Der „Fachkräftemangel“ ist ein hausgemachtes Problem – verursacht von Unternehmen, Bundesagentur für Arbeit und Dualem Berufsausbildungssystem.

Der „Fachkräftemangel“ ist ein hausgemachtes Problem – verursacht von Unternehmen, Bundesagentur für Arbeit und Dualem Berufsausbildungssystem

Wenn in den Unternehmen irgendetwas nicht rund läuft, wird sofort auf den vorgeblichen „Fachkräftemangel“ verwiesen, man zuckt mit den Schultern, meint damit, da „kann man nichts machen“, als wäre das Problem mit der geringen Zahl an Fachleuten wie ein Naturereignis vom Himmel gefallen.

Auch stimmt die Lobhudelei über das Duale Ausbildungssystem in Deutschland schon lange nicht mehr, mehr noch, dieses System scheint wohl völlig gescheitert zu sein. Die einzige Lösung wird in Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland gesehen, doch die Ursachen des Mangels an Fachkräften sind systembedingt und hausgemacht. Wer meint, dass die Unternehmen nun ihre Ausbildungsanstrengungen steigern und auch die Bundesagentur für Arbeit ihre Vermittlung junger Menschen in die Berufsausbildung hinterfragen würden, der ist auf dem Holzweg.

In Deutschland sind aktuell und offiziell 46 Millionen Menschen erwerbstätig, so viele wie nie zuvor. Das entspricht einer Quote von 77 Prozent aller Personen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren. 35 Millionen von ihnen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, doch arbeitet die Hälfte der erwerbstätigen Frauen, meist unfreiwillig, in unterbezahlter Teilzeit oder Minijobs. Gleichzeitig sind 3,5 Millionen Menschen erwerbslos bzw. unterbeschäftigt bei 750.000 gemeldeten offenen Stellen.

Während die Unternehmen lautstark einen Fachkräftemangel beklagen, bleiben 2,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne eine abgeschlossene Ausbildung zurück. Gleichzeitig stieg die Arbeitsproduktivität gesamtwirtschaftlich um gut ein Prozent, im verarbeitenden Gewerbe um drei Prozent und in der Autoindustrie um mehr als fünf Prozent.

„Fachkräftemangel“ wegen Ausbildungsmangel

Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) von 1969 war ein Versuch zur teilweisen Vergesellschaftung der Berufsbildung. Damals hatte die sozialliberale Koalition – auch in Reaktion auf Lehrlingsproteste, investigative Presseartikel und kritische wissenschaftliche Studien – das Berufsbildungsgesetz und danach eine Reihe von Verordnungen (wie die Modernisierung der Ausbildungsordnungen oder die Ausbilder-Eignungsverordnung) erlassen. Ziel war eine Qualitätsanhebung der Ausbildung. Die Lehrlinge sollten von nun an nicht nur Auszubildende heißen, sondern auch sein.

Schon in den 1960er Jahren wurde ein Rückgang der Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen befürchtet. Gegensteuern sollte eine überbetriebliche Finanzierung der Berufsausbildung, indem ein Ausbildungsfonds konzipiert wurde. Die organisierte Unternehmerschaft lehnte dies aber ab und versprach, dass es nicht zu einem Lehrstellenrückgang käme und die Politik verließ sich auf das Versprechen. Doch schon kurze Zeit später, wie vorausgesagt, kam es zu dem massiven Lehrstellrückgang.

Die Bundesregierung reagierte darauf mit dem Ausbildungsplatzförderungsgesetz von 1976, das die Drohung einer Umlagefinanzierung der Berufsausbildung enthielt. Die gesetzliche Regelung sollte in den Jahren umgesetzt werden, in denen ein von der Bundesregierung erstellter Berufsbildungsbericht weniger als ein Überangebot von 112,5 pro 100 nachgefragten Ausbildungsplätzen feststellte.

