Herner Sozialforum

Eine beeindruckende Rede zum Ostermarsch in Mannheim

Clemens Ronnefeldt ist Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes.

Clemens Ronnefeldt, Mannheim

Redebeitrag für den Ostermarsch Mannheim am 8. April 2023

 

– Sperrfrist: 8 April 2023, Redebeginn: 12 Uhr –
– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Als Menschheit insgesamt stehen wir an einem sehr kritischen Punkt – der jede Person vor die Frage stellt: Möchte ich Teil des Problems oder Teil von konstruktiven Lösungen sein angesichts von Herausforderungen, die sich gerade hoch vor der Menschheit aufgetürmt haben?

Ich bin überzeugt, dass wir mehr aus der Geschichte lernen können als die Erkenntnis, dass wir nichts aus der Geschichte lernen.

„Nie wieder Krieg, Nie wieder Faschismus“, – das war lange Zeit breiter Konsens nicht nur der Friedensbewegung, sondern auch der Zivilgesellschaft in Deutschland insgesamt.

Was wir aktuell brauchen, ist ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel – weg von bisheriger Sicherheitslogik, die Sicherheit ausschließlich nur für sich fordert – hin zu einer Friedenslogik, die alle Folgen eigenen Handels auch für die jeweilige Gegenseite mitbedenkt.

Die Veranstalter haben mich gebeten, in den Mittelpunkt meiner Ostermarsch-Rede hier in Mannheim Deeskalations-Szenarien für den Ukraine-Krieg zu stellen.

 

Beginnen möchte ich mit der Frage:

Was wollte und will die Zivilbevölkerung in der Ukraine?

Der Grundsatzbeschluss zur Nato-Beitrittsperspektive der Ukraine 2008 erfolgte auf dem Bukarester Nato-Gipfel gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung. Zwei Drittel der Bevölkerung in der Ukraine standen der Aufnahme ihres Landes in die Nato im Jahre 2008 skeptisch bis ablehnend gegenüber.

Bei einer repräsentativen Umfrage des Kiewer Internationalen Institutes für Soziologie, veröffentlich im September 2015, lautete die Frage: „Welche Maßnahmen ergreifen Sie im Falle einer Intervention und im Falle einer Besatzung der jeweiligen Stadt“.

Eine Mehrheit sprach für die zivile Verteidigung des Landes gegenüber der militärischen aus, eine knappe Mehrheit hielt zudem die soziale Verteidigung des Landes für effektiver gegenüber der militärischen.

Drei Tage nach dem Völkerrechtsbruch durch die russische Armee, die ihr souveränes Nachbarland am 24. Februar 2022 überfiel, wandte sich der Sprecher der ukrainischen pazifistischen Bewegung, Dr. Yuri Sheliazhenko, an seinen eigenen Präsidenten und an den russischen Präsidenten mit der Botschaft: „Redet miteinander“ und forderte direkte Verhandlungen.

Von Beginn an gab es in der ukrainischen Zivilgesellschaft gewaltfreien Protest, besonders in der Großstadt Cherson.

Eine Studie zu den gewaltfreien Aktionen zwischen Februar und Juni 2022 unter Mitarbeit der Universität in Jena dokumentiert landesweit 148 Proteste und Diskussionen zwischen der ukrainischen Zivilbevölkerung und den russischen Besatzungssoldaten, 51 gewaltfreie Interventionen und 36 Aktionen der Nicht-Zusammenarbeit mit den Besatzungstruppen.

Gewaltfreier Widerstand der Zivilgesellschaft in Russland

Auch in Russland gibt es zivilen Widerstand gegen den Krieg. Bekannt geworden ist die Nachrichtensprecherin Marina Owsjannikowa, die ein Plakat in die Kamera des russischen Fernsehsenders hielt: „Kein Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen. Russen gegen Krieg“.

Hochverrat – so lautet der Vorwurf, den Abgeordnete des Rates des Bezirks Smolninskoje im Zentrum von St. Petersburg gegen Wladimir Putin erhoben. Sie stimmten am 7. September 2022 dafür, eine Petition an die Staatsduma der Russischen Föderation zu richten.

