„Diese Finanzkrise des Staates ist nicht durch übermäßig gestiegene Ausgaben, sondern überwiegend durch Einnahmeausfälle verursacht.“ (2003 – eine historische Erinnerung)

… es gibt Alternativen …

Herner Bündnis

für Arbeit

und soziale Gerechtigkeit

 

Positionspapier zur Finanzsituation des Bundes, des Landes NRW und der Kommunen

von 2003 –  eine Erinnerung als Kommentierung der aktuellen Beratungen des Bundeshaushaltes

 

Position des Herner Bündnisses für Arbeit und soziale

Gerechtigkeit zur Finanzsituation des Bundes, des Landes

NRW und der Kommunen

 

Das Herner Bündnis erkennt, dass in den letzten Jahrzehnten gravierende soziale, demografische und ökonomische Veränderungen eingetreten sind, die Reformen des Sozialstaats erfordern. Die aktuelle Debatte wendet sich weniger der strukturellen Probleme zu, sondern verliert sich in Finanzierungsfragen. Damit wird sie zum Teil des Problems: Wesentliche Teile des Sozialstaats drohen dabei verloren zu gehen.

Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. Es gibt kaum Länder in der Welt, die über ein höheres Bruttoinlandsprodukt verfügen. Wir gehören bereits zu den Industrieländern mit niedriger Steuerlastquote, wir müssen nicht die niedrigste anstreben!

Vor diesem Hintergrund erscheinen politische Debatten über die Unvermeidbarkeit vonKürzungen im Bundes- und Landeshaushalt von NRW und in den kommunalen Haushalten als fragwürdig.

Fakt ist, dass die öffentlichen Kassen aufgrund der langfristigen Steuer- und Finanzpolitik des Staates regelrecht leergefegt wurden. Die Haushaltslage des Landes NRW ist aktuell als dramatisch zu bezeichnen. Allein der Kernhaushalt des Landes, also die Summe der rechtlich gebundenen Ausgaben, übersteigt die Verfassungsgrenze derzeit um 1,6 Mrd. €. Nach den aktuellen Berechnungen des Kommunalverbandes Ruhrgebiet werden die Städte und Gemeinden im Ruhrgebiet in diesem Jahr das höchste Defizit seit Gründung der Bundesrepublik einfahren.

Diese Finanzkrise des Staates ist nicht durch übermäßig gestiegene Ausgaben, sondern überwiegend durch Einnahmeausfälle verursacht.

Die Steuerschätzung vom November 2002 zeigte, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik in zwei aufeinander folgenden Jahren die Steuereinnahmen absolut zurückgingen.

Dabei sind die Gemeinden und Kommunen am stärksten betroffen, der Bund hat die geringsten Steuerausfälle hinzunehmen. Die Dramatik der Entwicklung wird durch folgende Überlegung deutlich: Wenn die gesamtwirtschaftliche Steuerquote (Anteil der Steuereinnahmen an der gesamten Wirtschaftsleistung, ausgedrückt in Prozent des Bruttoinlandsprodukts) auf dem Stand des Jahres 2000 geblieben wäre, hätte der Staat 2001 und 2002 insgesamt 78 Milliarden € mehr eingenommen. Im Jahr 2003 würde es wieder fast 45 Milliarden € sein.

Einige dieser Steuerausfälle sind ungeplant, weil konjunkturell bedingt, andere sind politisch gewollt und herbeigeführt worden, z.B. der Einbruch bei den Unternehmens- und Gewinnsteuern. In den Jahren 2001 und 2002 verzichtete der Staat auf Einnahmen in Höhe von über 45 Milliarden € im Bereich der Körperschaftssteuer.

Die Folgen sind offensichtlich: Bund, Länder und Gemeinden fahren ihre Investitionen und Förderprogramme erheblich zurück. In fast allen gesellschaftlichen Bereichen fehlt das Geld zur Durchführung notwendiger sozialer, kultureller, sportlicher und bildungspolitischer Maßnahmen und zur Durchführung notwendiger Investitionen. Diese Situation führt dazu, dass im neuen Koalitionsvertrag der Landesregierung vom 30. Juni 2003 bis auf die Bereiche Schulversorgung und Ganztagsbetreuung alle Förderprogramme im Entwurf auf eine „Null- Förderung“ gesetzt werden.