Das Gesetz ist 1980 durch eine Klage des Landes Bayern vor dem Bundesverfassungs-gericht wegen der fehlenden Zustimmung des Bundesrates zu Fall gebracht worden und der Ausbildungsplatzmangel wurde zu einer Dauereinrichtung in der Bundesrepublik.

Seit den 1980er Jahren bis in die 2000er Jahre wurde der Dauermangel mit den „geburtenstarken Jahrgängen“, später mit der mangelnden Ausbildungseignung der Jugendlichen begründet. Anschließend beließ man es bei einer hilflosen Appellpolitik an die Betriebe. Von einer Vergesellschaftung der Ausbildung sprach man nur noch selten, wie z.B. von der zaghaften Verlagerung von Teilen der Ausbildung in überbetriebliche Ausbildungsstätten, die Verlängerung des Berufsschulunterrichts oder von den Ausbildungsprämien. Im Jahr 2023 gab es nur drei Prozent der gemeldeten Ausbildungsstellen als außerbetriebliche Angebote.

Der Ausbildungsmangel ist somit bis heute der ständige Begleiter junger Menschen.

Im neuen Koalitionsvertrag der Ampelregierung wird versprochen: „Mit den Ländern bauen wir die Berufsorientierung und Jugendberufsagenturen flächendeckend aus. Wir wollen eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, stets vorrangig im Betrieb. In Regionen mit erheblicher Unterversorgung an Ausbildungsplätzen initiieren wir bedarfsgerecht außerbetriebliche Ausbildungsangebote in enger Absprache mit den Sozialpartnern“. Die von den Ampelparteien und der Bundesregierung beschlossene Ausbildungsgarantie ist aber an zahlreiche Bedingungen geknüpft, sodass man kaum noch von einer „Ausbildungsgarantie“ sprechen kann. Die Garantie soll sich keineswegs auf alle Jugendlichen erstrecken, sondern neben dem Nachweis „hinreichender Bewerbungsbemühungen“ nur für diejenigen gelten, die „in einer Region wohnen, in der die Arbeitsagenturen eine erhebliche Unterversorgung an Ausbildungsplätzen festgestellt haben“. Die so definierte Unterversorgung liegt erst dann vor, wenn auf 100 gemeldete betriebliche Berufsausbildungsstellen mehr als 110 gemeldete Bewerber kommen. So eine Situation trifft nur auf 19 der insgesamt 150 Agenturbezirke zu, somit garantiert die Ausbildungsgarantie nur einem geringen Teil der bei der Ausbildungsplatzsuche leer ausgegangenen jungen Menschen einen Ausbildungsplatz. Unter solchen Voraussetzungen wird sich am Ausbildungsmangel nichts Wesentliches ändern.

Erschwerend kommt hinzu, dass in den Ministerien, Behörden, Parteien und den Medien kaum noch Leute anzutreffen sind, die sich mit dem Ausbildungssystem und der praktischen Berufsausbildung auskennen. Sie glauben den Unternehmen einfach, dass sie Auszubildende „händeringend“ suchen.

Die Unternehmen aber denken hauptsächlich einzelbetrieblich, d.h. sie bilden nur dann aus, wenn sie Netto-Ausbildungserträge schon während der Ausbildung erwirtschaften oder nach der Ausbildung die Ausgebildeten an ihren Betrieb binden können. Ansonsten verlegen sie sich lieber auf eine Abwerbestrategie ausgebildeter Arbeitskräfte im In- und Ausland.

Betriebliche Ausbildung

Wer meint, dass die Betriebe angesichts des „Fachkräftemangels“ ihre Ausbildungsanstrengungen steigern würden, der täuscht sich, wie die Datenlage zeigt. Nicht einmal mehr jedes fünfte Unternehmen bildet hierzulande noch aus.