Sie enthält die Aufforderung, den russischen Präsidenten des Amtes zu entheben – wegen seines militärischen Vorgehens gegen die Ukraine, das in Russland nicht als Krieg, sondern nur als „militärische Spezialoperation“ bezeichnet werden darf.

Zwischen Januar und September 2022 sind mehr als 600.000 Menschen aus Russland in die EU geflüchtet. Unter ihnen geschätzt etwa 145.000 wehrdienstpflichtige Männer, die sich so dem Krieg entzogen haben. Unter den mehr als vier Millionen Geflüchteten aus der Ukraine in die EU waren geschätzt etwa 150.000 wehrpflichtige Männer.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Asyl-Antrag eines russischen Kriegsdienstverweigerers im Januar 2023 ab. Begründung: Eine allgemeine Mobilmachung in Russland sei nicht zu erwarten.
Diese Praxis gilt es zu ändern – und russischen ebenso wie ukrainischen Kriegsdienstverweigerern in Deutschland Asyl zu gewähren.

Welche Bemühungen um einen Waffenstillstand gab es bisher?

1. Rückblick auf den 10-Punkte von Istanbul vom 29.3.2022

Ende März 2022 – etwa einen Monat nach der russischen Ukraine-Invasion – scheiterte ein 10-Punkte-Plan in Istanbul, obwohl sich eine eine ukrainische und eine russische Delegation recht nahe in den Positionen gekommen waren.

Dieser Plan von Istanbul hatte folgende Vereinbarungen zum Inhalt:

  • 1. Die Ukraine akzeptiert ihre politische Neutralität. Im Gegenzug erhält sie eine völkerrechtliche Garantie zur Umsetzung des blockfreien und atomwaffenfreien Status. Mögliche Garantiestaaten könnten Russland, Großbritannien, China, USA, Frankreich, Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen und Israel sein.
  • 2. Die internationalen Sicherheitsgarantien der Ukraine im Rahmen des Vertrages gelten nicht für die Halbinsel Krim, Sewastopol und einzelne Gebiete des Donbass. Die beiden Konflikt-Parteien sollten die Grenzen dieser Gebiete festlegen oder sich darauf einigen, dass jede Seite sie auf ihre eigene Weise versteht.
  • 3. Die Ukraine sollte sich verpflichten, keinem Militärbündnis beizutreten, keine ausländischen Militärstützpunkte oder – kontingente zu stationieren und internationale Militärübungen nur mit Zustimmung der Garantiestaaten durchzuführen. Die Garantiestaaten sollten dabei ihre Absicht bekräftigen, die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäische Union zu fördern.
  • 4–6. Hier wurde skizziert, wie die Garantiestaaten im Fall eines bewaffneten Angriffs gegen die Ukraine vorzugehen haben, ähnlich wie es der Artikel 5 für die Beistandsverpflichtung der NATO vorsieht.
  • 7. Das Inkraftreten des Vertrages sollte nach einem gesamtukrainischen Referendum und der Verankerung in der ukrainischen Verfassung erfolgen.
  • 8. Offene Fragen sollten im Zusammenhang mit der Krim und Sewastopol innerhalb von 15 Jahren durch bilaterale Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland gelöst werden. Der Entwurf enthielt den Vorschlag, vertraglich zu vereinbaren, die Fragen der Krim und Sewastopols nicht militärisch zu lösen, sondern die politischen und diplomatischen Bemühungen in dieser Frage fortzusetzen.
  • Punkt 9. enthielt Modalitäten für einen Waffenstillstand, den Rückzug der Truppen, humanitäre Korridore und den Austausch der Leichen sowie die Freilassung von Kriegsgefangenen.
  • Punkt 10. sah ein persönliches Treffen des ukrainischen und russischen Präsidenten vor, um einen entsprechenden Vertrag zu unterzeichnen und politische Entscheidungen über die noch offenen Fragen zu treffen. (1)

Warum scheiterte dieser Istanbul-Plan von Ende März 2022, der viele Tausend Tote auf beiden Seiten hätte verhindern können?

