Die SPD sprach von einem „sozialpolitischen Meilenstein“ und die Hoffnungen waren groß, dass die Grundrente helfen würde, Altersarmut zu bekämpfen. Jetzt werden die ersten Bescheide verschickt. Viele gehen leer aus.

Grundrente gegen Altersarmut: Viele im Norden gehen leer aus

Stand: 28.07.2021 05:00 Uhr

Die Grundrente soll helfen, Altersarmut zu bekämpfen. Nach monatelangen Verzögerungen werden jetzt die ersten Bescheide verschickt. Doch die weitaus meisten Menschen im Norden mit geringer Rente werden leer ausgehen.

Um die Grundrente hatte die Berliner Koalition monatelang gerungen, bis sich CDU/CSU und SPD Ende 2019 endlich auf einen Kompromiss einigten. Die SPD sprach von einem „sozialpolitischen Meilenstein“ und die Hoffnungen waren groß, dass die Grundrente helfen würde, Altersarmut zu bekämpfen. Jetzt werden die ersten Bescheide verschickt. Anja Sielck aus Kisdorf (Kreis Segeberg) gehört zu den vielen Menschen in Schleswig-Holstein, die keinen solchen Bescheid bekommen.

861 Euro pro Monat – aber keinen Grundrenten-Zuschlag

Der Griff zum Renten-Ordner macht die 54-Jährige traurig. Viele Jahre hatte sie gearbeitet, wurde dann aber schwer krank. Jetzt lebt sie von 861 Euro Erwerbsminderungsrente zusammen mit ihrer Mutter auf einem ererbten Resthof. Das Geld reicht kaum.Trotzdem wird sie den Grundrenten-Zuschlag nicht bekommen.Die Kriterien sind zu streng. Anja Sielck befürchtet: „Das heißt ja wirklich: Ab in die Altersarmut. Obwohl ich immer versucht habe, mein eigenes Brot zu verdienen. Aber es ist mir leider nicht möglich gewesen. Und ich könnte am liebsten … ja, von der Brücke springen.“

Kind, Arbeit, Umschulung, Arbeit, arbeitslos

Keinen Grundrenten-Zuschlag – denn Anja Sielck hat zahlreiche Brüche in ihrem Erwerbsleben. Sie hat ein Kind großgezogen, war im Einzelhandel, musste umschulen, arbeitete in der Altenpflege,musste aus gesundheitlichen Gründen aufgeben und war auch lange arbeitslos. Seit zehn Jahren bezieht sie Erwerbsminderungs-Rente.

Rentenversicherung müssen Lücken herausrechnen

Dieter Starke, der stellvertretende Geschäftsführer der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Nord muss das bestätigen und warnt vor zu großen Hoffnungen auf den Grundrenten-Zuschlag bei einer relativ geringen momentanen Rente: „Ich nenne als Beispiele: Wer biografisch bedingt mal Zeiten von Arbeitslosigkeit hatte oder mal selbständig tätig war oder in Erwerbsminderungsrente war – diese Zeiten würden wir jetzt rausrechnen müssen.“

33 Grundrenten-Jahre sind nötig

Damit verfehlt Anja Sielck die Voraussetzungen: Zwar hat sie ein Einkommen von weniger als 1.250 Euro (beziehungsweise 1.950 Euro bei Verheirateten), aber kommt nicht auf 33 Grundrenten-Jahre. Denn dazu zählen Beiträge aus Berufstätigkeit, Erziehungs- und Pflegezeiten, bei Krankheit und Reha. Nicht berücksichtigt werden Minijobs, Arbeitslosigkeit und Zeiten der Erwerbsminderung – wie eben bei Anja Sielck.

Nur 40.000 Menschen in SH bekommen Grundrente

Insgesamt erhalten 450.000 Rentner in Schleswig-Holstein maximal 1.250 Euro Rente. Doch darunter sind nach ersten Schätzungen nur etwa 40.000 Grundrenten-Berechtigte, das sind weniger als zehn Prozent. Auch Alfred Bornhalm, der Vorsitzende des Sozialverbands Deutschlands (SoVD) in Schleswig-Holstein weiss, dass viele Renterinnen und Rentner nichts oder nur wenig von der Grundrente haben werden: „Es wird auch, was die Höhe der Grundrente angeht, herbe Enttäuschungen geben. Und wir kommen deshalb auch zu dem Ergebnis, dass die Grundrente keinen aktiven Beitrag, um Altersarmut zu überwinden, darstellt.“

Wie sehr helfen 75 Euro mehr im Monat?

Denn im Schnitt beläuft sich der Zuschlag auf ganze 75 Euro im Monat. Dieser Betrag wäre für Anja Sielck aus Kisdorf hilfreich, würde sie aber nicht aus der Armutsfalle befreien. Für Hund Spike wären immerhin ein paar Leckerlis mehr drin. Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) hält den Kritikern entgegen: Immerhin würden bundesweit 1,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner profitieren. Der Rentenzuschlag allein könne aber Altersarmut nicht abwenden, gibt Heil zu: „Die Grundrente leistet einen Beitrag zur Bekämpfung von Altersarmut. Aber Altersarmut muss man noch mit anderen Maßnahmen bekämpfen. Vor allem dafür sorgen, dass Menschen tatsächlich die Chance haben, im Erwerbsleben gesund zu bleiben. Und auch dafür zu sorgen, dass es anständige Lohnentwicklungen gibt. Im Vordergrund steht bei der Grundrente nicht die Bekämpfung von Altersarmut, sondern die Anerkennung von Lebensleistung von Menschen, die ihr Lebtag gearbeitet haben. Und deshalb ist es ein sehr, sehr großer Fortschritt.“

Bescheid kommt – wenn – automatisch

Ob man Grundrente bekommt oder nicht – darum muss man sich nicht selbst kümmern, muss keinen Antrag stellen. Die Rentenversicherung prüft alle Konten. Dennoch: Am Ende werden viele wie Anja Sielck enttäuscht sein – wenn sie trotz Armut im Alter leer ausgehen.

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