Das Herner Bündnis für Arbeit und soziale Gerechtigkeit ist der Auffassung, dass neben allem Reformwillen einer Erhöhung der staatlichen Einnahmen eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, die gesellschaftlichen Aufgaben in Bund, Ländern und Gemeinden aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit und der Generationsgerechtigkeit erfüllen zu können.

Dieses Ziel, die staatlichen Steuereinnahmen zu erhöhen, kann dadurch erreicht werden, dass jene Einkommen und Vermögen stärker zur Finanzierung der gesellschaftlichen Aufgaben herangezogen werden, die bislang überhaupt nicht oder nur geringfügig belastet werden oder in den letzten Jahren zum Teil massiv entlastet worden sind.

Namhafte Wissenschaftler – z.B. der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik – betrachten folgende Steuermehreinnahmen als möglich und notwendig:

Vermögenssteuer auf sehr hohe Vermögen 14 Milliarden €

Erbschaftssteuer auf sehr hohe Vermögen 4 Milliarden €

Abschaffung Ehegattensplitting 22 Milliarden €

Börsenumsatzsteuer 9 Milliarden €

Spekulationssteuer 17 Milliarden €

Wertschöpfungssteuer 13 Milliarden €

Bekämpfung der Wirtschafts-Kriminalität 50 Milliarden €

Diese Einzelmaßnahmen würden zu einer Erhöhung der staatlichen Einnahmen um 129 Milliarden € pro Jahr führen.

 

Bereits mit einem Teil dieser steuerlichen Mehreinnahmen können dringend notwendige Investitions- und Beschäftigungsprogramme in Bund, Ländern und Kommunen durchgeführt werden. Die positiv veränderte Beschäftigungssituation hätte enorme Folgen für die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, deren Reform dann sozial gerechter gestaltet werden kann.

Auch im fortgeschriebenen Koalitionsprogramm der Landesregierung, dem „DüsseldorferSignal für Erneuerung und Konzentration“ vom 30.06.03, sprechen die Regierungsparteien von der Notwendigkeit, die Einnahmesituation des Landes zu verbessern und zu verstetigen. Mit diesen konkreten Vorschlägen unterstützen wir diese politische Richtung in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte um die Staatsfinanzen.

Die Vermögensstatistik der Bundesbank zeigt, wie ungleich sich die Verteilung desgesellschaftlichen und privaten Reichtums in der Bundesrepublik entwickelt hat. Politik muss dieser Entwicklung im Interesse des Zusammenhalts der Gesellschaft entgegensteuern.

Mit diesem Konzept einer veränderten Finanz- und Steuerpolitik würde auch die Finanzkrise des Bundes, des Landes NRW und der Kommunen in Nordrhein-Westfalen wesentlich entschärft, wenn nicht gelöst.

Das Herner Bündnis für Arbeit und soziale Gerechtigkeit fordert alle gesellschaftlichen Entscheidungsträger auf, Steuermehreinnahmen anzustreben und sich auf die strukturelle Reform der Sozialsysteme zu konzentrieren, um die soziale Infrastruktur gerechter und zukunftsfähig zu gestalten.

Das Herner Bündnis für Arbeit und soziale Gerechtigkeit fordert alle gesellschaftlichen Entscheidungsträger auf, das Sozialstaatsgebot des Grundgesetztes zu respektieren und dort, wo die Grenzen des Sozialstaatsgebots überschritten wurden, auf den Boden des Grundgesetzes zurückzukehren.

Das Herner Bündnis für Arbeit und soziale Gerechtigkeit fordert alle gesellschaftlichenEntscheidungsträger auf, sich dieser grundsätzlichen Positionierung anzuschließen, um mittel- und langfristig Politik zu einem Kurswechsel zu veranlassen.

Herne, im Oktober 2003

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