Katharina, Sachbearbeiterin im Jobcenter: „Ich habe Kolleg*innen, die parallel zu ihrer Arbeit selbst noch Bürgergeld beantragen müssen“

Katharina ist verbeamtete Sachbearbeiterin im Jobcenter. Klar: Sie darf nicht streiken. Dennoch unterstützt sie die Forderungen in der laufenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst – unter anderem mit diesem Interview. Denn die Arbeitsbedingungen sind hart, Überstunden an der Tagesordnung und manche ihrer Kolleg*innen im öffentlichen Dienst verdienen so wenig, dass sie selbst Bürgergeld beantragen müssen. Kein Wunder, dass der viele nach kurzer Zeit wieder kündigen. Das muss sich ändern, sagt Katharina.

ver.di: Liebe Katharina, wer bist du und was machst du?

Katharina: Ich bin Katharina-Sophia Gerking, 38 Jahre alt, und arbeite als Sachbearbeiterin im Leistungsservice im Jobcenter Hannover. Außerdem bin ich stellvertretende Bezirksbürgermeisterin und wahrscheinlich in 6000 anderen Vereinen unterwegs, was aber heute hier keine Rolle spielt (lacht).

ver.di: Ganz kurz: wie ist dein Werdegang, wie bist du „beim Jobcenter“ gelandet?

Katharina: Nach der Realschule habe ich zwei Jahre eine Ausbildung im mittleren Verwaltungsdienst gemacht. Danach habe ich in einem kommunalen Abfallwirtschaftsbetrieb als Vollstreckungsbeamtin gearbeitet. Meine Aufgabe bestand darin, ausstehende Abfallgebühren einzutreiben – eigentlich eine schöne Tätigkeit.

ver.di: Ich stelle mir vor, dass du viele Umweltsünder*innen zur Strecke gebracht hast: ein wichtiger Job! Aber wie ging es weiter?

Katharina: 2010 wollte ich mich verändern, mich zog es vom Dorf in die Stadt. Ein Jahr lang bin ich noch jeden Tag zurück ins Dorf zu meiner alten Arbeitsstelle gependelt. Der Weg war weit und zeitintensiv und ich wusste auch: Ich möchte nicht mein Leben lang Pfandsiegel ausschreiben, da muss noch was anderes kommen. So habe ich mich in Hannover beworben. Die Verwaltung ist groß, es gibt also viele Möglichkeiten. Ich wollte etwas Sinnvolles machen. Die Arbeit mit Menschen liegt mir. Ich wusste, ich will dahin, wo‘s knallt und stinkt. (lacht)

Deswegen sollten es entweder Ausländerbehörde oder Jobcenter werden. Das Jobcenter lag mir mehr und das wurde es dann auch. 2011 habe ich beim Jobcenter Hannover angefangen.

Jobcenter: Adhoc-Gründung zur Umsetzung der Hartz-IV-Gesetze

ver.di: Jobcenter gibt es seit 2005 und sind das Ergebnis der Umgestaltung des Arbeitsmarktes im Rahmen der Agenda 2010. 

Katharina: Genau. Das Jobcenter Region Hannover entstand 2005. Zweck war die Umsetzung des Sozialgesetzbuches II, im Volksmund auch „Hartz-IV-Gesetze“. Diese Gesetze waren 2005 kurzfristig erlassen worden. Genauso holprig und mit einem Vorlauf von nur drei bis vier Monaten ging man an die Umsetzung.

Gemeinsame Träger innerhalb einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) waren die Agentur für Arbeit Hannover und die Region Hannover, die Mitarbeiter*innen kamen aus der Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen.

Zu der Zeit, als ich angefangen haben, also 2011, gab es Bestrebungen, diese Struktur wieder aufzulösen. Seit 2011 lautet dann auch die offizielle Bezeichnung „gemeinsame Einrichtung“ (gE) Jobcenter Region Hannover“. Träger sind jetzt die Kommune und die Bundesagentur in einer Arbeitsgemeinschaft.

Heute arbeiten hier 1.500 Menschen, 600 davon im Leistungsservice. Auf der anderen Seite: Die Region Hannover hat knapp 1.2 Millionen Einwohner, 10 Prozent davon beziehen Leistungen vom Staat. Das Jobcenter Hannover ist das zweitgrößte in Deutschland.

Der Jobcenter-Start: Überstunden und Schrottsoftware

ver.di: Wie wurde aber nun gearbeitet, wenn schon die Gründung der Jobcenter so adhoc vonstatten ging?
Katharina: Der Anfang war schwer. Die Kolleg*innen mussten mit einer Schrott-Software arbeiten, die unter anderem nicht in der Lage war, Kontonummern zu erkennen, das musste dann alles per Hand gemacht werden, Fehler waren dabei vorprogrammiert.

