»Ich fürchte, dass in der neuen Konstellation Hartz IV nur einen neuen Namen verpasst bekommt, aber sonst alles mehr oder weniger beim alten bleibt.«

Armutsregime

Neuer Name, alter Hut

Hartz IV wird »Bürgergeld«: SPD, Grüne und FDP kündigen Erleichterungen für Erwerbslose an, wollen aber weiterhin knausern und sanktionieren
 
Von Ralf Wurzbacher junge welt 19. Oktober 2021

Beim Paritätischen Gesamtverband blickt man mit »großer Sorge« auf das, was SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP am vergangenen Freitag als Ergebnis ihrer Sondierungsgespräche präsentiert haben. »Punkte, die wir ganz sicher auf der Tagesordnung einer neuen Bundesregierung sahen, finden sich in dem Papier überhaupt nicht wieder«, befand Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider in einer Stellungnahme. Insbesondere vermisst er Bekenntnisse dazu, »die Armut in diesem Land zu beseitigen und die tief gespaltene Gesellschaft wieder zusammenzuführen«. Und sollte die potentielle »Ampel«-Koalition Steuererhöhungen tatsächlich zum Tabu erklären, mache sie sich schlicht handlungsunfähig.

Hat der Verbandschef nicht richtig hingeschaut? Tatsächlich enthält das zwölfseitige Dokument die Ankündigung, anstelle der bisherigen Grundsicherung ein »Bürgergeld« einzuführen. Das Ansinnen geht vor allem auf die SPD und ihre Verrenkungen zurück, sich endlich vom Makel als Wegbereiterin und langjährige Verfechterin des Hartz-IV-Regimes zu befreien. Der Begriff »Bürgergeld« tauchte erstmals in einem im Februar 2019 vom Parteivorstand beschlossenen Diskussionspapier auf und fand zuletzt auch Eingang ins Wahlprogramm der Sozialdemokraten. Dieses stehe für ein »neues Verständnis eines haltgebenden und bürgernahen Sozialstaats«, heißt es da. Es solle »digital und unkompliziert zugänglich sein«, und die Regelsätze müssten »zu einem Leben in Würde ausreichen und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen«.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Das »Bürgergeld« soll kein »bedingungsloses Grundeinkommen« sein, womit etwa in Kreisen der Partei Die Linke sympathisiert wird. Leistungsberechtigt wären nicht alle Bürger unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Lage, sondern weiterhin nur erwerbslose Personen. Ob und inwieweit mit der neuen Sozialleistung Erleichterungen für die Betroffenen einhergehen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar. Die betreffende Passage im Sondierungspapier umfasst bloß acht Zeilen und bleibt inhaltlich vage. Die »Hilfen zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt« sollten in den Mittelpunkt gestellt werden, und man wolle prüfen, welche der während der Coronakrise praktizierten »großzügigen Regelungen zu Schonvermögen und zur Überprüfung der Wohnungsgröße (…) wir fortsetzen wollen«. Auch wolle man die Zuverdienstmöglichkeiten verbessern mit dem Ziel, »Anreize für Erwerbstätigkeit zu erhöhen«.

Für Harald Thomé von der Wuppertaler Sozialhilfeinitiative Tacheles ist Hartz IV »erst dann abgeschafft, wenn die Sanktionen abgeschafft wurden«. Alles andere sei »Etikettenschwindel«, schrieb der Vereinsmitbegründer in einem am Sonntag veröffentlichten Newsletter. Tatsächlich bekennen sich die Sondierer grundsätzlich zu den »Mitwirkungspflichten«, an denen man festhalten, die man jedoch »entbürokratisieren« wolle. Was daraus folgt, bleibt offen, so wie eine Reihe weiterer Punkte, die Thomé an Leerstellen aufschlüsselt. Das betreffe vor allem die Frage der Regelbedarfe, »die aus tausend Gründen« deutlich zu erhöhen wären. Auch müssten angesichts der rasant steigenden Energiepreise die entsprechenden Kosten gesondert abgerechnet werden. Nötig wären zudem etliche weitere Änderungen im Sozialgesetzbuch XII: »höheres Schonvermögen, höhere Anrechnungsfreibeträge bei Zuverdienst, Berücksichtigung von alters-, krankheits- und behindertenspezifischen Besonderheiten bei den Unterkunftskosten. Schaffung einer Anspruchsgrundlage für laufende und einmalige Bedarfe«.

Skeptisch ist auch Heike Wagner von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen. Sowohl bei der Regelsatzhöhe als auch den Sanktionsmaßnahmen ließen SPD, Grüne und FDP keine Abkehr vom Status quo erkennen, erklärte sie am Montag gegenüber junge Welt. Dabei erinnerte sie an den Beschluss der amtierenden Regierung mit SPD-Beteiligung, die Regelsätze ab kommendem Jahr um kümmerliche drei Euro anzuheben. »Ich fürchte, dass in der neuen Konstellation Hartz IV nur einen neuen Namen verpasst bekommt, aber sonst alles mehr oder weniger beim alten bleibt«, bemerkte Wagner.

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