In keinem anderen Land hängt der Bildungserfolg so stark von der sozialen Herkunft ab wie in Deutschland.

Soziale Spaltung

Bildungsmisere in BRD

Studie des DGB: Ungleichheit im Schulsystem verschärft sich. Chancen für Aufstieg von Arbeiterkindern weiter gesunken
Von Bernd Müller  Junge Welt  3. September 2021

Das deutsche Bildungssystem ist nicht bekannt dafür, allen Kindern und Jugendlichen die gleichen Chancen zu geben. Ganz im Gegenteil: In kaum einem anderen OECD-Land hängt Bildung so stark vom sozialen Status der Eltern ab wie in Deutschland. Als die PISA-Studie der OECD im Jahr 2001 zu diesem Ergebnis kam, war das Staunen groß. Bis heute hat sich daran nichts geändert, stellt nun eine neue Analyse im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) fest.

Der Bildungsforscher Klaus Klemm, emeritierter Professor für Bildungsforschung und -planung an der Universität Duisburg-Essen, hat die Studie mit dem Namen »Alle Jahre wieder – zur Konstanz sozialer Ungleichheit in und durch Deutschlands Schulen« erstellt. Zu diesem Zweck hat er Leistungsstudien analysiert, die in den Jahren 2000 bis 2019 an Grundschulen und weiterführenden Schulen in der gesamten Bundesrepublik durchgeführt wurden. Mit seinen Ergebnissen dokumentiert Klemm ein bildungspolitisches Versagen.

In der Grundschule, schreibt Klemm, biete sich »zum Teil das Bild einer Stagnation, teils aber auch das einer tendenziellen Verschärfung sozialer Ungleichheit«. Beim Lesen gingen die Fähigkeiten je nach sozialer Herkunft weiter auseinander. In den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaften wurde der Unterschied zwischenzeitlich kleiner, vergrößerte sich in den vergangenen Jahren aber wieder fast auf das Ausgangsniveau.

Beim Übergang von Grundschule zum Gymnasium zeigte sich die wachsende Diskriminierung besonders deutlich: Die Chance, eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, war für ein Grundschulkind von Eltern, die in Dienstleistungsberufen tätig sind, 2001 etwa um den Faktor 2,63 größer als für ein Arbeiterkind – bei gleich guten Schulleistungen. In den Jahren bis 2016 verstärkte sich der Trend: »von 2,63 auf 3,37«.

In den weiterführenden Schulen nahmen die sozialen Ungleichheiten nach der ersten PISA-Studie zunächst ab. Dieser Abnahme folgt dann bis 2018 eine Stagnation, teilweise stiegen die sozialen Ungleichheiten wieder an.

An der ersten PISA-Untersuchung hatten 31 OECD-Staaten teilgenommen. Besonders zwei Ergebnisse stachen hervor. Das eine betraf die Fähigkeiten der deutschen Schüler in den drei getesteten Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Ihre Testwerte lagen deutlich unterhalb der jeweiligen Durchschnittswerte der anderen Länder. Das andere Ergebnis wies auf den engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulleistungen hin. In keinem anderen Land war er so eng wie in Deutschland.

»Die PISA-2000-Studie zeigte, dass in keinem Land das Ausmaß sozialer Ungleichheit unter den Schülerinnen und Schülern OECD-weit so groß war wie in Deutschland«, heißt es in der aktuellen DGB-Studie. Unter den 31 OECD-Staaten habe Deutschland damals den letzten Platz belegt.

Der Schock saß tief. Edelgard Bulmahn, zu jener Zeit Bundesbildungsministerin, bezeichnete die Ergebnisse wenige Wochen nach Veröffentlichung als »alarmierend«. All jene müssten unterstützt werden, »die beim Zugang zu Bildung und Ausbildung benachteiligt sind«, sagte die Sozialdemokratin. Das sei nicht nur ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch eine ökonomische Notwendigkeit.

Jetzt stellte Klemm fest: Bulmahns Mahnung blieb ohne Folgen. Bis auf warme Worte hatten Schüler nichts von der Politik zu erwarten. Wie die PISA-Untersuchung aus dem Jahre 2018 zeigte, hat sich die Situation nicht verbessert: Deutschland gehört immer noch zu den Schlusslichtern. Diesmal nahmen 36 OECD-Staaten teil – und die Bundesrepublik belegte Platz 33.

Für die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack sind die Ergebnisse der aktuellen Erhebung ein Alarmsignal. Gegenüber Spiegel online sagte sie am Mittwoch: »Die soziale Spaltung bleibt die offene Wunde unseres Bildungssystems.« In keinem anderen Land hänge der Bildungserfolg so stark von der sozialen Herkunft ab wie in Deutschland. Und in der Coronapandemie habe sich diese Entwicklung noch einmal verschärft.

Der DGB hatte in den vergangenen Monaten immer wieder darauf hingewiesen, dass Kinder, die zu Hause keinen Computer und keine Rückzugsmöglichkeiten hätten, dauerhaft den Anschluss zu verlieren drohen. Auch diese Gefahr wurde seitens der Politik nicht beachtet.

Mit Blick auf die Bundestagswahl forderte Hannack nun von den Parteien »ein Ende der Lippenbekenntnisse in der Bildungspolitik«. Für die nächste Regierung seien hohe Investitionen in die Bildung ein Muss.

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