»Im Jahr 2021 hatten 4,9 Millionen Rentnerinnen und Rentner ein persönliches monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 Euro.«

Altersarmut: Diesseits und jenseits der Grundsicherung im Alter nach SGB XII

Blickt man die vergangenen Jahre zurück, dann steigt sie kontinuierlich an, die Zahl der Empfänger der Sozialhilfeleistung Grundsicherung im Alter (und bei Erwerbsminderung für Menschen vor dem Erreichen der Altersgrenze) nach § 41 ff. SGV XII.

»Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist eine bedarfsorientierte und bedürftigkeitsgeprüfte Fürsorgeleistung. Zugang zu den Leistungen haben erwachsene Personen, deren (anrechenbares) Einkommen, (verwertbares) Vermögen und/oder (realisierbare) Unterhaltsansprüche nicht ausreichen, um den individuellen Bedarf zu decken. Hierbei bleiben Unterhaltsansprüche gegenüber Kindern bzw. Eltern unberücksichtigt, sofern das jährliche Gesamteinkommen des Unterhaltspflichtigen 100.000 Euro nicht übersteigt«, so die Kurzbeschreibung von Johannes Steffen.

Er weist zugleich darauf hin: »Hilfebedürftige Bezieher einer (vollen) Altersrente haben erst nach Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung« – und die steigt im Zuge der sukzessiven Einführung der „Rente mit 67“. 2021 lag die Altersgrenze bei 65 Jahre und zehn Monate und die 67 Jahre werden für das Baujahr 1964 erreicht. Auch zu bedenken: »Wer eine vorgezogene Altersrente bezieht, ist bei Bedürftigkeit zunächst auf Leistungen nach dem dritten Kapitel SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) verwiesen; hier aber ist vor allem der Unterhaltsrückgriff sehr viel rigider ausgestaltet. Und bedürftige Erwerbsgeminderte haben nur dann Zugang zu Leistungen der Grundsicherung nach SGB XII, sofern sie voll und dauerhaft erwerbsgemindert sind; andernfalls sind auch sie auf Leistungen nach dem dritten Kapitel SGB XII bzw. nach dem SGB II („Hartz IV“) verwiesen.«

Im Dezember 2021 wurden bundesweit 588.780 Empfänger/innen von Grundsicherung im Alter ausgewiesen. Damit lag die „Grundsicherungsquote“ (also die Zahl der Empfänger/innen von Grundsicherung im Alter in Prozent der Bevölkerung entsprechenden Alters) deutschlandweit bei 3,35 Prozent – wobei die Stadtstaaten Hamburg mit 9,02 Prozent, Bremen 7,34 Prozent und Berlin mit 6,64 Prozent der Älteren mit Abstand die Spitzenpositionen belegt haben.

Immer mehr Rentner sind auf Grundsicherung angewiesen …

»Die Zahl der Rentner in Deutschland, die zusätzlich Grundsicherung beziehen, ist in diesem Jahr erneut angestiegen. Der Anstieg fiel zudem deutlich höher aus, als in den Vorjahren«, berichtet Felix Huesmann unter der Überschrift Immer mehr Rentner sind auf Grundsicherung angewiesen. »Das geht aus einer Aufstellung des Statistischen Bundesamtes hervor, die die Linksfraktion im Deutschen Bundestag angefragt hat … Im Juni 2022 bezogen demnach bundesweit 628.570 Menschen im Rentenalter Grundsicherung.«

Die Quartalswerte die Grundsicherung betreffend kann man auf den Seiten des Statistischen Bundesamtes abrufen. Hinsichtlich der vergangenen Jahre stellt sich die Entwicklung so dar:

»Im Juni 2022 bezogen demnach bundesweit 628.570 Menschen im Rentenalter Grundsicherung. Das sind 51.025 Menschen mehr als noch im Juni 2021 – ein Anstieg um fast 9 Prozent binnen eines Jahres. Auch in den Jahren zuvor war die Zahl der Grundsicherungsbezieher im Rentenalter kontinuierlich angestiegen, jedoch deutlich langsamer.«