Am 13. Mai 2023 berichtete das ZDF unter der Überschrift „Verhindert der Westen Frieden in der Ukraine“: „Tatsächlich gab es bei den Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland Ende März in Istanbul zunächst Annäherungen.

So machte die Ukraine beispielsweise das Angebot, gegen Sicherheitsgarantien einen neutralen Status zu akzeptieren. Russland hingegen kündigte an, seine Truppen beispielsweise um Kiew zu verringern und sich militärisch auf den Osten zu konzentrieren. Laut einem Bericht der ‚Financial Times‘ gab es sogar einen Entwurf für ein Waffenstillstandsabkommen. (…)

„Die britische ‚Times‘ zitierte den damaligen Premier Boris Johnson Anfang April mit den Worten, es solle keine Einigung mit Russland geben, ‚solange die Ukraine nicht die Oberhand hat‘. Vor und während seines Besuchs in Kiew sprach sich Johnson nach Medienberichten – unter anderem des britischen ‚Guardian‘und des ukrainischen Onlinportals ‚Ukrajinska Prawda‘ – dafür aus, dass die Ukraine gegenüber Russland keine Zugeständnisse machen solle.“ (2)

Am 5. März 2022 flog der damalige israelische Premier Naftali Bennett auf Einladung Wladimir Putins nach Moskau. In dem Gespräch im Kreml soll Putin nach Aussagen Bennetts einige substanzielle Zugeständnisse gemacht – und u.a. den Verzicht auf sein ursprüngliches Kriegsziel einer Demilitarisierung der Ukraine erklärt haben.

„Bennett fragte Putin, ob er vorhabe, Selenskyj zu töten. Putin sicherte ihm ausdrücklich zu, das nicht zu tun. Auf seiner Rückreise rief Bennett Selenskyj an und teilte ihm das Ergebnis mit. Der ukrainische Präsident erklärte sich im Gegenzug bereit, auf einen Nato-Beitritt zu verzichten – eine Position, die er kurze Zeit später auch öffentlich wiederholte. Damit war eines der entscheidenden Hindernisse für einen Waffenstillstand aus dem Weg geräumt“, berichtete die Berliner Zeitung am 6.2.2023.

Bennett flog dann zunächst nach Deutschland, sprach mit Bundeskanzler Scholz und anschließend mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sowie dem britischen Premier Boris Johnson, ebenso mit der US-Regierung. Boris Johnson habe damals die „aggressive“ Position vertreten, dass „man Putin weiter bekämpfen müsse“, wogegen Scholz und Macron eher pragmatisch eingestellt waren. In der US-Regierung sollen beide Positionen vertreten gewesen sein.

In den folgenden Tagen soll es laut Bennet weitere intensive diplomatische Anstrengungen mit den Kriegsparteien gegeben haben. Bennett habe seine Bemühungen dabei „bis ins kleinste Detail mit den USA, Deutschland und Frankreich abgestimmt“.

Auf die Frage, ob die westlichen Verbündeten die Initiative letztlich blockiert hätten, antwortete Bennett: „Im Grunde genommen, ja. Sie haben es blockiert, und ich dachte, sie hätten unrecht.“ Sein Fazit: „Ich behaupte, dass es eine gute Chance auf einen Waffenstillstand gab, wenn sie ihn nicht verhindert hätten.“ (Berliner Zeitung 6.2.2023).

2. Initiative von Mexiko vom September 2022

Ende September 2022 schlug Mexiko die Einrichtung einer hochrangigen diplomatischen Delegation vor, die zwischen Russland und der Ukraine vermitteln sollte.

Marcelo Ebrard Casaubon, Mexikos Außenminister, warb vor der UN-Generalversammlung für eine Delegation, welche die Vermittlungsbemühungen von UN-Generalsekretär António Guterres begleiten sollte. In seiner Rede nannte er internationale Führungspersönlichkeiten – namentlich den indischen Premierminister Narendra Modi und Papst Franziskus – als mögliche Unterstützer des UN-Generalsekretärs.

Der mexikanische Außenminister nannte die „Lähmung“ des UN-Sicherheitsrates als Grund für seine Initiative – und warf diesem wichtigsten UNO-Gremium vor, den Krieg in der Ukraine weder zu verhindern noch keine Maßnahmen zu ergreifen, um die Aggression zu stoppen oder einen diplomatischen Prozess einzuleiten.