Dabei war von Anfang an bekannt, dass diese Software nicht weiterentwickelt werden konnte. Es mussten also mit jeder neuen Anforderung komplizierte Umgehungslösungen geschaffen werden, passend zu den jeweiligen Gesetzesänderungen. Ein Problem sind die Aufstocker*innen: Bis heute machen wir die Einkommensberechnungen teilweise in Exceltabellen, weil die Software das nicht kann.

Hinzu kam, dass der Bundesgesetzgeber schon damals ständig neue Gesetze geschrieben hat. Es gab schon 2011 viel zu wenig Personal und fünfzig bis sechzig Wochenstunden waren nicht ungewöhnlich. Und selbst das reichte nur fürs gerade mal Notwendigste. Einarbeitung hatte ich auch nicht. Als ich angefangen habe, war die Trainerin langzeiterkrankt. Schulungen fielen flach. Es herrschte großes Chaos und es galt die Regel: Wer die ersten sechs Monate überstanden hat, galt als belastbar.

ver.di: Das sind doch völlig unzumutbare Arbeitsbedingungen, die du da beschreibst …

Katharina: Am Anfang war es eine Katastrophe, dann wurde es besser, jetzt rasen wir wieder auf eine Katastrophe zu. Was mich betrifft, macht mir die Arbeit trotzdem Freude. Ich habe diese Zustände irgendwie ganz gut gemeistert.

Aber ich habe dort auch etwas gesehen und erlebt, was den meisten im öffentlichen Dienst verwehrt bleibt, nämlich Aufstiegschancen. Meine Vorgesetzten sahen in mir Potenzial. Ich konnte an die Fachhochschule gehen, meinen Abschluss machen und ich wurde danach in den gehobenen Dienst übernommen. Heute bin ich verbeamtet. Damit bin ich aber eine absolute Ausnahme.

ver.di: Dabei sind eure Aufgaben komplex …

Katharina: Das Sozialgesetzbuch II, nach dem wir arbeiten, ist sehr komplex. Allein die bundesweiten Ausführungsvorschriften zum Gesetz haben rund 2000 Seiten, hinzu kommen die Anweisungen der Kommune und der Geschäftsleitung und ständige Änderungen. Und ja: Man braucht auch darüber hinaus juristisches Wissen: Verwaltungsrecht, Mietrecht, Arbeitsrecht, Familienrecht, Ausländerrecht oder von allem etwas.

Dazu muss man wissen, dass es im Jobcenter kaum ausgebildete Verwaltungsfachangestellte gibt. Wenn bei uns neue Kolleg*innen anfangen, besuchen sie für vier Monate Kurse und haben dann so eine Art Grundwissen. Das ersetzt aber keine dreijährige Ausbildung. Ich kenne einen Tennislehrer, der wurde vom ersten Tag an voll eingesetzt. Das heißt also: Nicht selten herrscht auf beiden Seiten des Schreibtisches hoher Druck.

Wir treffen auf Menschen in Existenznöten

Denn eins ist klar: Der Kundenkontakt ist schon heftig. Wir treffen in unserem Arbeitsalltag auf Menschen in Existenznot, in Notsituationen. Und da ist alles bei: Leute mit psychischen Krankheiten oder in Extremzuständen, überforderte Menschen. Ich sage immer: Wir betreuen Gottes großen Zoo. Und diese Menschen sitzen dann am Schreibtisch eines Kollegen, der vielleicht selbst am Rande seiner Nerven ist.

Viele kommen im letzten Moment, ihr Termin bei uns ist mit Ängsten verbunden. Dadurch, dass viele mit ihren Anliegen so spät kommen, müssen wir sofort handeln. Wenn wir sagen: Das wird schwierig mit den Deadlines, sind viele Antragsteller überfordert und dann geht vieles schief.

Übrigens um noch mal mit einem Vorurteil aufzuräumen: Die wenigsten beziehen ihr gesamtes Leben Sozialleistungen oder erfreuen sich an einer „sozialen Hängematte“. 70 Prozent der Menschen sehe ich nie wieder. 60 Prozent der Bezieher*innen haben Mini- und andere Jobs und müssen aufstocken. Auch beim Bürgergeld: Das sind viele, die einfache Sachbearbeitung machen, Hilfstätigkeiten, die arbeiten und kommen trotzdem kaum über die Runden.

