Verzweiflung und Wut: Tageseltern warten aufs Geld der Stadt: „Wir Tageseltern sind am Limit. Wir wissen alle nicht, wie es weitergeht.“

Kinder- und Jugendpolitik in Herne: Ein permanenter Skandal – über 1.200 Kita-Plätze fehlen und jetzt noch Probleme bei der Finanzierung der Tageseltern

Verzweiflung und Wut: Tageseltern warten aufs Geld der Stadt

 

Herne.  Das Konto nicht gedeckt, weil die Stadt Herne nicht zahlt: Tageseltern warten häufig vergeblich aufs Geld. Sie sind stinksauer – und verzweifelt.

Quelle: WAZ Herne Kathrin Meinke

Sie arbeiten hart, passen häufig auf viele quirlige Kinder auf, müssen finanziell in Vorleistung gehen – und warten am Monatsende häufig vergeblich auf das Geld der Stadt. Tageseltern in Herne sind stinksauer – und verzweifelt. Denn den Job, den sie eigentlich so gerne machen, könnten sie so auf Sicht nicht weitermachen, sagen sie. Das würde die Stadt und Hunderte Eltern vor ein echtes Problem stellen: Denn bekanntermaßen fehlen schon jetzt mehr als 1000 Betreuungsplätze für Kinder.

„Wir Tageseltern sind am Limit. Wir wissen alle nicht, wie es weitergeht“, sagt eine Tagesmutter aus Herne. Obwohl dringend Tageseltern benötigt werden, tue die Stadt zu wenig – oder gar nichts – um die Bedingungen zu verbessern und den Einstieg attraktiver zu gestalten. Das beginne bei strengen Vorgaben für die Pflegeerlaubnis, Fortbildungen an freien Tagen und ende seit Monaten in einer unregelmäßigen Bezahlung.

Konto nicht gedeckt, weil Stadt Herne nicht zuverlässig zahlt

„Mal fehlt der Anteil zur Rentenversicherung, mal das Geld für ein Kind, mal kommt das Geld erst zum Fünften eines Monats“, beklagt eine von sieben Tagesmüttern, die an diesem Tag zusammengekommen sind, um ihrem Unmut Luft zu machen. Auch die Kolleginnen kennen dieses Problem. „Die Fixkosten wie Miete gehen am Monatsanfang ab, und das Konto ist dann nicht gedeckt“, ärgert sich Jesica-Mabel Scheffler, Tagesmutter in der Großtagespflege Farbenreich in Mitte.

„Wenn man arbeiten geht, aber Monat für Monat gucken muss: ,Ist das Geld da?’, finde ich das eine Frechheit“, regt sich eine andere Tagesmutter auf. „Denn wir sind immer da, immer präsent und zuverlässig.“ Warum könne es keinen Dauerauftrag geben, der wie in anderen Firmen zuverlässig das Geld überweist, für das ja auch hart gearbeitet wurde? Das benötigt wird, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Schon lange sei die Tagespflege eher eine Herzenssache als eine Einnahmequelle.

Kosten für Strom, Heizen und Lebensmittel steigen

Doch die Lage werde immer schwieriger: Nicht nur Strom- und Heizkosten würden steigen, auch Spielsachen, die Einrichtung, für die es nur bei Eröffnung einmalig eine Investitionspauschale gebe, sowie Lebensmittel. Die Ausgaben hierfür würden längst nicht mehr durch die Essensbeiträge der Eltern gedeckt. „Ich möchte von den Eltern aber auch nicht noch mehr verlangen, da habe ich ein schlechtes Gewissen“, sagt eine Tagesmutter. Also nehme sie das Geld für ein abwechslungsreiches Frühstück, gesundes Mittagessen sowie einen Snack zum Teil aus der eigenen Tasche – obwohl diese eh schon leer ist. „Ich könnte den Job nicht machen, wenn mein Mann nicht der Hauptverdiener wäre“, sagt Yvonne Guth, Tagesmutter in Baukau.

Jeden Tag gehe sie mit Sorge zum Briefkasten, ob eine neue Rechnung herein flattert, eine Nachzahlung für die stark gestiegenen Strom- und Heizkosten, beschreibt eine andere Tagesmutter die Situation. Auf die Unterstützung durch eine Energiepauschale warten sie bisher vergeblich. Es stünden einmalig 80,05 Euro pro Kind vor Steuern im Raum, die das Land zahlen wolle. Eine Summe, die die zusätzlichen Kosten bei weitem nicht decke, aber ein Anfang wäre.

Während festangestellte Erzieherinnen zuletzt regelmäßig für mehr Geld streikten und die städtischen Kitas dicht blieben, sei das ihnen als Selbstständige nicht möglich. Dabei würden auch sie sich einen angemessenen Inflationsausgleich wünschen, der über die jährlichen zehn Cent hinaus reiche, die Herne festgesetzt hat. Das Land würde im Kinderbildungsgesetz (Kibiz) immerhin eine jährliche Erhöhung um 3,46 Prozent empfehlen, das entspräche in Herne einer Anhebung von 19 Cent statt 10 Cent pro Stunde und Kind, sagt Britta Hennig, Tagesmutter bei der „Süder Rasselbande“ in Herne-Süd.

Das Schwierige an der Situation der Tageseltern sei, dass sie in einer indirekt abhängigen Selbstständigkeit arbeiteten und dabei nicht, wie andere Selbstständige, selbst die Preise für die Betreuung festsetzen könnten, gleichzeitig aber nicht alle Vorteile der Festangestellten hätten. „Wir wünschen uns eine tatsächliche Gleichstellung mit dem Kita-Personal“, so Hennig.

