Studie zeigt: Ärmere Rentnerinnen und Rentner sterben fünf Jahre früher als reichere. Verband warnt vor Verschärfung sozialer Spaltung

Rentensystem

Doppelt benachteiligt

Studie zeigt: Ärmere Rentnerinnen und Rentner sterben fünf Jahre früher als reichere. Verband warnt vor Verschärfung sozialer Spaltung
Von Raphaël Schmeller
Ungerechtes System: Geringverdiener sind im Alter deutlich schlechter gestellt als Menschen mit höheren Einkommen

Deutschland ist eine Klassengesellschaft. Das ist keine von der jungen Welt fabulierte Geschichte, sondern ein immer wieder von Forschungseinrichtungen festgestellter Sachverhalt. Auch eine vom Sozialverband VdK in Auftrag gegebenen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zum ­Thema Rente und Lebenserwartung ab 65, die am Montag veröffentlicht wurde, bestätigt das. Denn die Studienautoren Peter Haan und Maximilian Schaller haben in ihrer Untersuchung eine enorme »Lebenserwartungsdiskrepanz« je nach Beschäftigungsart, Einkommen und beruflicher Belastung feststellen können.

Demnach zeige sich beispielsweise, dass die Lebenserwartung sozialversicherungspflichtiger Arbeiterinnen und Arbeiter (83,1 Jahre) im Vergleich zu Beamten (87,2 Jahre) vier Jahre geringer sei. Betrachte man das Haushaltseinkommen, seien die Unterschiede noch deutlicher: Ärmere Rentnerinnen und Rentner sterben fünf Jahre früher als reichere, so das Studienresultat. Zudem würden auch hohe berufliche Belastungen die Lebensdauer verringern, im Schnitt um drei Jahre. Auf jW-Nachfrage, ob die durchschnittliche Lebenserwartung bei einem weiter steigenden Renteneintrittsalter zurückgehen könne, sagte Haan: »In den USA geht die Lebenserwartung von bestimmten Gruppen bereits zurück. Das ist ein Phänomen, das wir eventuell auch hierzulande eines Tages sehen könnten.«

Und trotzdem: Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) schlägt in seinem jüngsten Gutachten vom Juni eine Erhöhung des Renteneintrittsalters vor. »Das geschieht am besten durch eine dynamische Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung«, so Gutachter Axel Börsch-Supan, Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München.

Gegen solche Vorschläge will der VdK – vor allem im Zusammenhang der anstehenden Bundestagswahl – vorgehen. »Eine Erhöhung auf 68, 69 oder gar 70 Jahre würde die soziale Spaltung in der älteren Bevölkerung weiter verschärfen und zu noch mehr Altersarmut führen«, sagte Verbandspräsidentin Verena Bentele während der Vorstellung der Studienergebnisse in Berlin. »Statt den nächsten Beirat einzusetzen, der vorschlägt, alle pauschal länger arbeiten zu lassen, brauchen wir flexiblere Lösungen: Wer etwa ein Leben lang in körperlich und psychisch anstrengenden Berufen gearbeitet hat, muss früher in Rente gehen können, und zwar ohne Abschläge auch schon mit 63.«

Für Bentele beweist die DIW-Studie, »dass unser derzeitiges System nicht fair ist«. »Geringverdienende Menschen, die in körperlich und psychisch belastenden Berufen arbeiten, sind im Alter deutlich schlechter gestellt als Menschen mit höheren Einkommen in weniger belastenden Berufen«, so die VdK-Chefin. Würde das Renteneintrittsalter erhöht, benachteilige das Menschen in prekärer Situation doppelt: »Zum einen bekommen sie deutlich geringere Renten. Zum anderen beziehen sie diese aufgrund ihrer geringeren Lebenserwartung erheblich kürzer.«

Von aktienbasierten Rentenfonds hält Bentele nichts, vielmehr sei eine grundlegende Änderung des Rentensystems notwendig: »Wir brauchen eine Rentenversicherung, in die alle Erwerbstätigen einzahlen: Arbeiter, Angestellte, Selbständige und eben auch Politiker und Beamte.« Durch eine Erhöhung des Mindestlohns auf mindestens 13 Euro könne dann eine Erhöhung der Renten finanziert werden.

Doch danach sieht es aktuell nicht aus. Im Kontext der coronabedingten Wirtschaftskrise und niedriger Zinsen boomen die Finanzmärkte wie schon lange nicht mehr: Gespart und für das Alter vorgesorgt wird besonders bei jungen Menschen immer mehr anhand von ETF-Fonds oder ähnlichem, wobei Anteile ganz einfach mit einer Smartphone-App erworben werden können. Ob das angelegte Geld in ein paar Jahren noch da ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

(Quelle: Junge Welt, 17.8.2021)

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