Überstunden sind bei uns Alltag

ver.di: Du erlebst also tagtäglich die Auswirkungen der Niedriglohnpolitik. Trotzdem noch mal zurück zu dir. Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei dir aus?

Katharina: Ich beginne mit der Post zwischen 6.15 und 7.30 Uhr. Da ich mit einer Kollegin in einer Art von Arbeitsgruppe arbeite, betreue ich mehrere Posteingangskörbe, teile die Aufgaben zwischen uns auf und priorisiere sie nach Dringlichkeit. Das kann dann auch schon mal ein bis zwei Stunden dauern.

Danach fange ich mit meinen Sachen an, beantworte Anfragen, prüfe Leistungsbescheide, Verdienstbescheinigungen, Lernförderung oder Aufenthaltstitel, leite Anträge an andere Behörden weiter oder rufe auch Antragsteller*innen an, wenn Unterlagen fehlen. Oft gibt es dabei Sprachbarrieren. Es gibt Anträge, die sind so kompliziert, dass ich daran durchgehend zwei Tage arbeite. Das liegt daran, dass bei uns im Jobcenter alles zusammenläuft. Menschen, die Wohngeld beantragen wollen, müssen eigentlich zum Wohngeldamt, fragen aber bei uns nach, wenn sie eh schon da sind. Das Gleiche gilt für Fragen, die die Ausländerbehörde betreffen oder oder oder … Viele Fragen liegen bei der Kommune im Fachbereich Soziales. Aber die Kommunen heben oft die Hände: Wir nicht! Also wieder wir …

Ich schreibe also Emails, prüfe, was die Kollegin gemacht hat, bearbeite Folgeanträge. Ab 8 Uhr klingelt außerdem das Telefon, die Antragsteller*innen rufen an. Früher ging das bis 15 Uhr, jetzt „nur noch“ bis 12 Uhr. Hinzu kommen – wenn auch wenige –  persönliche Kund*innenvorsprachen, oft mit Dolmetscher. Ich muss Rundschreiben lesen und Dienstbesprechungen gibt es auch noch. Außerdem bin ich Ansprechpartnerin in Fachfragen für meine Kolleg*innen.

Ich muss mich also jeden Tag aufs Neue fragen: Was kann ich von den sechzig bis siebzig Aufgaben am Tag schaffen? Bei dem Pensum sind Überstunden Usus. Viele Kolleg*innen die neu bei uns anfangen verlassen uns deswegen innerhalb der ersten zwölf Monate wieder.

Meine Entscheidungen muss ich vor dem Dienstherren rechtfertigen

ver.di: Wie frei bist du in deiner Entscheidungsfreiheit? 

Katharina: Beispiel: Wenn zum Beispiel jemand eine Wohnung anmietet, gibt es gesetzlich geregelte finanzielle Grenzen. Aber was ist in einer Situation, wenn zum Beispiel Kundin und Mutter, beide psychisch krank, in einer Wohnung leben und ich weiß: Wenn die beiden weiter zusammenleben, könnte es zum Suizid kommen. Der Wohnungsmarkt ist leergefegt. Die Kundin hat dann ein Mietangebot, das fast doppelt so hoch wie der Satz.

Da sitze ich dann, das Ding kommt mittags rein, ich muss mich auf Stand bringen, bei den Kolleg*innen von Markt und Integration nachfragen, die sie laufend betreuen, und es dann rechtfertigen, wie es zu der jeweiligen Entscheidung kommt. Ich muss mich fragen: Wie rechtfertige ich eine Zusage vor dem Dienstherren? Ich muss dann dahingehend prüfen, dass meine Entscheidung „angemessen“ ist, dass weder mein Dienstherr noch Kund*in haftbar gemacht werden können

Mit jeder Krise kam noch mehr Arbeit für uns dazu

ver.di: Die letzten Jahre haben ja dann dieses eh schon überforderte System dann ja wahrscheinlich noch mal vor eine Zerreißprobe gestellt. Welche Auswirkungen hatten die Krisen der vergangenen Jahre auf euch?