So irrt man, wenn man denkt, wenn ein Betrieb einen hohen Fachkräftebedarf hat, müsste er besonders viel ausbilden. Dagegen spricht einmal, dass die Entscheidung für eine Ausbildung nicht nur vom Fachkräftebedarf, sondern von einer Vielzahl von Faktoren abhängt und zum anderen, das ist die Generalthese –, dass, wenn die Ausbildung einzelbetrieblich finanziert wird, kein rational handelnder Betrieb die Kosten dafür übernehmen wird.

Dies lässt sich mit zwei unterschiedlichen theoretischen Ansätzen begründen:

  1. Der Humankapitalansatzist von Vertretern der marktradikalen neoliberalen Schule entwickelt worden. Er sagt, dass eine bessere Qualifikation von Arbeitskräften zwar höhere Erträge bringt, sie erfordert aber auch entsprechende Investitionen. Ein Unternehmen wird aber nur dazu bereit sein, wenn es die Arbeitskraft nicht generell, sondern spezifisch ausbilden kann. Allen Beteiligten ist bekannt, dass die generelle Qualifizierung einer Arbeitskraft ihre Produktivität in zahlreichen Betrieben verbessert und bei vollständiger Konkurrenz sich alle Betriebe um den Ausgebildeten bemühen und ihm ein Lohnangebot unterbreiten, das durch den Markt bestimmt wird. Bei einem Unternehmen allerdings, das die Kosten der Qualifizierung teilweise oder ganz übernommen hätte, könnte dem Ausgebildeten nur den Ausgebildetenlohn zahlen, also den Marktlohn abzüglich der Ausbildungskosten. Wenn es ihm jedoch den Marktlohn zahlen würde, könnte es keinen Vorteil mehr aus der generellen Qualifizierung ziehen.

Genauso wenig Erfolg hätte der Ausbildungsbetrieb, wenn er dem Beschäftigten nur den Ausgebildetenlohn zahlen würde. Die Arbeitskraft würde in diesem Fall zu einer Konkurrenzfirma wechseln, die den Marktlohn zahlen könnte, da sie ihre Qualifizierung nicht finanziert hat. Der Ausbildungsbetrieb hätte dann nicht nur einen Wettbewerbsnachteil, indem er die Kosten für die Ausbildung getragen hat, sondern auch dadurch, dass ein Konkurrent die Erträge aus seinen Qualifizierungsanstrengungen erzielen würde.

Im Ergebnis heißt das, dass rational handelnde Unternehmen bei vollständiger Konkurrenz nur dann generelle Qualifizierung durchführen, wenn sie die Kosten nicht zu tragen haben.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt man nach der

a. Arbeitskrafttheorie von Karl Marx. Danach ist die Arbeitskraft im Kapitalismus doppelt frei: frei von Produktionsmitteln, aber auch frei, jederzeit das Unternehmen zu wechseln. Die Arbeitskraft gehört nicht dem Unternehmen, somit wird ein Unternehmen aber nicht in etwas investieren, das ihm nicht gehört.

Der Grundsatz lautet also: Wenn die Ausbildung einzelbetrieblich finanziert wird, wird kein ökonomisch rational handelnder Betrieb in eine generelle Ausbildung investieren.

Es stellt sich aber die Frage: Wie kann es sein, dass fast 20 Prozent der Unternehmen dennoch ausbilden?

Da gibt es zwei Ausnahmen:

b. Nutzungsthese

Die besagt, bei der Ausbildung fallen keine Kosten für das Unternehmen an, sondern bereits während der Ausbildung werden (Netto-)Erträge erwirtschaftet. Das Interesse an der Arbeitskraftnutzung der Auszubildenden bereits während der Ausbildung steht besonders bei Kleinbetrieben im Vordergrund. Es führt aber zur Fehlausbildung in wenig zukunftsorientierten Berufen und geht zulasten der Ausbildungsqualität. Deswegen sind Indikatoren der Ausbildungsqualität wie der Ausbildungsabbruch und die Durchfallquoten in der Abschlussprüfung bei Kleinbetrieben am höchsten.

