Studie zur Lage von Jugendlichen offenbart verbreitete Sorgen und Ängste bei Heranwachsenden. Von der Politik fühlt sich die Mehrheit im Stich gelassen.

Folgen des Shutdown

Frustriert und vergessen

Studie zur Lage von Jugendlichen offenbart verbreitete Sorgen und Ängste bei Heranwachsenden. Von der Politik fühlt sich die Mehrheit im Stich gelassen.
 
Von Ralf Wurzbacher junge welt 24. März 2021

Junge Menschen sind in der Coronakrise besonderen Härten ausgesetzt: Sie sitzen die meiste Zeit zu Hause fest, vermissen ihre Freunde, ihre Freizeitaktivitäten sind stark begrenzt, und viele stellt der Distanzunterricht vor Probleme. Das alles ist bekannt und wird auch öffentlich diskutiert. Allerdings blieb dies bislang weitgehend folgenlos. Bis auf die Rückkehr in einen zumeist eingeschränkten Schulbetrieb im Zweitagesturnus und bei halbierter Klassengröße hat die Politik bislang keine echten Erleichterungen für Kinder und Jugendliche umgesetzt. Das drückt erheblich auf die Stimmung, wie eine am Dienstag veröffentlichte Erhebung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ergeben hat. Nach deren Ergebnissen gaben 61 Prozent der über 7.000 Befragten an, sich teilweise oder dauerhaft einsam zu fühlen, 64 Prozent leiden unter psychischen Belastungen, und mehr als jeden dritten plagen Zukunftsängste.

Die von einem Forschungsverbund der Universitäten Hildesheim und Frankfurt am Main durchgeführte sogenannte Juco-Studie ist die zweite ihrer Art nach einer ersten Auflage während des Shutdowns im Frühjahr 2020. Damals hatte rund ein Viertel der ab 15jährigen Teilnehmer angegeben, finanzielle Sorgen zu haben. Bei der zweiten Fragerunde betraf dies schon jeden dritten. Insbesondere Studierende haben wegen der anhaltenden Schließung von Betrieben in der Gastronomie, im Einzelhandel sowie von Kinos und Theatern massenhaft Jobs verloren. Ihnen wird mit den von Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) aufgelegten Überbrückungshilfen nur unzureichend geholfen. Immerhin hat ihr Ministerium am vergangenen Freitag verkündet, das Zuschussprogramm für die Dauer des kommenden Sommersemesters aufrechtzuerhalten.

Das ist bloß ein schwacher Trost. Denn anders als bei den Schulen, für die wenigstens Teilöffnungen vorgenommen wurden, ist an den Unis ein Zurück zur Normalität nicht einmal ansatzweise in Sicht. Zu einer »differenzierten Mischung aus digitalen und Präsenzlehrangeboten« gebe es bis auf weiteres »keine Alternative«, hatte in der Vorwoche die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) erklärt. Tatsächlich findet Studium in Deutschland seit über einem Jahr praktisch nur noch zu Hause vorm Bildschirm statt. Die damit verbundenen Folgen für Studienorganisation und -bewältigung sowie die soziale und mentale Situation von Studenten finden in der medialen Öffentlichkeit kaum Beachtung. Vier Tage vor dem jüngsten »Coronagipfel« hatte der Deutsche Hochschulverband (DHV) die Dringlichkeit einer »Öffnungsperspektive« angemahnt. Im Beschlusspapier von Kanzlerin und Länderchefs werden die Hochschulen indes einmal mehr mit keiner Silbe erwähnt.

Das führt zu wachsendem Verdruss, der sich auch in den Befunden der Juco-Studie widerspiegelt. Die Mehrheit der Befragten beklagt demnach einen Mangel an Aufmerksamkeit und Unterstützung seitens Politik und Gesellschaft. 65 Prozent finden, ihre Sorgen und Ängste würden »eher nicht« oder »gar nicht« gehört werden. Der Vergleichswert bei der Vorgängeruntersuchung lag noch bei 45 Prozent. Zur fehlenden Wertschätzung dessen, was sie in der Pandemie leisten und worauf sie alles verzichten müssen, kommt laut Studie noch das medial kultivierte Zerrbild, das Heranwachsende zu Regelbrechern abstempelt, die sich zum Schaden der Allgemeinheit auf »Coronapartys« vergnügten. Dagegen frage »kaum jemand, wie es ihnen gerade geht, was sie brauchen und welche Ideen sie hätten, um besser durch die Krise zu kommen«, heißt es im Text.

Für Tanja Rusack von der Uni Hildesheim passt das ins Bild. »Junge Menschen brauchen Möglichkeiten für eine breite und kontinuierliche Beteiligung in allen sie betreffenden Bereichen«, befand sie gestern bei der Vorstellung der Umfrageergebnisse. Bereits 2019 sei in der Studie »Children’s Worlds plus« dargelegt worden, »dass sich ein großer Teil der jungen Menschen nicht ernst genommen und unzureichend beteiligt fühlt«. Das Jugendhearing des Bundesfamilienministeriums oder ein bereits geforderter Kindergipfel seien richtige Signale aus der Politik, ergänzte Jörg Dräger, Vorstandsmitglied bei der Bertelsmann-Stiftung. Es dürfe aber keine »Alibiformate« geben, vielmehr müssten den Gesprächen Angebote folgen, »wo und wie junge Menschen konkret mitentscheiden und Verantwortung übernehmen können«.

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