Im vergangenen Jahr mussten 13,4 Millionen Menschen in Deutschland mit einem Einkommen unterhalb der offiziellen Armutsgefährdungsschwelle über die Runden kommen.

„Aufstocker“ im Hartz IV-System. Darunter sind überdurchschnittlich viele Alleinerziehende (mit ihren Kindern)

Im vergangenen Jahr mussten 13,4 Millionen Menschen in Deutschland mit einem Einkommen unterhalb der offiziellen Armutsgefährdungsschwelle über die Runden kommen. Die Armutsquote lag damit bei 16,1 Prozent der Bevölkerung, folgt man dem Armutsbericht 2021 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der sich das nicht ausgedacht oder gewürfelt hat, sondern auf die Zahlen der amtlichen Sozialberichterstattung der Statistischen Ämter der Länder und des Bundes zurückgreift. Besonders auffällig bei einem Blick auf einzelne Personengruppen sind die Alleinerziehenden in unserem Land, ganz überwiegend Mütter: Bei Ihnen lag die Armutsquote im vergangenen Jahr bei über 40 Prozent.

Und mit Blick auf as vergangene Jahr: Fast jeder vierte erwerbsfähige Leistungsberechtigte hatte 2020 Einkommen aus einer eigenen Erwerbstätigkeit (insgesamt waren das 933.234), so die Darstellung der Aufstocker-Zahlen in diesem Beitrag vom 12. September 2021: Von einem Kellner mit Leistungskürzung, weil er eine kostenlose Mahlzeit bei der Arbeit hätte essen können, zu den „Aufstockern“ im Hartz IV-System allgemein. Dort wurde auch darauf hingewiesen, dass „Erwerbstätigkeit“ erst einmal nur eine Oberkategorie darstellt, unter der ganz unterschiedliche Beschäftigungsformen versammelt sind – von der Vollzeitbeschäftigung bis hin zu einer ausschließlich geringfügigen Beschäftigung.

Für den Juni 2021 wird die Zahl der „Aufstocker“ mit rund 860.000 Menschen angegeben, so eine aktuelle Auswertung, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftugn vorgenommen hat. Unter diesen Aufstockern befinden sich überdurchschnittlich viele Alleinerziehende. Gründe dafür sind vor allem Minijobs, niedrige Löhne und die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung (vgl. dazu Vor allem Alleinerziehende sind trotz Arbeit auf Sozialleistungen angewiesen). »Wie aus einer Langzeitanalyse für die Jahre 2010 bis 2018 hervorgeht, waren fast ein Drittel aller Leistungsbeziehenden, die in einer Familie mit Kindern leben, in diesem Zeitraum erwerbstätig. Und das, obwohl sie aufgrund der Anrechnungsregeln im SGB II nur einen kleinen Teil ihres Einkommens behalten und kein Vermögen ansparen können. Besonders betroffen sind alleinerziehende Familien. Unter allen Haushaltsformen weisen sie das höchste Risiko auf, ihr Arbeitseinkommen aufstocken zu müssen.«

Und gerade angesichts der Tatsache, dass viele Menschen unbewusst bei Aufstockern an Menschen denken, die einem Vollzeitjob nachgehen, ist der differenzierende Blick auf die tatsächliche Verteilung des Arbeitsvolumens bei den Aufstockern von besonderer Bedeutung, denn dass man von einer geringfügigen Beschäftigung mit der (Noch-)Obergrenze von 450 Euro im Monat nicht ausreichen kann, den Lebensunterhalt davon zu bestreiten, leuchtet unmittelbar ein. »Ob aufgestockt wird oder nicht, hängt maßgeblich von der Erwerbssituation ab: Je geringer die Arbeitszeit und je niedriger der Stundenlohn ausfallen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, zusätzlich SGB-II-Leistungen beziehen zu müssen«, so banal wie zutreffend die Bertelsmann Stiftung. Und man kann der von der Stiftung beauftragten Studie des IAB entnehmen: Von allen Aufstockern üben fast die Hälfte (46 Prozent) eine geringfügige Beschäftigung aus und über drei Viertel erhalten einen Niedriglohn. »Bei Alleinerziehenden wirkt sich das besonders stark aus. Das Aufstocker-Risiko steigt bei ihnen erheblich, wenn sie einer Beschäftigung mit geringem Verdienst oder nur in Teilzeit nachgehen. Aufgrund der oftmals alleinigen Fürsorgeverantwortung für ihre Kinder bleibt ihnen aber häufig keine andere Wahl.«

