4,17 Millionen Arme waren 2021 unter 25

Jugendarmut

4,17 Millionen Arme

… waren 2021 unter 25, seitdem sind es mehr geworden:
»Monitor Jugendarmut« von katholischem Sozialverein
 
Von Alexander Reich Junge Welt  24.11.2022

Die hohe Kinder- und Jugendarmut wächst. Lässt man die Sozialleistungen außen vor, waren im vergangenen Jahr 37,2 Prozent der Minderjährigen armutsgefährdet, das heißt, ihnen standen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung. Nimmt man die Sozialleistungen dazu, war von den unter 18jährigen immer noch mehr als jeder fünfte betroffen, in der Altersgruppe der 18- bis 25jährigen waren es sogar 25,5 Prozent; gegenüber 15 Prozent in der Gesamtbevölkerung,

Das sind Ergebnisse eines »Monitors Jugendarmut«, den die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BKJ) am Mittwoch in Berlin vorstellte. Seit 2010 erstellt der Verein diese Studien. Grundlage sind die jeweils neuesten Zahlen, die in diesem Fall von 2021 stammen. Seitdem hat sich die Lage sicherlich verschärft.

Beruflich auch Priester

Auf 4,17 Millionen sei die Zahl der unter 25jährigen in Armut im Jahr 2021 gestiegen, erklärte BKJ-Chef Stefan Ottersbach. Die am stärksten betroffene Altersgruppe sei die der 14- bis 25jährigen. »Armut versteckt sich«, sagte Ottersbach, »beruflich auch Priester«, in den Krisen der letzten Zeit sei Armut nun immerhin »besprechbar« geworden – »Gott sei Dank, was heißt Gott sei Dank?!«

Vorangestellt war der Präsentation ein Porträt der 18jährigen Angelique: »mit vier das erste Mal im Kinderheim – jetzt wohnungslos; und mit dem Wunsch, Altenpflegerin zu werden«. Niemand solle schlecht über ihre Familie denken (»Meine Mama hat alles gemacht, was sie konnte«), wurde die 18jährige zitiert. Je nachdem, kommt sie bei ihrem Freund oder ihrer Tante unter. Seit sie »Hartz IV« bezieht, kann sie »zumindest auch mal einkaufen gehen und was zurückgeben«. In den »Leistungsbezug« hat sie ein Sozialarbeiter gebracht, und das war »alles andere als einfach«, erklärt der. Auf die eigenen Beine zu kommen ist für Angelique mit der Inflation wieder schwieriger geworden, und ob sie das mit der Altenpflege »überhaupt schaffen« könne, da sind ihr Zweifel gekommen. Ihr Selbstvertrauen sei »angeknackst«, hieß es in dem Porträt etwas beschönigend.

Als wäre es nicht entwürdigend genug, jeden Cent zweimal umdrehen zu müssen, schlägt den Armen in der Öffentlichkeit offene Verachtung entgegen, zuletzt wieder verstärkt beim Schlammringen um den »Bürgergeld-Kompromiss«. Das unterstrich beim BKJ-Termin die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich. Die Hetze sei ihr »richtig nahegegangen«, sagte die 21jährige, die mit einer alleinerziehenden »Hartz-IV«-Bezieherin im Ruhrgebiet aufgewachsen ist. Hätte sie die Debatte um das Bürgergeld als 14jährige »nicht bei Super RTL verpasst«, sondern etwa in der ARD mitbekommen, wie »alle hohen Tiere« über Leute wie sie reden – ihr Selbstwertgefühl hätte irreparable Schäden genommen.

»Ich habe aufgehört, mich zu schämen, als ich im Unterricht das erste Mal von den ›Hartz-IV‹-Protesten gehört habe«, sagte Heinrich, wollte gleiche Bildungschancen deshalb aber auch nicht zu hoch hängen: »Selbst wenn alle Abitur, Bachelor, Master und Doktortitel machen, arbeiten immer noch 13 Millionen Menschen im Niedriglohnsektor – man muss immer jemanden überholen.« Wenn junge Menschen nicht oder rechts wählten, seien sie »deshalb nicht blöd«. »Die wissen schon, dass das System kacke ist.«

Gegen Armut hilft …

Der mit den »Hartz-Gesetzen« vor 20 Jahren eingeführte Niedriglohnsektor bildet sich indirekt auch in einem Säulendiagramm des BKJ-Monitors ab; er wird seither stetig ausgeweitet, inzwischen gehört jeder fünfte Arbeiter zu den Working poor. Und jetzt kommt’s: Lebten 2011 noch 22 Prozent aller minderjährigen Armen nicht in »Hartz-IV«-Bedarfsgemeinschaften, waren es 2021 bereits 36 Prozent.

Einig waren sich BKJ-Chef und Grüne-Jugend-Sprecherin in der Forderung nach einer Ausbildungsgarantie. Aktuell wollten 37.715 Jugendliche eine Ausbildung machen, die ihnen verwehrt bleibe. Bei 50.000 weiteren Jugendlichen sei der Verbleib unbekannt. Insbesondere Berufsschulen müssten ausgebaut werden, war Konsens, und Heinrich würde »alle Stipendien der Welt an den Nagel hängen, wenn wir dafür die Jugendzentren im Land ausbauen könnten«. »Gegen Armut hilft Geld«, resümierte die Politikerin, und der Priester plädierte bei dieser Gelegenheit für eine »teilhabeorientierte Grundsicherung für alle bis 25«. So blieb an diesem Tag nur offen, wie Heinrich in dieser Partei sein kann.

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