„Wir werden die notwendigen Konsultationen fortsetzen, mit dem einzigen Ziel, als unparteiischer Akteur und in gutem Glauben dazu beizutragen, eine möglichst breite Unterstützung für die Bemühungen und die gute Arbeit des Generalsekretärs und der Delegation zu erreichen“, fügte der mexikanische Außenminister hinzu. (3).

3. Brasilien – 1. Februar 2023

Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat im Kontext des Besuches von Olaf Scholz Anfang Februar 2023 in Brasilien eine Vermittlungsinitiative Brasiliens und Chinas zur Beendigung des Ukraine-Krieges vorgeschlagen. „Es ist notwendig, eine Gruppe von Ländern zu bilden, die stark genug ist und respektiert wird, um sich mit den beiden an einem Verhandlungstisch zusammenzusetzen“, sagte Lula in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz in der brasilianischen Hauptstadt Brasília. Er habe bereits mit Scholz und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron über die Initiative gesprochen.

Präsident Luiz Inácio Lula da Silva brachte sich selbst als Vermittler ins Spiel, um mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj oder dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sprechen – ebenso wie China. „Unsere chinesischen Freunde spielen dabei eine sehr wichtige Rolle“, sagte er – und dass es Zeit sei, dass China die Initiative ergreife.“ (4).

4. Der chinesische Friedensplan vom 24.2.2023

Am 24.2. hat die chinesische Regierung ihren Zwölf-Punkte-Plan für einen Waffenstillstand in der Ukraine vorgelegt.

Verlangt werden folgende Punkte:

  • 1. Respektierung der Souveränität aller Länder.
  • 2. Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges.
  • 3. Einstellung der Feindseligkeiten.
  • 4. Wiederaufnahme der Friedensgespräche.
  • 5. Beilegung der humanitären Krise.
  • 6. Schutz von Zivilisten und Kriegsgefangenen (POWs).
  • 7. Die Sicherheit von Kernkraftwerken.
  • 8. Verringerung der strategischen Risiken.
  • 9. Erleichterung der Getreideausfuhr.
  • 10. Beendigung einseitiger Sanktionen.
  • 11. Stabilisierung der Industrie- und Versorgungsketten.
  • 12. Förderung des Wiederaufbaus nach Konflikten. (5)

Im Unterschied zum italienischen 4-Stufen-Friedensplan vom Mai 2022, der das Ergebnis von Verhandlungen bereits im Vorhinein festlegen wollte, bleibt der chinesische Vorschlag offenbar bewusst im Detail offen, um die Konfliktparteien erst einmal an den Verhandlungstisch zu bringen und selbst Lösungen erarbeiten zu lassen.

Das Papier könne „als Grundlage für eine friedliche Lösung genommen werden können, sobald der Westen und Kiew dazu bereit sind“, sagte Putin zu diesem Plan im Kreml nach Verhandlungen mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping (ZDF, 12.3.2023).

Die Regierung in Kiew dagegen hat das von China zum Jahrestag der russischen Invasion in die Ukraine vorgelegte Positionspapier abgelehnt. „Jeder ‚Friedensplan‘, der nur einen ‚Waffenstillstand‘ und infolge dessen eine neue Trennlinie und die Besetzung von Gebieten vorsieht, handelt nicht von Frieden“, schrieb der Berater im Kiewer Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak. Es handele sich vielmehr um ein „Einfrieren des Krieges“ und daher einer Niederlage.

Die Länder des globalen Südens haben einen sehr viel größeren Leidensdruck seit dem 24.2.2022 als die Länder des Nordens – aufgrund der drastisch gestiegen Energiepreise und sozialer Verwerfungen.

Mexiko, Brasilien, Indien und China könnten sich sehr viel stärker zusammentun, um gemeinsam internationalen Druck für Verhandlungen und einen Waffenstillstand aufzubauen.

Antony Blinkens Aussagen vom März 2023

Ende März 2023 lud US-Außenminister Antony Blinken Amtskollegen aus mehreren Kontinenten zu einer virtuellen Gesprächsrunde über einen „gerechten und anhaltenden Frieden“ in der Ukraine ein.