Die von der Stiftung in Auftrag gegebene Studie findet man hier:

➔ Torsten Lietzmann und Claudia Wenzig (2021): Erwerbstätigkeit und Grundsicherungsbezug. Wer sind die Aufstocker:innen und wie gelingt der Ausstieg?, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, Dezember 2021

Die Autoren heben hervor, dass es – trotz langjähriger positiver Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes – zu keinem substanziellen Rückgang der Aufstockerzahlen sowie der Armutsgefährdung von Familien und Kindern gekommen ist. Einen leichten Rückgang von Anzahl und Anteil der Aufstocker kann man in der Corona-Pandemie erkennen.

Aufstocker haben in der Regel (außer innerhalb der Alleinstehenden) häufiger einen Migrationshintergrund und leben eher in Ostdeutschland. Ein niedrigeres Bildungsniveau ist ebenfalls, insbesondere bei Paaren, mit einem höheren Aufstockerrisiko verbunden. Bei Aufstockern ist auch tendenziell ein schlechterer Gesundheitszustand zu beobachten. Der Einfluss von Kindern im Haushalt fällt vor allem auf der Ebene der Haushaltstypen ins Gewicht: Alleinerziehende sind die Gruppe mit dem höchsten Aufstocker-Risiko: dieses liegt signifikant über dem der Alleinstehenden. Eine geringfügige Beschäftigung birgt ein weit überdurchschnittliches Risiko, neben dem Minijob auch Grundsicherungsleistungen zu beziehen. Häufig treten niedrige Arbeitszeiten und niedrige Stundenlöhne gleichzeitig auf.

Die Studie von Lietzmann/Wenzig (2021) liefert auch eine längsschnittliche Perspektive. Dabei stand die Frage im Fokus, ob und wie Haushalte die Aufstocker-Situation beenden und welche Veränderungen im Haushalt und bei der Erwerbstätigkeit dies beeinflussen.

In der Studie werden auch einige Ansätze zur Verbesserung der Situation von Aufstockern diskutiert. Eine große Gruppe der Aufstocker sind vor allem alleinstehende und alleinerziehende geringfügig Beschäftigte. Minijobs haben nicht nur langfristig finanzielle Nachteile wegen fehlender Ansprüche an die Arbeitslosenversicherung und geringen Rentenansprüchen, sondern auch ihre Qualität im Hinblick auf Arbeitnehmerrechte und die Arbeitsqualität ist eingeschränkt. Zudem hat sich gezeigt, dass sich geringfügig beschäftigte Aufstocker:innen besonders schwer tun, die Aufstocker-Situation zu überwinden. Hier können stärkere Anreize für eine Erweiterung der Arbeitszeit wie auch eine allgemeine Beschränkung der Minijobs hilfreich sein. Leider geht die neue Bundesregierung genau den anderen Weg und weitet die geringfügige Beschäftigung durch eine regelgebendene Dynamisierung auch noch aus vgl. hierzu ausführlicher den Beitrag Ein klassisches Tauschgeschäft: Der eine bekommt einen höheren Mindestlohn, der andere eine Verfestigung und Ausweitung der Minijobs. Trotz vieler Gegenargumente vom 24. November 2021). Man muss aber auch sehen: Eine Ausweitung der Arbeitszeit kann aber schwierig sein, wenn gesundheitliche Einschränkungen vorliegen (bei Alleinstehenden) und die Vereinbarkeit einer längeren Arbeitszeit bei Alleinerziehenden schwer mit der Betreuung der Kinder zu realisieren ist.

Was man tun könnte, damit beschäftigt sich auch diese Veröffentlichung der Bertelsmann Stiftung:

➔ Sarah Menne und Antje Funcke (2021): Aufstocker-Familien in Deutschland: Wenn das Geld trotz Job nicht ausreicht, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, Dezember 2021

Es sei »dringend notwendig, Kinder- und Familienarmut zu vermeiden, Care-Arbeit stärker anzuerkennen und zugleich auskömmliche Erwerbsarbeit für Mütter wie Väter zu ermöglichen.« Aber wie?