Katharina: 2016 kamen Geflüchtete aus Syrien, darauf folgte die Coronakrise, jetzt der Ukraine-Krieg. Ja, das ist schon sehr sehr krass. In den Hochzeiten all dieser Krisen galten teilweise abends andere Regeln als noch am Morgen, mindestens aber drei bis vier Mal pro Woche wurde alles wieder auf den Kopf gestellt. Ich finde das ja gut, dass es in den Krisen unbürokratische Hilfe gibt. Trotzdem: Der Arbeitsaufwand war kaum zu bewältigen, schon allein wegen der Sprachbarrieren. Und aus jeder Krise bleiben Fälle über, die zunehmend komplexer werden. Auch die Gesetze werden komplexer und in ihrer Auslegung immer komplizierter

Unser Leben wird in den letzten Jahren vielfältiger und bunter – und damit auch unsere Fälle. Was ich damit meine? – Durch neue Lebensrealitäten kommen neue Fragestellungen hinzu: Da ist zum Beispiel die EU-Freizügigkeit. Oder: temporäre Bedarfsgemeinschaften, Scheidungskinder, die bei beiden Eltern leben. Die Wirklichkeit schafft ständig neue juristische Konstellationen.

Ich finde diese Entwicklungen gesellschaftlich großartig – aber natürlich sorgt all das auch für mehr Arbeit bei uns. Als jetzt die Energiekrise kam, hieß es dann auch so ungefähr: Jobcenter, denkt euch eine Lösung aus, wie ihr die beschlossenen Maßnahmen aus den Hilfspaketen umsetzt!

Verbale Beleidigungen sind normal, aber auch physische Attacken

ver.di: Was wir auch hören, ist, dass es zu Übergriffen auf Beschäftigte in Jobcentern kommt. Hast du, haben deine Kolleg*innen das auch schon erlebt?

Katharina: Verbale Beleidigungen sind normal. Dass ich angeschrien werde, kommt ungefähr einmal die Woche vor. Dann gibt es Drohungen wie: „Ich finde dich!“ oder „Pass auf, wenn du nach Hause gehst.“ Zu Sachbeschädigung kam es bei mir im Lauf der Jahre hier „nur“ zwei Mal. Einmal hat ein Kunde einen Tacker nach mir geworfen, aber zum Glück nicht getroffen. Die Kollegen aus den Eingangsbereichen – bei uns eine Art von Bürgeramt für Eilanliegen – erleben Bedrohungen, Beleidigungen und Übergrifflichkeiten aller Art deutlich häufiger.

Es gibt dann Situationen im Privaten. Einmal bin ich auf einen alkoholisierten Kunden getroffen, der mich auf der Straße angespuckt hat. Ein anderes Mal war ich auf der Party einer Freundin und kam ins Gespräch mit einem anderen Gast, der mich gefragt hat, wo ich arbeite. Als ich ihm gesagt habe, was ich mache, hat er mir eine Ohrfeige verpasst. – Er fand die Existenz von Jobcentern faschistoid.

Die ständigen Anfeindungen zermürben

Es gibt immer mehr Menschen, die den Staat ablehnen. Wir sind dann die einzigen Feinbilder, die sie zu fassen kriegen. Die Unsicherheit ist da: Am Ende muss man ja nur einmal an eine*n gewaltbereite*n Reichsbürger*in geraten.

Vor vielen Jahren ist eine Kollegin im Jobcenter erstochen worden, nicht in Hannover, aber der Fall war stark in den Medien und wurde natürlich auch unter den Kolleg*innen viel diskutiert. Denn wie oft haben wir danach von Kund*innen gehört, dass sie uns so ein Schicksal auch wünschen. Und klar: Steter Tropfen höhlt den Stein. Das macht auf Dauer was mit einem. Das steckt man sein ganzes Arbeitsleben lang nicht einfach so weg.

Ich muss aber auch sagen: Es wird von der Politik ein Klima geschaffen, das dazu führt, dass Konflikte sehr schnell eskalieren. Obwohl ich selbst in der SPD bin: Den Schnellschuss mit dem Bürgergeld nehme ich dem Heil übel. Das wird nämlich genau in so eine Richtung gehen, dass es entweder im Chaos endet oder massiv auf die Gesundheit von Kolleg*innen. Bis zum Inkrafttreten gab es keine Zeit zur Vorbereitung. Ab dem 1. Juli, wenn der zweite Teil der Regelungen in Kraft tritt, arbeiten wir wieder verstärkt mit Taschenrechner und Excellisten, weil die Software nicht rechtzeitig umgestellt werden kann.

Was ich klarstellen will: Bei meiner Kritik geht es mir nicht um die soziale Seite. Dass sich der Regelsatz erhöht, finde ich gut, auch dass mehr Bürger*innen  Anspruch haben, weil ihre Einkommen zu niedrig sind.

Und noch etwas: Was ich beschrieben habe, sind in meinem Arbeitsalltag Ausnahmen. Mit 90 Prozent meiner Kund*innen komme ich super aus. Manchmal habe ich Kund*innen länger betreut und kannte die Lebensgeschichte, da herrscht dann ein gutes Vertrauensverhältnis. Öfter höre ich: „DANKE, dass Sie da waren!“

Als ich den Standort gewechselt habe, habe ich sogar Blumen von den Kund*innen bekommen.

