Die Zahl der Beschäftigten mit zwei oder mehr Jobs ist seit 2013 um rund 700.000 auf etwa 3,5 Millionen gestiegen.

Niedriglohnsektor

Einer reicht nicht

Zweit- und Drittjobs immer häufiger laut Studie. DGB und Linke fordern stärkere Tarifbindung. CDU-Politiker mahnt »anständige Löhne« an.
Von Oliver Rast  jw vom 27. Mai 2021

Der Befund ist eindeutig: Die Zahl der Beschäftigten mit zwei oder mehr Jobs ist seit 2013 um rund 700.000 auf etwa 3,5 Millionen gestiegen. Und 91 Prozent der neu hinzugekommenen Mehrfachbeschäftigten musste zum Hauptjob mindestens einen Nebenjob annehmen – der klammen Haushaltskasse wegen. Ergebnisse, die aus einer am Dienstag veröffentlichten Studie des kapitalnahen Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervorgehen.

Gestiegen ist gleichfalls die Zahl der sogenannten Hybridbeschäftigten, die neben ihrer Haupterwerbsquelle parallel einer selbständigen Tätigkeit nachgehen, konkret seit 2013 um 13 Prozent auf zirka 690.000 im Jahr 2019.

Und noch etwas haben die Studienmacher ermittelt: In Sachen Nebeneinkünfte müsse zwischen einer Mehrfach- und einer Hybridbeschäftigung differenziert werden, schreiben die Autoren in ihrem Fazit. Warum? »Beide Gruppen haben ganz unterschiedliche sozioökonomische Hintergründe.« Mehrfachjobber seien häufiger gering qualifiziert, arbeiten öfter in Teilzeit und haben geringere Einkommen als Hybridbeschäftigte. »Indizien für soziale Problemlagen« zeigten sich bei letzteren kaum, so die IW-Mitarbeiter. Hingegen vermuten sie bei Mehrfachbeschäftigten, »dass die Einkommenserzielung als Motiv für die Nebenbeschäftigung eine zentrale Rolle spielt«. Mit dieser These dürften sie richtig liegen. Oder anders ausgedrückt: Personen in hybriden Beschäftigungsverhältnissen arbeiten bisweilen »just for fun« extra, Personen mit Zusatzjobs aus ökonomischer Not.

Und die Schlussfolgerung des IW? Es erscheine wünschenswert, »dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit im Hauptjob ausweiten, statt einen Nebenjob auszuüben«. Dies gelte insbesondere für diejenigen in Teilzeit, zumal der Stundenverdienst im Haupterwerb im Schnitt höher sei und die Chance auf beruflichen Aufstieg größer. Wichtig ist den Wirtschaftsforschern aus Köln aber der Erhalt prekärer Minijobs. Würden diese »durch politische Interventionen« im Nebenerwerb »unattraktiver, könnten damit die sozialen Risiken für Betroffene ansteigen, deren Verdienstmöglichkeiten im Haupterwerb begrenzt sind«, behaupteten die Autoren.

Eine Position, die Widerspruch auslöst – bei Beate Müller-Gemmeke etwa. Die Minijobberei beibehalten zu wollen sei zynisch, ärgerte sich die Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion für Arbeitnehmerrechte und aktive Arbeitsmarktpolitik am Mittwoch gegenüber jW. »Menschen dürfen sich nicht durch mehrere Jobs kaputtschuften.« Unterstützung kommt vom DGB. »Noch immer arbeiten zu viele Menschen in Deutschland im Niedriglohnsektor«, beklagte Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied, gleichentags im jW-Gespräch. In der Covid-19-Krise wirke sich dies, so Piel weiter, besonders hart aus. Denn nach Analysen des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) seien Beschäftigte mit niedrigen Löhnen fast doppelt so häufig von Einbußen betroffen wie Menschen mit hohen Einkünften – »und verlieren zudem am stärksten an Einkommen«, betonte die DGBlerin. Das Zusatzproblem: Der Druck, neben einer Vollbeschäftigung Nebenjobs anzunehmen, steige damit in der Krise erheblich. Mehrfachbeschäftigungen seien oft der Ausweg aus der größten Notlage. »Aber kein guter.« Gegenrezepte liegen längst auf dem Tisch. Armutsfester Mindestlohn, flächendeckende Tarifbindung »und ein Normalarbeitsverhältnis, unbefristet und mitbestimmt«, sagte Susanne Ferschl, Vizevorsitzende der Bundestagsfraktion von Die Linke, am Mittwoch zu jW.

Ein anderer will da nicht im Abseits stehen. Uwe Schummer, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. »Eine Vollzeitbeschäftigung muss so viel Einkommen erwirtschaften«, teilte er auf jW-Anfrage mit, »dass die Lebenshaltung daraus bezahlt werden kann«. Und er hat noch einen Appell in petto, an die Kapitalseite. »Statt Arbeitsplätze aufzuspalten – mehr Arbeitsplätze in Vollzeit schaffen«, mahnte Schummer. Nach der Pandemie werde der Kampf um die Arbeitskräfte voll entbrennen, mutmaßt er. »Zahlt anständige Löhne!« so der Unionspolitiker Richtung Unternehmer.

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