Atypische Beschäftigung: Teilzeit nimmt weiter zu / 2017: 7,7 Millionen atypisch Beschäftigte

ATYPISCHE BESCHÄFTIGUNG:

28/08/2018:

Auch 2017 kein Rückgang bei der atypischen Beschäftigung

(von Markus Krüsemann)

Das Statistische Bundesamt hat Ergebnisse des Mikrozensus zur Entwicklung der atypischen Beschäftigung für 2017 vorgelegt. Die Veränderungen sind marginal, die Entwicklung tritt quasi auf der Stelle. Angesichts der allgemeinen Dynamik am Arbeitsmarkt ist das ein schlechtes Zeichen.

Neben der Hans-Böckler-Stiftung, die per Datenbank umfassend Auskunft zur Entwicklung der atypischen Beschäftigung gibt, informiert das Statistische Bundesamt einmal jährlich über die Beschäftigungsentwicklung solcher Arbeitsverhältnisse. Präsentiert werden die Ergebnisse des Mikrozensus, einer jährlich durchgeführten Haushaltsbefragung, bei der in Form einer repräsentativen Stichprobe ein Prozent der Bevölkerung von Privathaushalten befragt wird.

 

Hinsichtlich der Entwicklung der unterschiedlichen Erwerbsformen hat das Amt nun die Daten für das Jahr 2017 vorgelegt. Danach hat sich die Zahl der atypisch Beschäftigten (Erwerbstätige, die nur befristet oder als LeiharbeiterInnen arbeiten, einem Minijob als Haupterwerb nachgehen, oder in Teilzeit mit bis zu 20 Wochenstunden beschäftigt sind) zwischen 2016 und 2017 kaum verändert. Mit einem Plus von gerade mal 0,8 Prozent erhöhte sich ihre Zahl um 63.000 auf annähernd 7,72 Millionen. Allerdings ist dies bereits der dritte Anstieg in Folge, nachdem die Zahlen bis einschließlich 2014 rückläufig gewesen sind. Dazu muss allerdings gesagt werden, dass die Vergleichbarkeit der Angaben mit den Vorjahren auf Grund einer veränderten Erfassung der Leiharbeit nur eingeschränkt möglich ist.

Mit einem hauchdünnen Plus von 0,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ist 2017 auch die Zahl der NormalarbeitnehmerInnen gestiegen, zu denen das Statistische Bundesamt all jene Beschäftigten zählt, die einen unbefristeten Job mit einer Arbeitszeit von mindestens 20 Wochenstunden ausüben. Das hauchdünne Plus von 0,5 Prozent beruht mit 74.000 Mehrbeschäftigten überwiegend auf der Ausweitung von Teilzeitarbeit mit einem Umfang von mehr als 20 Wochenstunden. Dabei ist es mehr als fragwürdig, ob man diese Jobs unisono zur regulären Beschäftigung zuschlagen kann, wie hier geschehen. Die Zahl der Vollzeitjobs, die streng genommen ausschließlich das so genannte Normalarbeitsverhältnis definieren sollten, ist jedenfalls nur um 42.000 gestiegen. Angesichts der konjunkturellen Hochphase am Arbeitsmarkt ist das enttäuschend.

 Kernerwerbstätige nach einzelnen Erwerbsformen (in 1.000) 1993 bis 2017

Entwicklung der Erwerbstätigkeit nach Erwerbsformen
Quelle: Statist. Bundesamt: Kernerwerbstätige nach einzelnen Erwerbsformen. Ergebnisse des Mikrozensus
Der Anteil atypisch Beschäftigter an allen Kernerwerbstätigen (selbstständig und abhängig Erwerbstätige zwischen 15 und 64 Jahren, die sich nicht in Bildung, Ausbildung oder im Wehr- oder Freiwilligendienst befinden) ist im Vergleich zum Vorjahr um 0,1 Prozentpunkt gestiegen. Mit 20,8 Prozent lag er wieder auf dem Wert des Jahres 2016. Zählt man die Solo-Selbstständigkeit zu den atypischen Erwerbsformen hinzu, so ergeben sich natürlich höhere Anteile. Wie schon im Jahr 2016 gingen auch 2017 wieder ziemlich genau 26 Prozent aller Kernerwerbstätigen einer atypischen Beschäftigung nach.