Zur möglichen Ursachenanalyse schreibt Huesmann: »Zum sprunghaften Anstieg in diesem Jahr könnte auch der Zuzug ukrainischer Geflüchteter im Rentenalter beigetragen haben.«

➔ Um welche Beträge geht es in der Grundsicherung für Ältere? Der durchschnittliche Bruttobedarf wird für Juni 2022 mit 870 Euro pro Monat beziffert – für alles, also Wohnen, Lebenshaltung, Teilhabe. Und von den Betroffenen selbst werden 382 Euro pro Monat angerechnet, die dann aus deren eigenen Renten bzw. anderen Einkommen stammen ( – ein Betrag, der zugleich verdeutlicht, dass die Menschen im Bezug in der Regel arm wie eine Kirchenmaus sind, was ihre eigenen Einkünfte angeht).

Und wieder einmal reflexhafte Abwehrversuche

Es ist nicht wirklich überraschend, dass man bei den Reaktionen auf solche Meldungen das immer gleiche Muster zur Kenntnis genommen werden muss: Es sind doch nur etwas mehr als 3 Prozent der älteren Menschen, die auf staatliche Grundsicherung im Alter angewiesen sind, bei solchen Anteilswerten könne man doch nicht von einem erheblichen Problem der Altersarmut sprechen.

Das ist in mehrfacher Hinsicht falsch.

Warum die Altersarmut viel größer ist als die offizielle Zahl der Empfänger/innen von Grundsicherung im Alter

➔ Zum einen wird dabei ausgeblendet bzw. nicht zur Kenntnis genommen, dass wir es bei der Grundsicherung im Alter nach SGB XII mit einer bedürftigkeitsabhängigen und entsprechend geprüftem Sozialhilfeleistung zu tun haben, bei dem – seit vielen Jahren bekannt – ein Problem darin besteht, dass wir mit einer erheblichen Nicht-Inanspruchnahme eigentlich zustehender Leistungen konfrontiert sind. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Ein weiteres Schlaglicht auf die Menschen hinter der Dunkelziffer der harten Altersarmut: Zur Nicht-Inanspruchnahme der Grundsicherung im Alter vom 8. Dezember 2019. Studien zeigen eine immer noch sehr hohe Dunkelziffer – darunter versteht man die Nicht-Inanspruchnahme von Leistungen aus der Grundsicherung für Ältere, obwohl einem die eigentlich zustehen. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang ein Wert in Höhe von 40 Prozent genannt – also 40 Prozent derjenigen, die Ansprüche auf Grundsicherungsleistungen haben, nehmen die aus unterschiedlichen Gründen nicht wahr (vgl. Becker 2012). Die von Becker genannten 40 Prozent sind eher eine Unterschätzung der tatsächlichen Nicht-Inanspruchnahme – so die Studie von Buslei et al. 2019, die zu noch höheren Werten kommt: Die Grundsicherung im Alter wird von rund 60 Prozent der Anspruchsberechtigten – hochgerechnet damals etwa 625.000 Privathaushalten – nicht in Anspruch genommen. Anders ausgedrückt: von 100 Berechtigten nehmen nur 38 die Grundsicherung in Anspruch. Personen mit geringem Anspruch, ImmobilieneigentümerInnen, ältere und verwitwete Personen verzichten häufiger als andere auf Grundsicherung. Bei voller Inanspruchnahme würde das verfügbare Einkommen der Haushalte, die Grundsicherung aktuell nicht beziehen, aber beziehen könnten, um rund 30 Prozent steigen. Die andere Seite der Medaille: Der Staat spart eine Mengel Geld durch dieses Verhalten älterer Menschen: Für 2015 kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass es sich hierbei um etwa zwei Milliarden Euro im Jahr handelt. Die bisher veröffentlichten Studien weisen je nach Annahmen und Daten eine Quote der Nichtinanspruchnahme von etwa 40 bis 60 Prozent aus. In anderen Worten: Würden alle berechtigten Personen ihre Ansprüche geltend machen, lägen die Bezugsquoten etwa doppelt so hoch wie beobachtet.