Aufsehen hatte der US-Außenminister eine Woche zuvor schon erregt, als er im US-Kongress sagte: „Ich denke, es wird Gebiete in der Ukraine geben, um die die Ukrainer entschlossen sind, vor Ort zu kämpfen. Es könnte Gebiete geben, die sie auf andere Weise zurückzuerobern versuchen müssen.“

Diese Äußerung wurde weltweit mit großem Interesse aufgenommen und als Hinweis gedeutet, dass die Ukraine nach Ansicht Washingtons möglicherweise in Verhandlungen nicht alle derzeit von Russland besetzten Gebiete in ihr Staatsgebiet integrieren wird können.

Wegen der enormen Waffenlieferungen aus den USA wird die Entscheidung in Kiew, ob die Regierung zu Verhandlungen mit Moskau bereit ist, nicht in den Ländern des Südens, sondern in Washington fallen.

In den letzten Monaten kam es mehrfach zum Austausch von Kriegsgefangen – nach Vereinbarungen beider Kriegsparteien.

Das Getreideabkommen – zustande gekommen unter Vermittlung der Türkei und des UN-Generalsekretärs – wurde bereits mehrfach verlängert und zeigt ebenfalls, dass selbst unter schlimmsten Kriegsbedingungen Gespräche nicht nur möglich sind, sondern auch zu einem konstruktiven Abschluss führen können.

In der Geschichte wurden Waffenstillstandsvereinbarungen in Kriegen häufig bereits begonnen, als noch Kämpfe im Gange waren.

IPPNW hat alle bisherigen Vorschläge für Friedensverhandlungen – von Istanbul im März 2022 über den italienischen Friedensplan des italienischen Außenministeriums bis zu den jüngsten Initiativen – in einem Dossier zusammengefasst, das ich zur Lektüre empfehlen möchte.

Zur Friedensarbeit in Deutschland

Der Friedensbewegung insgesamt ist es m.E. nicht gelungen, im Bewusstsein zu halten, dass Frieden kein „Selbstläufer“ ist, sondern täglich neu durch hartnäckige und ausdauernde Gerechtigkeits- und Friedensarbeit im wahrsten Sinne „erarbeitet“ werden will.

Deswegen ist es so wichtig, dass an diesem Ostern 2023 in mehr als 100 deutschen Städten und Gemeinden Ostermärsche stattfinden – und dass ihr alle heute gekommen seid, um Friedensforderungen Nachdruck zu verleihen.

Zu solidarischer Friedens- und Gerechtigkeitsarbeit zählt der konsequente Einsatz an der Seite aller Opfer in Kriegsgebieten ebenso wie für Menschen, die als Geflüchtete zu uns nach Deutschland kommen.

Neben der Aufnahme von Geflüchteten in Privathäusern und deren Unterstützung bei Behördengängen halte ich persönliche Begegnungen für enorm wichtig, um Sprach- und Integrationskurse nachhaltig in ihrer Wirkung zu unterstützen.

Zur Friedenarbeit zählt auch das Stellen kritischer Fragen, z.B:

  • Wo liegt der Vorteil, wenn die Bundesregierung Öl- und Gas aus Russland ersetzt durch die Lieferung aus Staaten wie Saudi-Arabien, Katar oder Aserbaidschan, die ebenfalls Kriege gegen andere Länder führen?
  • Wo blieben die Sanktionen gegen die Türkei, als deren Regierung Syrien und Irak mit ihren Truppen und deutschen Panzern überfallen hat?
  • Warum gibt es in Deutschland Geflüchtete, die kostenlos mit der Bahn reisen und zügig Arbeitserlaubnisse erhalten – und Geflüchtete, denen dies verwehrt wird?
  • Wieviele Tote weltweit aufgrund von Klimakatastrophen wird der Weiterbetrieb von fossilen Kraftwerken noch nach sich ziehen – und wieviele Tote das weltweite Militär, das zu den größten CO-2-Verursachern überhaupt zählt?

