land wie Deutschland wird Armut im Vergleich zum

Lebensstandard der Bevölkerung insgesamt beschrieben: Arm ist demnach,

wer über so wenig Einkommen bzw. Besitz verfügt, dass es nicht

möglich ist, den Lebensstandard zu haben, der in unserer Gesellschaft

als selbstverständlich bzw. normal gilt. Kinder- und Jugendarmut ist

auch Familienarmut und muss daher immer im Zusammenhang mit der

Situation der Familie betrachtet werden. Kinder und Jugendliche können

nichts dafür, wenn sie in armen Verhältnissen aufwachsen. Sie

trifft keine Schuld! Sie haben auch keine Möglichkeiten, sich selbst aus

ihrer Armut zu befreien. Für zwei Drittel der betroffenen Kinder und

Jugendlichen ist dies ein Dauerzustand: Sie leben mindestens fünf Jahre

durchgehend oder wiederkehrend in Armut (Tophoven u.a. 2017).

Kinderarmut verharrt seit Jahren auf konstant hohem Niveau, obwohl

es in dieser Zeit eine teils sehr gute wirtschaftliche Entwicklung sowie

zahlreiche familienpolitische Reformen gab.

 

Welche Folgen hat Armut für Kinder und Jugendliche?

 

Auf der Grundlage verschiedener Studien können wir belegen, dass

Armut Kinder und Jugendliche begrenzt, beschämt und ihr Leben bestimmt.

Armut begrenzt bedeutet, sie… haben seltener einen Rückzugsort

oder ruhigen Ort zum Lernen Zuhause (13% im Vergleich zu 0,7%

in Familien mit gesichertem Einkommen), … sind in ihrer Mobilität

eingeschränkt (in der Hälfte der Familien im SGB II-Bezug fehlt ein Auto

aus finanziellen Gründen),.. haben öfter keinen Computer mit Internet

(24% im Vergleich zu 2,2%).

 

Die Daten und Fakten im folgenden Abschnitt beziehen sich auf

Andresen/Galic (2015), Andresen/Möller (2019), Laubstein et al.

(2016), Lietzmann/Wenzig (2020), Tophoven et al. (2017, 2018). Kinder

und Jugendliche aus Familien mit drei und mehr Kindern19,1 Prozent

der Paarfamilien mit drei und mehr Kindern und 66,7 Prozent der Alleinerziehenden

mit drei und mehr Kindern beziehen SGB II Leistungen.

In allen Familienhaushalten steigt die Armutsbetroffenheit

mit der Kinderzahl – und sie sind jeweils häufiger betroffen als vergleichbare

Haushalte ohne Kinder, obwohl es mehrere familienpolitische

Leistungen (Kindergeld, Kinderzuschlag etc.) für sie gibt.

 

Auswirkungen:

 

Freunde nach Hause einladen fehlt aus finanziellen Gründen.

Fehlende ausreichend Winterkleidung.

Fehlender Platz zum Lernen und für Hausaufgaben.

Fehlendes regelmäßiges Taschengeld

Kindern unter 15 Jahren und ihren Familien… können selten neue Kleidung

kaufen (24,5% können aus finanziellen Gründen nicht ab und zu

neue Kleidung kaufen),…sind seltener Mitglied in einem Verein,…

können kaum etwas mit Freund:innen unternehmen, was Geld kostet

(z.B. ins Kino gehen, Eis essen), … erhalten seltener von ihren Eltern

Taschengeld (20% der Eltern im SGB II-Bezug, aber nur 1,1% der Eltern

in gesicherten Einkommenslagen geben ihren Kindern aus finanziellen

Gründen kein Taschengeld),…können nicht mit der Familie eine Woche

im Jahr in den Urlaub fahren (67,6% der Familien im SGB II-Bezug

fahren aus finanziellen Gründen nicht in den Urlaub im Vergleich zu

12,1% aus anderen Familien),…kommen aus ihrer eigenen Lebenswelt

bzw. ihrem Umfeld nicht heraus,…können oft nicht mit auf Klassenfahrt,

keinen Schulaustausch mitmachen etc. Armut beschämt bedeutet,

sie… können seltener Freund:innen nach Hause einladen (28,3% im

Vergleich zu 17%),…sie schämen sich, wenn Freund:innen zu ihnen

kommen.

 

Es werden Einladungen zum Geburtstag ausgeschlagen, weil sie kein

Geschenk haben oder selbst keinen Geburtstag feiern können, … müssen

bei Lehrer:innen oder Trainer:innen stigmatisierende Anträge für

Klassenfahrten, Freizeitangebote o.ä. stellen – oder sie melden sich

krank und fahren nicht mit,…erfinden Ausreden, wenn sie nichts mit

Freund:innen machen können, weil sie kein Geld haben,… werden

häufiger ausgegrenzt und erleben Gewalt etc. Armut bestimmt ihr Leben

bedeutet, sie… machen sich Sorgen um die finanzielle Situation

ihrer Familie, … fühlen sich in unserer Gesellschaft unsicherer als andere

junge Menschen und werden häufiger ausgegrenzt, gehänselt oder

erleben Gewalt,…können nicht für die Zukunft sparen und haben damit

weniger Handlungsperspektiven,.. sind häufiger von gesundheitlichen

Beeinträchtigungen betroffen, neigen stärker zu riskantem Gesundheitsverhalten

(Bewegungsmangel, Rauchen) und leiden häufiger

unter sozialen und psychischen Belastungen, … haben geringere Bildungschancen

und erleben im Bildungssystem Benachteiligungen – der

Schulstart verläuft seltener regelhaft, sie wiederholen häufiger eine

Klasse, sie haben (außer im Fach Sport) schlechtere Noten, erhalten bei

gleichen Leistungen seltener eine Empfehlung für das Gymnasium und

vollziehen seltener einen gelingenden Übergang von der Sekundarstufe

I in die Sekundarstufe II,…ziehen sich eher von ehrenamtlichen und

politischen Aktivitäten zurück, beteiligen sich weniger und fühlen sich

insgesamt weniger zugehörig in der Gesellschaft,…können weniger als

andere Kinder und Jugendliche an kulturellen und sozialen Aktivitäten

teilhaben, … erleben in nahezu allen Lebensbereichen Einschränkungen

aufgrund der Armut; dies kann in eine Abwärtsspirale führen und

Folgen für das ganze Leben der Kinder und Jugendlichen haben – das

muss aber nicht sein.

 

Armut hat Folgen für jeden einzelnen jungen Menschen – heute sowie für ihre/seine

Zukunft. Armut hat aber auch Folgen für die gesamte Gesellschaft, nicht nur mit Blick auf

Kosten in den Sozialsystemen, sondern auch auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt

und die Stabilität der Demokratie.

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