In sechs Bundesländern und in fast 100 Landkreisen und kreisfreien Städten waren im Jahr 2020 die Kosten für Wohnen und Heizen zu hoch, als dass sie sich von einem Vollzeitjob auf Mindestlohnbasis decken lassen.

Neue Zahlen der Bundesregierung

In vielen Regionen reicht der Mindestlohn nicht zum Leben

Menschen, die Mindestlohn verdienen, können sich oft ihre Wohn- und Heizkosten nicht leisten. Das Problem gibt es vor allem in Westdeutschland und den Städten.

Tagesspiegel, 13.8.2021

Das Englische hat einen eingängigen Begriff dafür: „working poor“. So werden Menschen bezeichnet, die trotz Arbeit arm sind. Das Problem gibt es auch in Deutschland. In vielen Landesteilen reicht der gesetzliche Mindestlohn nicht zum Leben.

 

In sechs Bundesländern und in fast 100 Landkreisen und kreisfreien Städten waren im Jahr 2020 die Kosten für Wohnen und Heizen zu hoch, als dass sie sich von einem Vollzeitjob auf Mindestlohnbasis decken lassen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. Die Betroffenen haben Anspruch auf Aufstockung vom Amt.

„Auch fünf Jahre nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland ist dieser weder armutsfest noch existenzsichernd“, kritisiert die Linken-Politikerin Susanne Ferschl. „Vielerorts reicht er nachweislich nicht einmal zur Deckung der Kosten von Unterkunft und Heizung.“

Die Bundestagsabgeordnete hat das Arbeitsministerium ausrechnen lassen, wie hoch der Mindestlohn in den jeweiligen Regionen liegen müsste, damit Wohn- und Heizkosten gedeckt sind. Für eine alleinstehende Person, die 37,7 Wochenstunden arbeitet und den aktuellen Mindestlohn von 9,60 Euro pro Stunden verdient, dürfen laut Bundesregierung „die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung höchstens 432 Euro monatlich betragen, damit für diesen Musterhaushalt kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes“ besteht.

Doch in vielen Gegenden liegen die durchschnittlichen Kosten für Heizung und Wohnen deutlich höher. 1,2 Millionen Haushalte waren 2020 bei der Arbeitsagentur als Single-Bedarfsgemeinschaft registriert. In 468 000 Fällen, rund 38 Prozent, lagen ihre Ausgaben für Unterkunft und Heizen über dem Schwellenwert von 432 Euro, im Schnitt bei 540 Euro.

Berlin, Köln, Stuttgart – oft unbezahlbar

Das Problem besteht vor allem in Westdeutschland und in den Städten. 9,35 Euro betrug der Mindestlohn im vergangenen Jahr. In Hamburg wäre laut Bundesregierung jedoch ein Mindestlohn von 10,18 Euro nötig gewesen, damit ein Single seine Wohn- und Heizkosten bezahlen kann, ohne auf Aufstockung vom Amt angewiesen zu sein. In Berlin wären 9,57 Euro nötig gewesen. In vielen westdeutschen Großstädten wie Köln, Stuttgart oder Düsseldorf wäre ein zweistelliger Mindestlohn von mehr als zehn Euro nötig gewesen.

Zuletzt wurde der Mindestlohn im Juli auf 9,60 Euro erhöht. Doch auch das reicht für Single-Haushalte oft nicht, um die „laufenden tatsächlichen Kosten“ für Unterkunft und Heizung ohne Hilfe vom Amt zu begleichen. „Es läuft etwas schief, wenn Beschäftigte trotz Vollzeitjob ergänzend auf Hartz IV angewiesen sind“, sagt Ferschl.

Das Thema ist auch Gegenstand des Bundestagswahlkampfs. Die Linke fordert eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 13 Euro. SPD und Grüne wollen ihn in der kommenden Wahlperiode auf 12 Euro anheben.

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