Wladimir Putin wird sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten – das Verfahren wurde bereits eröffnet. Warum wurde bisher kein Verfahren gegen George W. Bush und Tony Blair eröffnet – und damit dem berechtigten Doppel-Standart-Vorwurf vieler Länder des globalen Südens aktiv begegnet?

Aufgabe der Friedensbewegung ist es auch, konstruktive Ideen vorzubringen.

Palme Plan

Wer heute nach einem mittel- und langfristigen Friedensplan für Europa sucht, kann sich wieder inspirieren lassen vom so genannten Palme-Plan von 1982, benannt nach dem ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olaf Palme, der maßgeblich zur Überwindung des Ost-West-Konfliktes und zur deutschen Wiedervereinigung 1989/1990 beigetragen hat:

„Die Kosten und Gefahren des Rüstungswettlaufs, die Zunahme politischer Spannung und Instabilität, das Andauern konventioneller militärischer Konflikte, die steigende Gefahr eines nuklearen Krieges, die wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Belastungen durch Militärausgaben – all diese Probleme werden sich nicht lösen lassen, wenn die Nationen der Welt daran festhalten, auf gewohnten Wegen nach Sicherheit zu streben.

Solange sie hartnäckig versuchen, nationale Interessen einseitig zu schützen, und sich so verhalten, als ob sie ihre Sicherheit auf Kosten anderer gewinnen könnten, werden sie scheitern. Der ausgetretene Pfad des militärischen Wettstreits ist eine Sackgasse; er kann nicht zu Frieden und Sicherheit führen. (…)

Zu diesem Zweck fordern wir alle Nationen nachdrücklich auf, ihre Sicherheitspolitik neu zu überdenken. Wir hoffen, dass politische Führer und gewöhnliche Menschen in aller Welt wie wir zu der Erkenntnis kommen, dass Sicherheit nur miteinander, durch gemeinsame Zusammenarbeit erreicht werden kann.“ (6).

Zur Friedensarbeit gehört auch, Missstände ins Bewusstsein zu heben – um diese abzustellen.

Der Rüstungskonzern Rheinmetall baute ab 2011 in Russland für mehr als 100 Millionen Euro für die russische Regierung eine Übungsstadt, in der in den letzten Jahren jährlich mehr als 30 000 russische Soldaten für den Häuserkampf ausgebildet wurden.

Nicht zum erstenmal zeigt sich, dass Rüstungsexporte spätere Langzeitfolgen haben.

In Deutschland fordert die Kampagne: „Stoppt das Töten in der Ukraine“:

  • diplomatische Initiativen durch die deutsche Bundesregierung, die EU, die Vereinten Nationen, die OSZE und andere
  • einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen unter Einbeziehung aller relevanten Akteur*innen
  • den Rückzug des russischen Militärs aus der Ukraine
  • alles zu tun, um einen Atomkrieg zu verhindern und den UN-Atomwaffenverbotsvertrag voranzutreiben sowie
  • den Ausstieg aus fossilen Energieträgern, um keine weitere Finanzierung des Krieges zu ermöglichen und die Klimakatastrophe abzuwenden.

Symbolisch gesprochen, geht es darum, die mit Überfluss gedeckten Tische länger statt die Zäune höher zu machen, zu teilen statt zu töten.

„Die größte Schwäche der Gewalt ist, dass sie in eine Abwärtsspirale führt,
die genau das, was sie zerstören will, erzeugt“ – hat Martin Luther King jr., Friedensnobelpreisträger und Mitglied des Internationalen Versöhnungsbundes, einmal gesagt.

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, lautet ein Zitat von Friedrich Hölderlin. Diese Rettende wächst aber nicht von selbst. Es braucht unsere Köpfe, unsere Herzen und unsere Hände.

Arbeiten wir weiterhin mit großer Ausdauer daran, Kriege zu beenden – abzurüsten statt aufzurüsten – und sowohl für aktuell bedrohte Menschen im globalen Süden wie auch künftige Generationen weltweit unseren gemeinsamen Planten Erde bewohnbar zu erhalten.

Ich danke euch fürs Zuhören.

 

Clemens Ronnefeldt ist Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes.

 

Anmerkungen:

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