So haben Kleinstbetriebe mit einem bis neun Beschäftigten im Jahr 2020 nur 55 Prozent ihrer Ausgebildeten nach Beendigung der Ausbildung in eine Beschäftigung übernommen, bei Großbetrieben (mit 500 und mehr Beschäftigten) waren es indessen 88 Prozent. Versuche, die Ausbildungsqualität zu erhöhen, haben regelmäßig zu quantitativen Problemen in der Ausbildungsversorgung geführt, weil weniger Betriebe ausbildeten.

b. Betriebsbindungsthese

Hier versuchen die Unternehmen, die Ausgebildeten an den Betrieb zu binden. Das wichtigste Mittel der Betriebsbindung ist vor allem eine betriebsspezifische Ausbildung, die verhindern soll, dass die Ausgebildeten nach dem Ende der Ausbildung den Betrieb verlassen. Konkurrierende Betriebe könnten mit den spezifischen Qualifikationen der Ausgebildeten wenig anfangen, sehr wohl aber der Betrieb, der die betriebsspezifische Ausbildung selbst durchgeführt hat. Eine betriebsspezifische Ausbildung und betriebliche Gratifikationen kann insbesondere in Großbetrieben realisiert werden.

Welche der beiden Ausnahmen von den Unternehmen bevorzugt wird, hängt von den jeweiligen konkreten inner- und außerbetrieblichen Bedingungen ab. Genannt seien hier die sachlichen und personellen Voraussetzungen für eine Ausbildung, die Branchenzugehörigkeit, die Berufsstruktur, die Betriebsgröße, die Konkurrenzsituation, der regionale Arbeitsmarkt, die Konjunkturlage und die gesetzlichen Bestimmungen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Fachkräftebedarf für die Ausbildungsentscheidung eines Unternehmens nur eine untergeordnete Rolle spielt. So bilden einerseits sehr viele Betriebe nicht aus, obwohl sie einen Fachkräftebedarf haben, während umgekehrt Betriebe ausbilden, obwohl sie keinen Fachkräftebedarf haben.

Berufsberatung und Vermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit (BA)

Nach der aktuellen Ausbildungsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit gab es im letzten Berufsberatungsjahr 422.059 gemeldete Bewerber und 545.039 gemeldete Berufsausbildungsstellen. Dieser Angebotsüberhang von über 100.000 Ausbildungsstellen deutet auf den ersten Blick auf eine gute Ausbildungssituation hin, doch Ende September 2023 waren noch 68.900 Stellen unbesetzt und 22.700 junge Leute unversorgt.

Beim genaueren Blick auf die Ausbildungsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit treten weitere Widersprüche und Ungereimtheiten hervor, drei von ihnen werden im Folgenden behandelt.

1. Die wichtigste Zahl der Ausbildungsmarktstatistik wird verschwiegen 

Nur 201.615 oder 48 Prozent der bei der BA bzw. Berufsberatung gemeldeten Bewerber sind auch tatsächlich in eine Ausbildung „eingemündet“. So sind 52 Prozent der Bewerber nicht eingemündet.

Verbleib der gemeldeten Bewerber am 30. September 2023:

  • 48 Prozent haben eine Berufsausbildung begonnen
  • 13 Prozent haben keine Angaben gemacht
  • 6 Prozent sind unversorgte Bewerber
  • 4 Prozent sind arbeitslos
  • 2 Prozent sind in Fördermaßnahmen
  • 1 Prozent leistet gemeinnützige und soziale Dienste
  • 7 Prozent sind erwerbstätig
  • 16 befinden sich in Schule, Studium und Praktikum

und 3 Prozent setzen eine begonnene Ausbildung fort.