Krankheit wird vom Urlaub abgezogen

Dabei gehe es nicht nur um Geld. „Das sind so viele Dinge, die wirklich nicht mehr hinnehmbar sind,“ betont eine erfahrene Tagesmutter. Etwa die Regelung im Krankheitsfall: Statt eines klaren Urlaubsanspruchs habe man 30 „Freizeittage“. Wenn eine Tagesmutter krank ist, würde der Ausfall von den Freizeittagen abgezogen. Deshalb seien sie vom Träger „Herner Tageseltern“ aufgefordert worden, nur 20 Tage für Urlaub einzuplanen. Die restlichen zehn Tage sollten für mögliche Erkrankungen geblockt werden.

„Ich finde es schon traurig, wenn man ein schlechtes Gefühl haben muss, weil man krank ist und nicht arbeiten kann“, sagt Yvonne Guth. Denn auch die Vertretung in Herne sei schlecht geregelt, sagen einige Tageseltern. Sie würden sich Stützpunkte für den Krankheitsfall wünschen, zu denen Eltern ihre Kinder bringen könnten, wenn die Tagespflegeperson krank ausfalle.

Schon in Corona-Zeiten war der Frust der Tagesmütter gestiegen, da sie, während die Kitas noch in der Notbetreuung waren, schon wieder die Hütte voll hatten und von der Stadt nicht einmal Desinfektionsmittel bekommen hätten. Bis heute warteten sie vergeblich auf einen Corona-Bonus.

Tageseltern: „Wir erfüllen für die Stadt den Rechtsanspruch“

„Wir erfüllen für die Stadt Herne den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, bekommen dafür von der Stadt aber keine angemessene Wertschätzung und Bezahlung“, bedauert Britta Hennig. Die Tageseltern fühlen sich von der Politik ignoriert, ihnen und ihren Sorgen werde kein Gehör geschenkt. Die geringe Wertschätzung zeige sich in ihren Augen auch darin, dass sie nicht im Kita-Navigator aufgenommen würden. „Wir werden als Notlösung gesehen, wenn es keinen Kitaplatz gibt“, bedauert Jesica-Mabel Scheffler. Dabei biete die Kindertagespflege so viele Vorteile gegenüber der Kita-Betreuung.

„Ich bin nach 13 Jahren zu 80 Prozent dazu geneigt aufzuhören und nicht weiterzumachen“, sagt eine Tagesmutter voller Bedauern. Und das habe, wie sie betont, nichts mit der Betreuung der Kinder zu tun, die ihr weiterhin Spaß mache und deren große Bedeutung für diese kleinen Menschen sie auch weiter sehe. „Die Kindertagespflege war eigentlich etwas, mit dem ich in Rente gegen wollte.“ Aber dazu werde es nicht mehr kommen, wenn sich nicht grundlegend etwas ändere. Die Stadt Herne plant für das kommende Kita-Jahr 2023/24 mit 421 Betreuungsplätzen in der Kindertagespflege. Sollte sich bei der Situation der Tageseltern nicht etwas ändern, könnten einige diese Plätze bald wegbrechen.

So reagiert die Stadt auf die Vorwürfe der Tageseltern

Sich wiederholende Probleme bei der Bezahlung der Herner Tageseltern sind der Stadt nicht bekannt, teilt diese auf WAZ-Anfrage mit. Hingegen räumt Stadtsprecherin Anja Gladisch ein: „Eine verspätete Zahlung (erst zum Fünften des Monats) kann aufgrund der verschiedenen Banken passieren.“ Dies liege aber in der Zuständigkeit und Umsetzung der jeweiligen Bank. „Ein Dauerauftrag kann aufgrund der sich ändernden Zahlungen nicht eingerichtet werden,“ so Gladisch weiter. Gemeint sind Veränderungen im Betreuungsumfang sowie den Versicherungsbeiträgen, die theoretisch monatlich möglich wären. Die Stadtsprecherin betont aber auch: „Wir behalten unsere Arbeitsprozesse im Blick und optimieren die Vorgänge, wenn nötig.“

Die Kindertagespflege in Herne genieße einen hohen Stellenwert, wenn es um die Deckung der Betreuungsbedarfe der Herner Eltern gehe, heißt es von der Stadt weiter. Der Fachbereich Kinder-Jugend-Familie sei stetig daran interessiert, den Kindertagespflegepersonen Fortbildungsangebote zu bieten sowie die Qualifizierung weiterer Kindertagespflegepersonen und den damit verbundenen Ausbau weiterer Kindertagespflegeplätze voranzutreiben, so Gladisch. Die Zahlung der 80,05 Euro pro Betreuungsplatz, die das Land NRW jeder Tagespflegeperson zur Abfederung der Energiepreissteigerungen bereitstelle, werde derzeit intern von der entsprechenden Stelle vorbereitet.

„Eine Aufnahme in den Kita-Navigator ist derzeit nicht geplant“, so Gladisch. Die Betreuung in der Tagespflege stelle ein familiennahes Betreuungsangebot dar. Die Vermittlung der Kinder erfolge über den Verein der Herner Tageseltern. „Diese individuelle und persönliche Vermittlung nach den Bedürfnissen der Familien und der Betreuungsperson wird als sehr wertvoll angesehen und soll derzeit nicht aufgegeben werden.“

 

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