Arm im Alter wegen Niedriglöhnen
Arm im Alter wegen Niedriglöhnen
Stand: 16.11.2023, 11:29 Uhr
Von: Steffen Herrmann FR
Die Gewerkschaft NGG fordert höhere Löhne und mehr Kontrollen gegen Schwarzarbeit.
Wie fair arbeitet Deutschland? Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ist überzeugt: überhaupt nicht fair. Die NGG-Spitze um Guido Zeitler forderte am Mittwoch deshalb eine „Neujustierung der Löhne“. „Gerade bei den unteren Löhnen muss es deutlich nach oben gehen“, sagte Zeitler am Rande des NGG-Gewerkschaftstages in Bremen.
Ab Januar liegt der Mindestlohn bei 12,41 Euro pro Stunde. Genug für eine armutssichere Rente?
Die Botschaft der NGG-Spitze hatte zwei Adressaten. Einerseits die Bundesregierung: Sie solle den Mindestlohn auf etwa 14 Euro pro Stunde erhöhen und gleichzeitig das Tariftreuegesetz vorantreiben. Andererseits die Arbeitgeberverbände, mit denen Tarifverträge ausgehandelt werden müssten, die idealerweise deutlich über 14 Euro liegen.
Derzeit arbeiten rund zehn Millionen Menschen für einen Stundenlohn bis 14 Euro. Das zeigt eine Studie, die die NGG beim Pestel-Institut in Auftrag gegeben hat. Das reicht aber nicht, um entspannt auf die spätere Rente blicken zu können, wie Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts betonte. Denn: Wer mehr als 45 Jahr zum Lohn von 14 Euro beschäftigt ist, erhält eine Rente von 1139 Euro brutto pro Monat. „Selbst 14 Euro sind in unserem System nicht armutssicher“, sagte Günther.
Schwarzarbeit und Mindestlohn: Zoll prüft Firmen selten
Der Mindestlohn liegt bei zwölf Euro pro Stunde. Zum 1. Januar steigt er auf 12,41 Euro, von 2025 an liegt er bei 12,81 Euro. Wer 45 Jahre lang für den Mindestlohn von 12,41 Euro arbeitet, erhält laut Günthers Berechnungen eine Bruttorente von 1010 Euro pro Monat
Armut im Alter sei ein Problem für Betroffene und die Gesellschaft, sagte NGG-Chef Zeitler. Ein Problem, das wachse, wenn viele Babyboomer bald in Rente gingen. Nun räche sich die politische Förderung des Niedriglohnsektors zum Beispiel durch die rot-grünen Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD).
Armutssichere Rente: 16,50 Euro sollten es schon sein
Wer im Alter sorgenfrei leben will, sollte in der Berufslaufbahn genug verdienen. „Wenn ein Beschäftigter 45 Jahre in Vollzeit arbeitet, dann sollte er heute mindestens 16,50 Euro verdienen“, sagte Günther. Dann bekomme dieser Beschäftigte nämlich eine Bruttorente, die mit 1500 Euro deutlich oberhalb der Grundsicherung liege. Wer nur 40 Jahre schaffe, könne nur eine Bruttorente von knapp 1300 Euro erwarten.
Auch Staat würde von höheren Löhnen profitieren
Von höheren Löhnen würde auch der Staat profitieren, wie die NGG und Pestel-Institutschef Günther betonen. Stiege der Lohn aller, die weniger als 14 Euro verdienen, auf 14 Euro, dann könnte der Staat mit zehn Milliarden Euro zusätzlicher Einnahmen der Sozialversicherungen rechnen sowie zwei Milliarden Euro zusätzliche Einkommenssteuer.
Die Gewerkschaft forderte auch strengere Kontrollen der Einhaltung des Mindestlohns und eine Verdopplung des Personals der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. „Nur ein kontrollierter Mindestlohn ist auch ein gezahlter Mindestlohn“, sagte NGG-Vize Freddy Adjan. Quer durch alle Branchen könnten Unternehmen damit rechnen, „dass nur alle 40 Jahre ein einziges Mal ein Kontrolleur der Finanzkontrolle Schwarzarbeit vorbeikommt“. Im Hotel- und Gaststättengewerbe kontrolliere der Zoll im Schnitt alle 15 Jahre, so Adjan. „Auch das ist ein kalkulierbares Risiko, das viele Unternehmen in Kauf nehmen.“
Der Gewerkschaftstag der NGG läuft noch bis Freitag. Unter dem Motto „Zukunft gemeinsam machen“ debattieren die NGG-Mitglieder über die Zukunft ihrer Gewerkschaft. Am Dienstag bestätigten 147 Delegierte das NGG-Führungstrio im Amt. Guido Zeitler erhielt 88 Prozent der Stimmen. Der gelernte Hotelfachmann führt die NGG seit 2018. Sein wichtigstes Ziel in den kommenden fünf Jahren sei es, den Tariflohn fester zu verankern und den Trend der sinkenden Tarifbindung zu stoppen und umzukehren, sagte Zeitler. Als stellvertretende Vorsitzende wurden Claudia Tiedge und Freddy Adjan gewählt. Die NGG hat nach eigenen Angaben rund 190 000 Mitglieder.