Nur weniger als die Hälfte der Bewerber für eine Ausbildung hatten das Glück in diesem Berufsberatungsjahr einen Ausbildungsplatz zu erlangen. Besonders benachteiligt sind dabei die ohnehin schon Benachteiligten: Jugendliche mit Hauptschulabschluss und aus „abgehängten Regionen“ sowie Jugendliche mit Migrationshintergrund bzw. ausländischer Staatsangehörigkeit. Außerdem stecken jährlich über 220.000 junge Menschen in den sogenannten Übergangsmaßnahmen zwischen Schule und Ausbildung fest.

2. Zahlenspielchen bei der Ausbildungsversorgung

Wenn 48 Prozent der Bewerber um einen Ausbildungsplatz eine Ausbildungsstelle erhalten haben, bleiben logischerweise 52 Prozent der Bewerber ohne Ausbildungsplatz und müssten als „unversorgt“ gelten. Doch werden in der Ausbildungsmarktstatistik nur 6 Prozent als „unversorgt“ ausgewiesen, weil ganz willkürlich in dieser Statistik auch arbeitslose, erwerbstätige und die in Warteschleifen – offiziell „Übergangsbereich“ genannt – abgeschobenen Jugendlichen als „versorgt“ erklärt werden. Dieser „Übergangsbereich“ ist weitaus größer, als in der Ausbildungsmarktstatistik erfasst.

Beispielsweise waren in Hamburg bei der Schulabgängerbefragung 2023 der Schulbehörde 44,4 Prozent der Schulabgänger in die einjährige Warteschleife „Ausbildungsvorbereitung“ geschickt worden, weil sie angeblich damit die Ausbildungsreife erlangen sollten, obwohl sie bereits 10 Jahre Schulbesuch hinter sich hatten. Nur 44,3 Prozent hatten den direkten Übergang in eine Berufsausbildung geschafft, davon lediglich 32,8 Prozent in eine betriebliche Ausbildung.

Am weitesten in die Irre führt der Begriff der „Versorgten“.  Darunter wird auch von offizieller Seite pure Verschleierungspolitik gemacht, wie wieder ein Beispiel aus Hamburg belegt: Die Arbeitsagentur Hamburg erklärte in der gemeinsamen Bilanz-Pressekonferenz mit den „Partnern des Hamburger Ausbildungsmarktes“, es seien nur 768 der gemeldeten Bewerber „am 30.09. noch ohne Lehrstelle“ geblieben, also nur 768 Bewerber die „Unversorgten“ darstellen würden. Tatsächlich sind jedoch laut Ausbildungsmarktstatistik für Hamburg 3.601 (58 Prozent) der 6.246 gemeldeten Bewerber nicht in eine Ausbildung eingemündet.

3. Versteckte Selektion

Ähnliche Ungereimtheiten gibt es bei der Bewerberzahl an sich und auch mit dem Stellenüberhang ist es nicht weit her. Wenn nur 68.900 Ausbildungsstellen unbesetzt sind, wie die BA betont, heißt das, dass (545.039 minus 68.900 =) 459.691 Stellen besetzt worden sind. Von den gemeldeten Bewerbern haben allerdings nur 201.615 einen Ausbildungsplatz erhalten. Das heißt, dass genau 258.076 Jugendliche, die nicht bei den Arbeitsagenturen als gemeldet registriert waren, einen gemeldeten Ausbildungsplatz erhalten haben. Wenn man diese zu den gemeldeten Bewerbern hinzuzählt, erhält man eine Zahl von 680.135 Ausbildungs­platz­bewerbern, was erheblich mehr ist als die 545.039 gemeldeten Ausbildungsstellen.

Die BA rechnet auch damit, dass sich nur rund 60 Prozent der Ausbildungsinteressierten bei ihr meldet. Beispielsweise dürften sich Jugendliche mit einer Hochschul- und Fachhochschulberechtigung direkt, ohne Einschaltung der BA bei einem Ausbildungsbetrieb beworben haben.