Betrachtet man die längerfristige Entwicklung, so wird sowohl bei den absoluten Zahlen wie auch bei den Anteilen deutlich, dass der Bedeutungsverlust des Normalarbeitsverhältnisses bereits in den 1990er Jahren vorangeschritten war. Die parallel sich ausbreitende atypische Beschäftigung bekam dann durch die Agenda 2010 den beabsichtigten Extraschub, der sich ab etwa 2004 als sprunghafter Anstieg darstellt. Nachdem diese Aufwärtsentwicklung bereits ab 2007 verflachte, bewegt sich die Zahl der atypisch Beschäftigten mit nur geringen Schwankungen auf einem Plateau von mehr oder weniger 7,8 bzw. 10 Millionen Personen (inkl. Solo-Selbstständige).

Anteile atypisch Beschäftigter an allen Kernerwerbstätigen (in Prozent) 1993 bis 2017

Entwicklung der Anteile atypisch Beschäftigter an den Kernerwerbstätigen
Quelle: Statist. Bundesamt: Kernerwerbstätige nach einzelnen Erwerbsformen. Ergebnisse des Mikrozensus
Die nach 2007 zunächst nur sehr leicht, ab 2011 dann stärker zurückgehenden Anteile an der gesamten Erwerbstätigkeit sind vor allem darauf zurückzuführen, dass ab diesem Zeitpunkt auch die reguläre Vollzeitbeschäftigung endlich wieder zulegen konnte. Mit knapp 22,1 Mio. Vollzeitjobs ist 2017 zumindest wieder das Niveau der Jahre 1999/2000 erreicht worden. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass seit 2004 weit mehr als jeder fünfte (inkl. Solopreneure jeder vierte) Kernerwerbstätige nurmehr atypisch beschäftigt ist.

Wachstum vor allem bei der Teilzeit

Wenn man die neuen Zahlen nach einzelnen Erwerbsformen differenziert betrachtet, so fällt zunächst auf, dass bei den befristeten Jobs Rückgänge ausgewiesen werden. Ob der Mikrozensus hier die Entwicklung richtig erfasst hat, darf aber bezweifelt werden. Folgt man den Zahlen aus dem Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), so ist 2017 sowohl die Anzahl der Befristungen als auch deren Anteil an der Gesamtbeschäftigung kräftig gestiegen.

Auch wenn wegen der bereits angesprochenen neuen Erfassungsmethode ein Vergleich zum Vorjahr nicht möglich ist: Dass die Zahl der Leiharbeiter 2017 gestiegen ist, dürfte unstrittig sein, zumal die Zahlen des Mikrozensus hinter den Werten der Bundesagentur für Arbeit (BA) noch zurückbleiben. Im Juni hatte die BA für 2017 eine Zahl von 1,03 Mio. LeiharbeitnehmerInnen (Jahresdurchschnitt) ausgewiesen.

Während sich bei den Minijobs im Vergleich zum Vorjahr kaum Veränderungen ergeben haben, verweisen die Zahlen zur Teilzeitarbeit auf das bereits aus anderen Statistiken und Analysen bekannte Phänomen: Hinter dem gern verwendeten Begriff des Jobbooms steht in erster Linie eine Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung. Zwar steigt seit einigen Jahren auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen wieder stetig an, es ist aber die Teilzeitarbeit, die sich weitaus dynamischer entwickelt, weshalb sich ihr ihr Anteil an der Summe der abhängig Beschäftigten immer weiter erhöht (vgl. 03.08.2018).

