Bei Beziehern von Leistungen zur Grundsicherung müssen die Heizkosten »im Regelfall in tatsächlicher Höhe übernommen werden«.

Armutsregime

Im Kalten sitzen gelassen

Kritik an Plänen der Regierung zu Heizkostenzuschuss: Höhe ist »deutlich zu niedrig« angesetzt. Einige Haushalte fallen durchs Raster
Von Bernd Müller  junge welt 18. Januar 2022

Die Bundesregierung will noch in diesem Monat einen Heizkostenzuschuss auf den Weg bringen. Dieser soll Haushalte mit niedrigen Einkommen angesichts der explodierenden Energiepreise entlasten. Für Sozialverbände und Verbraucherschützer greift der einmalige Zuschuss zu kurz.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband erklärte vergangene Woche, dass der Heizkostenzuschuss nicht allen Bedürftigen zugute kommt. Denn wer Leistungen der Grundsicherung beziehe, habe keinen Anspruch auf Wohngeld und falle einmal mehr durchs Raster.

Der Referent für Arbeitslosen- und Sozialrecht Harald Thomé erklärte dagegen in seinem Newsletter vom Sonntag, dass bei Beziehern von Leistungen zur Grundsicherung die Heizkosten »im Regelfall in tatsächlicher Höhe übernommen werden« müssten. Er monierte aber, dass es auch hier Ausnahmen gebe, zum Beispiel Haushalte, denen zuvor die Heizkosten gekürzt wurden, weil sie unangemessen gewesen seien. Diese Regelung müsse dringend korrigiert werden, forderte er.

Auch Klaus Müller, Vorsitzender des Verbraucherzentrale-Bundesverbands (VZBV), hatte vergangenen Donnerstag kritisiert, dass die geplante Höhe des Zuschusses mit 135 Euro für eine Einzelperson »deutlich zu niedrig« angesetzt sei. Müller kann sich dabei auf Berechnungen verschiedener Vergleichsportale berufen.

Die Prognose von Verivox geht bei Gas von einem Anstieg von durchschnittlich 54 Prozent aus. Haushalte, die noch mit Öl heizen, müssen demnach etwa 99 Prozent mehr ausgeben. Das Portal Check 24 geht von 71,2 Prozent Preiserhöhungen aus, die gut 3,6 Millionen Haushalte treffen. Für einen Musterhaushalt mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden bedeute das »zusätzliche Kosten von durchschnittlich 1.078 Euro pro Jahr«.

Für arme Haushalte bedeutet ein solcher Anstieg, öfter im Kalten sitzen oder an anderer Stelle sparen zu müssen. Doch letzteres dürfte kaum möglich sein, denn auch Strom- und Lebenshaltungskosten ziehen deutlich an. Check 24 hatte zum Beispiel kürzlich von monatlichen Stromkosten in Höhe von 50 Euro berichtet, die damit 30 Prozent über dem Satz liegen, der von der Grundsicherung abgedeckt ist.

Thomé verwies in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, das dem Gesetzgeber für solche Fälle eine kurzfristige Anpassung der Grundsicherung vorgeschrieben habe. In dem Urteil vom 23. Juli 2014 heißt es im Wortlaut: »Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.«

Mit anderen Worten: Der Regelsatz für die Leistungen der Grundsicherung war ohnehin schon knapp bemessen und deckte nach Auffassung des Gerichts gerade so noch das Existenzminimum ab. Durch Inflation und enorme Preissteigerungen ist nun aber eine Situation eingetreten, in der der Regelsatz nicht mehr das Existenzminimum abdeckt. Deshalb muss der Gesetzgeber zeitnah die Regelsätze anpassen und darf nicht bis nächstes Jahr damit warten.

Nach Auffassung von Thomé könnte die Bundesregierung diesem Auftrag gerecht werden, wenn sie zeitnah einen Sofortzuschlag von 100 Euro im Monat gewährt. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband erhebt diese Forderung. »Mit 100 Euro mehr sofort muss jetzt schnell und unbürokratisch auch denjenigen geholfen werden, die mit den Regelsätzen in Hartz IV oder der Altersgrundsicherung ohnehin kaum über den Monat kommen und jetzt akut mit Kaufkraftverlusten zu kämpfen haben«, erklärte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Es müsse auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass zuletzt 230.000 Haushalte von Stromsperren betroffen waren, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr begleichen konnten. »Dies darf sich auf keinen Fall wiederholen«, mahnte Schneider.

Nach Plänen von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) sollen Wohngeldempfänger, die allein leben, einen einmaligen Heizkostenzuschuss von 135 Euro bekommen. Für Zweipersonenhaushalte soll er 175 Euro betragen, und für jede weitere Person im Haushalt sollen weitere 35 Euro hinzukommen.

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