Auf der anderen Seite werden immer wieder zu wenig Schulabgänger ausgewiesen, die keinen oder nur einen Hauptschulabschluss erworben haben. So berichtet die BA: „Von den aktuellen Schulabgängern aus Haupt- und Realschulen melden sich rund 30 Prozent.“ Diese Aussage scheint falsch zu sein, denn gerade junge Menschen ohne bzw. mit Hauptschulabschluss dürften sich wegen ihrer schlechten Bewerbungsperspektive an die BA gewandt und um Vermittlungshilfe gebeten haben. Dort aber werden sie nur dann als Bewerber registriert, wenn sie als „geeignet“ befunden werden, weil alle Jugendlichen, die sich an die Arbeitsagenturen wenden, von diesen zunächst als „Ratsuchende“ geführt werden und danach daraufhin überprüft, ob sie „geeignet“ sind für eine Ausbildung. Erst wenn die Kriterien für die „Eignung“ erfüllt worden sind, gelten sie als „Bewerber“.

Die „Ungeeigneten“ werden weiter als „Ratsuchende“ erfasst. Deren Zahl wurde noch bis 2004 ausgewiesen, danach wohl zur Beschönigung der Ausbildungssituation aber nicht mehr. Das Groteske ist, dass gerade die Jugendlichen ohne oder mit Hauptschulabschluss in der Ausbildungsmarktstatistik nicht als Bewerber auftauchen, obwohl sie sich dort eigentlich gemeldet und um Vermittlung gebeten haben.

Das ist genau die versteckte Selektion, wie sie durchgängig im deutschen Bildungssystem stattfindet.

All das dient dazu, die Ausbildungssituation zu beschönigen und von dem wichtigsten Indikator, der Zahl der Eingemündeten, abzulenken, die nur 48 Prozent betrug.

4. Weitere Beispiele für Ungereimtheiten der Ausbildungsmarktstatistik, die das Bild des Ausbildungsmangels bestärken

  • Von den Bewerbern bei der BA sind 37 Prozent Altbewerber. Diese jungen Menschen haben in den letzten fünf Jahren mindestens einmal bei den Arbeitsagenturen um Unterstützung bei der Ausbildungsplatzsuche nachgefragt. Nur 39 Prozent der Altbewerber, aber 53 Prozent der Bewerber, die im letzten Berichtsjahr die Schule verlassen hatten, haben ein Ausbildungsverhältnis erlangt.
  • 40 Prozent der Bewerber kommen von berufsbildenden Schulen, was meistens bedeutet, dass sie zuvor in Warteschleifen (wie das Berufsvorbereitungsjahr oder die teilqualifizierende Berufsfachschule) ausharren mussten. Nur 38 Prozent der Bewerber aus berufsbildenden Schulen, aber 59 Prozent derjenigen aus allgemeinbildenden Schulen konnten eine Berufsausbildung beginnen.
  • Eine ausländische Staatsangehörigkeit haben 19 Prozent der Bewerber, aber nur 37 Prozent der ausländischen Bewerber haben 2023 eine Ausbildungsstelle gefunden, bei deutschen Bewerbern waren es 50 Prozent. Da kommt die Frage auf, warum man angesichts dieser niedrigen Einmündungsquote von hier lebenden ausländischen jungen Menschen „händeringend“ noch mehr Jugendliche aus dem Ausland für eine Ausbildung im hochgelobten, deutschen „dualen System“ begeistern will.
  • Die Chancen für eine Berufsausbildung hängen von der Postleitzahl des Wohnsitzes ab. Die regionalen Unterschiede in der Ausbildungsversorgung sind sehr groß. Auf dem letzten Platz bei der Einmündungsquote steht Berlin (mit 35,3 Prozent), gefolgt von Bremen (39,2 Prozent) und Schleswig-Holstein (mit 41,7 Prozent). Die höchsten Einmündungsquoten weisen Bayern (mit 59,5 Prozent), Thüringen (mit 59,0 Prozent) und Sachsen-Anhalt (mit 58,6 Prozent) auf. Gründe für diese Unterschiede dürften vor allem in der jeweiligen wirtschaftlichen Lage (siehe Bayern und Schleswig-Holstein), der niedrigen Nachfrage (siehe Thüringen und Sachsen-Anhalt) und dem Nachfragedruck von Jugendlichen aus dem Umland in Großstädten liegen.
  • Im Jahr 2021 boten nur noch 19,1 Prozent aller Betriebe eine Berufsausbildung an. Die Ausbildungsbeteiligung ist seit Jahren rückläufig. Im Jahr 2007 belief sie sich noch auf 24,1 Prozent. Besonders niedrig ist die Ausbildungsbeteiligung in Berlin (mit 11 Prozent) und im Wirtschaftszweig „Beherbergung, Gastronomie“ (mit 8,5 Prozent)