Der öffentliche Dienst heute: Befristungen, schlechte Löhne und hohe Ansprüche

ver.di: Aus unserem Gespräch wird doch deutlich: Ihr braucht Entlastung. Was tut der Arbeitgeber, um Fachpersonal zu gewinnen oder zu halten?

Katharina: Die Arbeitgeber müssen daran arbeiten, dass unser Job in der Verwaltung wieder attraktiver wird. Ich habe das Gefühl, dass sie sich davon längst verabschiedet haben. – Beziehungsweise sie haben teilweise ein völlig falsches Bild vom öffentlichen Dienst. Sie sagen: Wir bieten sichere und gute Arbeitsplätze, aber dann sind das 1900 Euro netto und der Job ist befristet. Und dabei ist ihr Anspruchsdenken dann noch unglaublich hoch, was die Qualifikation der Kandidat*innen betrifft.

Für die Tätigkeit, die ich jetzt mache, verlangt der Arbeitgeber eine Verwaltungsausbildung oder ein Studium in BWL oder Jura. Das Problem ist, dass der Verdienst bei uns für Leute mit solchen Hochschulabschlüssen nicht attraktiv ist. Sie finden etwas Besseres in der freien Wirtschaft. Aber auch von den Verwaltungsfachkräften gehen viele wieder wegen der hohen Arbeitsbelastung.

Dass ich als Beamtin übernommen wurde, das ist die absolute Ausnahme. Normal bei uns waren befristete Verträge. Zweimal befristet – und währenddessen kriegst du mit, wie Kolleg*innen nach der zweiten Befristung rausgesetzt werden. Überhaupt – schon nach der ersten Befristung nicht fest übernommen zu werden – das ist unfassbar demotivierend!

Bei uns in Hannover gibt es das jetzt zum Glück nicht mehr. Unser ver.di geführter Personalrat hat erreicht, dass es keine befristeten Einstellungen mehr gibt. Aber das war ein unfassbar harter Kampf gegen den Arbeitgeber.

Es geht nicht an, dass Kolleg*innen selbst Bürgergeld beantragen müssen

Nicht wenige Kolleg*innen werden immer noch furchtbar schlecht bezahlt, so dass sie selbst nebenbei Bürgergeld beantragen müssen. Das sind so viele, dass es extra eigene Ansprechpartner*innen im Haus für unsere Kolleg*innen gibt. Allein unter meinen engeren Arbeitskolleg*innen hatten drei Leute selbst mal Leistungen bei uns bezogen.

Dann sind da noch die verstockten Strukturen. Eine Kollegin ist Volljuristin, hat damit die Befähigung für den höheren Dienst, aber die Region Hannover sagt trotzdem „Nein – du bist nicht befähigt für den gehobenen Verwaltungdienst“. In meinem alten Landkreis wird man in seinem Arbeitsleben genau zwei Mal befördert, das war‘s! Mit 24 Jahren ist man dann am Ende der Fahnenstange angekommen. Das kann es nicht sein! So hält man keine Fachkräfte!Gleichzeitig fällt an vielen Stellen alles auseinander in der öffentlichen Hand. Die Wartezeiten werden immer länger. Bei der Elterngeldstelle beträgt die Wartezeit mittlerweile zehn Monate. So ähnlich ist es dann, wenn man sich ummelden oder sein Auto anmelden will …

ver.di: Was muss sich ändern und was sind deine Erwartungen an die aktuelle Tarifrunde?

Katharina: Als Beamtin darf ich nicht streiken. Aber ich unterstütze die Forderungen der Tarifrunde, deswegen führen wir ja auch dieses Gespräch (lacht).

Ich möchte nicht, dass ich Kolleg*innen habe, die parallel zu ihrer Arbeit hier im Haus selbst Bürgergeld beantragen müssen. Wir brauchen eine gute Ausbildung, faire und gute Bezahlung. Es muss Aufstiegschancen geben und die Mitarbeiter*innen müssen gefördert werden. Wenn wir das erreicht haben, arbeite ich im Paradies.

ver.di: Liebe Katharina, hab großen Dank für das Gespräch!

Du willst auch aktiv werden? – Hier kannst du dich immer noch an der Tarifrunde im öffentlichen Dienst 2023 beteiligen. Alle unsere Initiativen für Beschäftigte bei Kommunen findet du hier.

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