Ein Teilhabegeld bzw. eine Kindergrundsicherung für Kinder und Jugendliche: »in Teilhabegeld oder eine Kindergrundsicherung, durch die die Bedarfe der Kinder gedeckt würden, würde dazu beitragen, dass Familien keine SGB II-Leistungen mehr beziehen müssten und somit Kinder und Eltern entlasten. Eine solche neue finanzielle Leistung wird mit dem Einkommen der Eltern abgeschmolzen und unterstützt so gezielt Familien im unteren Einkommensbereich. Gleichzeitig schafft ein Teilhabegeld oder eine Kindergrundsicherung auch die finanzielle Sicherheit, damit Väter und Mütter sich bewusst dafür entscheiden können, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Denn Kinder und Jugendliche brauchen Zeit und Fürsorge, so dass eine Vollzeiterwerbstätigkeit nicht immer machbar ist. In besonderem Maße gilt das für Alleinerziehende. Gerade bei ihnen schützt aber aktuell erst eine Vollzeiterwerbstätigkeit davor, aufstocken zu müssen oder in Armut abzurutschen. Diese ist aber nicht immer mit der Kinderbetreuung und -erziehung vereinbar und auch nicht immer im Sinne der Kinder.« (Menne/Funcke 2021 6f.). Die Einführung einer Kindergrundsicherung ist nach dem Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Koalition für diese Legislaturperiode geplant. Dazu schreiben die beiden Autoren: »Entscheidend dabei ist, dass ein Schwerpunkt auf die Vermeidung von Kinderarmut gelegt wird. Dafür muss die Leistung so ausgestaltet sein, dass sie die soziokulturellen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen tatsächlich neu betrachtet und abdeckt. Auch sollte darauf geachtet werden, dass Erwerbsanreize bestehen bleiben, indem die Leistung nur langsam abgeschmolzen wird und Eltern so einen ausreichenden Teil des selbst erwirtschafteten Einkommens behalten können. Besonders wichtig ist zudem, dass die Kinder- grundsicherung gerade bei getrennten Familien dort ankommt, wo die Kinder aufwachsen und die Hauptverantwortung für ihre Erziehung und Fürsorge liegt.«

Care-Arbeit wertschätzen und anerkennen – Erwerbstätigkeit ermöglichen: »Ohne Care-Arbeit wäre unsere Gesellschaft … nicht überlebensfähig. Zeit, Zuwendung und Fürsorge sind wichtige Bedarfe im Leben eines Kindes oder einer/ eines Jugendlichen – genauso wie von Erwachsenen. Wir müssen daher über andere Ansätze nachdenken, wie Fürsorge gesellschaftlich anerkannt und die Arbeitswelt so ausgestaltet werden kann, dass Frauen und Männer Care-Arbeit und Erwerbstätigkeit gut miteinander vereinbaren können.« Wichtige Forderung – aber die bleibt so im Raum stehen und wird nicht mit konkreten Vorschlägen hinterlegt.

Raus aus der Minijob-Falle: Eine Umwandlung der Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wäre sinnvoll – aber man muss zur Kenntnis nehmen: »Dazu konnte sich die Ampel-Koalition leider bisher noch nicht durchringen. Die angedachte Anhebung der Minijob-Grenze auf 520 Euro verschärft hingegen die Minijob-Falle und die damit einhergehenden Fehlanreize – insbesondere für Frauen und Mütter.«

Gute ganztägige Kitas und Schulen – die dürfen natürlich nicht fehlen. »Familien brauchen eine qualitativ hochwertige und flächendeckende ganztägige Betreuung in Kitas und Schulen. Dabei geht es nicht nur darum, dass ein solches Angebot überhaupt vorhanden ist. Vielmehr können Eltern nur dann mit gutem Gewissen erwerbstätig sein, wenn sie ihr Kind einer Kita oder Schule anvertrauen, in der es sich wohl fühlt, vertrauensvolle Bezugspersonen vorfindet und mit Freude lernen, spielen und sich ausprobieren kann. Daher muss neben einem weiteren Ausbau mehr in gute Qualität investiert werden. Der im Koalitionsvertrag anvisierte gemeinsame Qualitätsrahmen für Ganztagsangebote in Kita und Grundschule sowie die Gesamtstrategie, um den Fachkräftebedarf zu decken, sind positive Impulse, die nun dringend in die Umsetzung gebracht werden müssen.« Dann kann man nur weiterhin hoffen, dass aus den Wünschen Wirklichkeit wird.

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