und im Mai vergangenen Jahres war die Empörung groß, dass mehr als 2,6 Millionen Menschen zwischen 20 und 35 Jahren keinen Berufsabschluss hatten und als ungelernt galten. 18,5 Prozent der 25- bis 34-Jährigen hatten im Jahr 2021 über keine abgeschlossene Berufsausbildung, im Jahre 2017 waren es noch 14,5 Prozent. Der Anteil der Ungelernten in dieser Altersgruppe ist bei Jugendlichen mit Hauptschulabschluss (mit 39 Prozent) gegenüber Studienberechtigten (mit 7,4 Prozent) und Ausländern (mit 37,4 Prozent) gegenüber Deutschen ohne Migrationshintergrund (mit 8,5 Prozent) besonders groß. Die Empörung stieg noch an, als bekannt wurde, dass es 630.000 offene Stellen gab, also angebliche 630.000 offene Stellen gegenüber 2,6 Millionen Ungelernten zwischen 20 und 35 Jahren und fast 40 Prozent Ungelernte unter den jungen Menschen mit Hauptschulabschluss.

Die hier aufgezeigten Beispiele über die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen und die Zahlentricksereien der Bundesagentur für Arbeit lassen auch Zweifel aufkommen, ob die „Duale Berufsausbildung“ in Deutschland überhaupt noch funktioniert.

Duale Berufsausbildung am Ende

Die duale Ausbildung wurde in Deutschland 1969 bundesweit einheitlich und unabhängig von der jeweiligen Branche im Berufsbildungsgesetz verankert. Die Ausbildung in diesem System erfolgt an zwei Lernorten, dem Betrieb und der Berufsschule, und soll den jungen Menschen „lernortübergreifende Lernprozesse“, das Duales Lernen ermöglichen. Die Ausbildung in den Betrieben findet an drei bis vier Tagen pro Woche statt, an ein bis zwei Tagen (Länderrechtliche Regelungen: je nach Ausbildungsberuf und Ausbildungsjahr) werden Berufsschultage angeboten, auch ist ein mehrere Monate dauernder Blockunterricht möglich.

In den vergangenen Jahren wurde die Duale Berufsausbildung von Politik, Arbeitsverwaltung, Unternehmer und Gewerkschaften immer wieder über den grünen Klee gelobt und anderen Ländern wird auch heute noch dieses vorgebliche Erfolgsmodell wärmstens empfohlen.

Doch auch nach 55 Jahren Praxis muss der Dualen Berufsausbildung wie die letzten Berufsbildungsreporte, herausgegeben von der DGB-Jugend, ein grottenschlechtes Zeugnis ausgestellt werden:

  • Fast drei Viertel bzw. 72,2 Prozent der befragten jungen Menschen gab an, dass ihnen in der Schule kaum bei der Berufswahl geholfen wurde. Überdies haben nicht einmal 29 Prozent der Befragten die Berufsberatung der BA genutzt. Von ihnen gaben außerdem 40,5 Prozent an, dass sie ihnen „weniger“ oder „gar nicht“ geholfen hat.
  • Bei der fachlichen Anleitung im Ausbildungsbetrieb stieg der Anteil derjenigen Auszubildenden, deren Ausbilder selten oder nie am Ausbildungsplatz verfügbar sind, mit 11,6 Prozent auf den höchsten Wert seit 2008 an.
  • 13,3 Prozent der Auszubildenden gaben an, Arbeitsvorgänge nur „selten“ oder „nie“ zufriedenstellend erklärt zu bekommen.
  • Insgesamt 12,7 Prozent der befragten Auszubildenden müssen »immer« oder »häufig« ausbildungsfremde Tätigkeiten erledigen, die nicht Bestandteil der Ausbildung sind und nicht dem Lernerfolg dienen.
  • Mehr als ein Drittel der Auszubildenden (33,6 Prozent) hat keinen betrieblichen Ausbildungsplan, obwohl dieser gesetzlich vorgeschrieben ist. Somit wissen diese Auszubildenden nicht, wie ihre Ausbildung ablaufen soll und was die Lerninhalte sind.
  • Ein Drittel der befragten Auszubildenden (32,1 Prozent) muss regelmäßig Überstunden machen und arbeitet durchschnittlich 3,6 Stunden mehr in der Woche. Fast jeder zehnte Auszubildende (9,5 Prozent) bekommt für die Überstunden weder eine Vergütung noch einen Freizeitausgleich.
  • Vier von zehn Auszubildenden (42,3 Prozent) wissen selbst im letzten Ausbildungsjahr noch immer nicht, ob sie von ihrem Ausbildungsbetrieb auch übernommen werden.
  • Von den Auszubildenden im dritten Lehrjahr, die bereits wussten, dass sie nicht übernommen werden, fehlte 39,5 Prozent eine konkrete berufliche Perspektive.
  • Nur gut die Hälfte der Auszubildenden finden die Qualität ihres Berufsschulunterrichts „gut“ oder „sehr gut“.
  • Der Ausbildungsabbruch ist über die Jahre beständig gestiegen und betrug zuletzt 26,7 Prozent. Besonders hoch ist der Ausbildungsabbruch bei Jugendlichen mit ausländischer Staatsangehörigkeit (35,3 Prozent) und Jugendlichen mit Hauptschulabschluss (38,5 Prozent)

und über 70 Prozent der Auszubildenden sind mit ihrer Ausbildung zufrieden, jedoch gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Branchen: Insbesondere Industriemechaniker, Mechatroniker, Verwaltungsfachangestellte und Elektroniker für Betriebstechnik sind deutlich zufriedener als der Durchschnitt. Berufe aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe, der Zahnmedizin, dem Einzelhandel und dem Friseurhandwerk bewerten ihre Betriebe und die Ausbildung dagegen als mangelhaft.

Systemwechsel erforderlich

Im Jahr 2023 bekamen nicht einmal 70 Prozent aller bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Jugendlichen einen Ausbildungsplatz. Nicht einmal mehr jedes fünfte Unternehmen bildet hierzulande noch aus. Auf der anderen Seite gibt es aber ein riesiges Potenzial an jungen Menschen die keine Ausbildung finden. Über 220.000 Jugendliche stecken jedes Jahr in den sogenannten Übergangsmaßnahmen zwischen Schule und Ausbildung fest, hinzu kommen über 2,3 Millionen junge Menschen im Alter zwischen 20 und 34 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben. Diesen Menschen droht ein Leben in prekärer Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Armut.

 

 

 

 

 

Quellen: destatis, Ausbildungsmarktstatistik, Berufsbildungsreport, BA, BDA, Hans Boeckler Stiftung, WAZ, Junge Welt, TAZ, Makroskop, Berufsbildungsgesetz, Bundesinstitut für Berufsbildung, Berufsbildungsbericht 2023 der Bundesregierung

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