➔ Der zweite Fehlschluss ist von grundsätzlicher Bedeutung: Die Gleichsetzung bzw. das Kleinrechnen von Altersarmut auf die Schrumpfgröße derjenigen, die tatsächlich auch Grundsicherung im Alter nach SGB XII beziehen. Denn Altersarmut bzw. die offizielle Begrifflichkeit: die Armutsgefährdung, wird nach den gängigen nationalen und internationalen Standards nicht an der Zahl oder der Quote von bestimmten Sozialhilfeempfängern gemessen, sondern abgeleitet aus der Festlegung auf einen relativen Armutsbegriff als Unterschreiten einer relativen Einkommensposition in einer bestimmten Gesellschaft:

Der „richtige“ Maßstab für die Quantifizierung von Altersarmut die Verwendung einer relativen Einkommensarmutskonzeption, also die offizielle Definition einer „Armutsgefährdung“, wenn man als Alleinstehender oder als Haushalt mit zwei oder mehr Personen über weniger als 60 Prozent des Median-EInkommens verfügt. Diese so definierte „Armutsgefährdungsschwelle“ in Zahlen des vergangenen Jahres 2021: Wenn man als alleinstehende Person weniger als 1.148 Euro im Monat für alles – also Wohnen, Lebenshaltung, Teilhabe an der Gesellschaft – zur Verfügung hat, dann gilt man als „von Armut gefährdet“. Bei solchen Beträgen ist man angesichts der heutigen Preisverhältnisse einkommensarm. Aber selbst das wird von interessierter Seite immer wieder gerne bestritten – das würde „nur“ Ungleichheit“ in einer Gesellschaft abbilden, aber nicht „Armut“. Na ja.

Wenn man diesen „richtigen“ Maßstab zugrunde legt, dann lagen im Jahr 2021 ausweislich der amtlichen Sozialberichterstattung und der Bevölkerungszahl der entsprechenden Altersgruppe 3,048 Millionen ältere Menschen unter der offiziellen Armutsgefährdungsschwelle. Dann sprechen wir von einer Quote (nach Mikrozensus) von 17,9 Prozent bei den Haushalten von Rentnern und Pensionären. Nimmt man die Altersgruppe der 65 Jahre und älteren Menschen, dann weist das Statistische Bundesamt (ebenfalls auf Basis des Mikrozensus) eine Armutsquote von 15,1 Prozent und bei den Frauen von sogar 19,3 Prozent für das Jahr 2021 aus. Das sind nun ganz andere Größenordnungen.

Viele Ältere mit echt wenig Geld

Das Statistische Bundesamt hat am 29. September 2022 diese Meldung veröffentlicht: Mehr als ein Viertel der Rentnerinnen und Rentner haben ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 Euro: »Im Jahr 2021 hatten 4,9 Millionen Rentnerinnen und Rentner ein persönliches monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 Euro.« Datengrundlage ist der Mikrozensus. »Das entspricht einem Anteil von 27,8 % der Rentenbeziehenden. Bei Frauen liegt dieser Anteil deutlich höher: 38,2 % der Rentnerinnen hatten ein Nettoeinkommen von unter 1.000 Euro, dagegen nur 14,7 % der Rentner.«

Und auch das ist interessant:

»Für immer mehr über 65-Jährige ist die Erwerbstätigkeit eine wichtige Einkommensquelle – nicht nur weil das Renteneintrittsalter seit 2012 bis 2031 stufenweise von 65 auf 67 Jahre steigt. Schon jetzt sind ältere Menschen deutlich häufiger erwerbstätig als vor zehn Jahren: Im Jahr 2021 arbeiteten 12,9 % der 65- bis unter 75-Jährigen. Zehn Jahre zuvor waren es noch 7,0 % … Arbeiten im Rentenalter kann bedeuten, einer drohenden Altersarmut entgegenzuwirken, den Lebensstandard zu verbessern oder länger aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Für 40,8 % der Erwerbstätigen zwischen 65 und unter 75 Jahren war die ausgeübte Tätigkeit die vorwiegende Quelle des Lebensunterhalts. Damit gab es 2021 in dieser Altersgruppe in Deutschland 470.000 Personen, die überwiegend vom eigenen Arbeitseinkommen lebten. Für die Mehrheit der 65- bis unter 75-jährigen Erwerbstätigen war dieses Einkommen aber ein Zuverdienst.«

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