Nicht wenige sehen in der Entwicklung ein untrügliches Anzeichen dafür, dass die Vollzeit als Norm ausgedient hat. Für die abhängig Beschäftigten könnten sich so verlockende Perspektiven auf mehr Arbeitszeitsouveränität und flexiblere Arbeitsarrangements eröffnen. Darüber hinaus wäre es begrüßenswert, wenn der Trend zur Arbeit mit reduzierter Stundenzahl dazu diente, die Menge an insgesamt notwendiger bzw. verfügbarer Arbeit gerechter auf alle Erwerbssuchenden zu verteilen.

Doch Teilzeitarbeit muss man sich leisten können. Nicht alle erwerbstätigen Alleinstehenden oder Mitglieder von Haushalten können mit reduzierter Stundenzahl die Existenz bestreiten. Nicht wenige unter ihnen müssen ihr Gehalt mit Hartz IV-Leistungen aufstocken, wenn sie nicht ihren Teilzeit- mit einem weiteren Teilzeit- oder einem Minijob kombinieren. Letzteres dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass die Zahl der Multijobber seit Jahren steigt. Und diese Multijobberei ist mit erheblichem Aufwand verbunden, um Arbeitseinsätze, Freizeit und familiäre Verpflichtungen möglichst geschmeidig miteinander zu verknüpfen. Liest man Berichte von Mehrfachbeschäftigten (hier oder hier), so wird schnell deutlich, dass von der theoretisch höheren Zeitsouveränität oder der verbesserten Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf am Ende noch weniger übrig bleibt als bei einer vergleichsweise starren Fünftagewoche mit Achtstundentagen.

Fazit: Entwicklung tritt auf der Stelle

Auch das Jahr 2017 brachte keine Veränderung in der Struktur der Erwerbsformen. Wie schon in den Vorjahren ging die Ausweitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse zwar nicht mehr zu Lasten der Normalarbeit und der Vollzeitbeschäftigung. Doch die konjunkturgetrieben positive Entwicklung am Arbeitsmarkt schlägt sich nur in bescheidenem Ausmaß in der Entstehung von Normalarbeitsplätzen nieder. Der Beschäftigungsaufbau ist hier viel zu schwach, um die mit Prekaritätsrisiken behafteten atypischen Jobs zurückzudrängen.

Da das Jobwachstum weiterhin überwiegend von einem Ausbau der Teilzeitjobs getrieben wird, kam es zu leichten Verschiebungen im Bereich der atypischen Beschäftigungsformen. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass die Entwicklung generell auf der Stelle tritt. Das Statistische Bundesamt nahm dies zum Anlass, um im Pressebericht hervorzuheben, dass der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse 2017 stabil geblieben sei. Das klingt seltsam beruhigend, dabei besteht doch aller Grund zur Besorgnis: Wann soll es denn zu einem strukturverändernden Aufbau sozialversicherungspflichtiger Vollzeitbeschäftigung kommen, wenn nicht in der derzeitigen konjunkturellen Hochphase?

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Quellen:

Pressemitteilung Nr. 318 des Statist. Bundesamtes vom 27.08.2018.

Statist. Bundesamt: Kernerwerbstätige nach einzelnen Erwerbsformen, 1991 bis 2017.

„Zahl der atypisch Beschäftigten leicht gestiegen“, Spiegel online vom 27.08.2018.

Weiterlesen:

Hans-Böckler-Stiftung (Hg.) (2017): Atypische Beschäftigung in Deutschland, Düsseldorf.

Keller, B. (2018): Unsichere Arbeit – unsichere Mitbestimmung: Die Interessenvertretung atypisch Beschäftigter. OBS-Arbeitspapier, Nr. 32, Frankfurt/M.

Stuth, S./ Schels, B./ Promberger, M. (u.a.) (2018): Prekarität in Deutschland ?! WZB Discussion Paper P 2018–004, Berlin.

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Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

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