„Das ist der Urfehler von Hartz IV. Er hat dazu geführt, dass das ganze System Angst einflößt.“ (SPD-Vorsitzende Nahles im Spiegel-Interview)

SPD-Vorsitzende im Spiegel-Interview

Menschenbild ändern –  Existenzminimum nicht sanktionieren  – Kinder in die Grundsicherung – Keine soziale Absicherung über Angst („Urfehler von HartzIV“)

(Quelle: Spiegel-Online, 22.11.2018)

Nahles: Zentral anders ist das Menschenbild. Hartz IV kommt aus einer anderen Zeit. Die Arbeitslosigkeit war doppelt so hoch und die Debatte um den Missbrauch des Sozialstaats allgegenwärtig. Es ist mit Perspektive auf den Missbrauch konstruiert worden – und nicht auf diejenigen, die es brauchen. Deshalb ist Hartz IV bis heute vom Bild des faulen Arbeitslosen geprägt. Ich halte dieses Bild für falsch. Das Bürgergeld geht dagegen den zugewandten Weg. Es gibt Menschen, die Unterstützung brauchen und erhalten müssen – und von denen im Gegenzug erwartet werden kann, dass sie dabei mitwirken.

SPIEGEL ONLINE: Es gelten die gleichen Prinzipien, nur das Menschenbild ist freundlicher?

Nahles: Nein, der Perspektivwechsel hat sehr konkrete Auswirkungen. Zwei Beispiele: Erstens, wenn es einerseits Sanktionen gibt, könnte es andererseits künftig auch einen Bonus für die Betroffenen geben etwa für besonderen Einsatz bei der Mitwirkung. Und Sanktionen dürfen nicht wie aktuell das Existenzminimum antasten. Denkbar sind ja beispielsweise auch andere Sanktionen als Leistungskürzungen. Zweitens müssen wir die Bürokratie reduzieren und Zuständigkeiten klarer machen. Die ganze Haltung muss sein: Hier wird mir geholfen, nicht: hier bin ich Bittsteller. Das ist übrigens auch die Haltung, mit der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern ihre Arbeit verrichten möchten. Auch die leiden unter manchen Regeln, die das jetzige System hat.

SPIEGEL ONLINE: Was könnte sich noch ändern?

Nahles: Der Perspektivwechsel bedeutet auch, die Kinder aus dem System zu nehmen. Es kann etwas nicht richtig sein, wenn wir insgesamt 200 Milliarden für Kinder, Familien- und Eheleistungen ausgeben und trotzdem zwei Millionen Kinder in der Grundsicherung leben. Die werden als Hartz-IV-Kinder geprägt, und dadurch oft diffamiert. Wir brauchen stattdessen eine eigene Grundsicherung für Kinder. Weiterhin: Ein neues System würdigt weit stärker Qualifizierung und die vorhandene Qualifikation. Ich habe mit dem Arbeitslosengeld Q bereits einen Vorschlag dazu gemacht. Das würde schon den Fall in die Grundsicherung verhindern. Aber auch innerhalb der Grundsicherung müssen wir die Qualifizierungsangebote deutlich ausbauen.

SPIEGEL ONLINE: Was ist mit der größten Ungerechtigkeit in Hartz IV – dass Menschen, die 30 Jahre oder mehr gearbeitet haben, genauso behandelt werden wie Menschen, die nie gearbeitet haben?

Nahles: Das ist der Urfehler von Hartz IV. Er hat dazu geführt, dass das ganze System Angst einflößt. Ich will aber, dass Menschen, die Hilfe brauchen, sich sicher fühlen – und keine Angst haben. Dieses Ziel müssen wir erreichen, und das Arbeitslosengeld Q ist ein erster Schritt dazu……

Das komplette Spiegel-Interview unter:

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-chefin-andrea-nahles-zu-hartz-iv-jetzt-ist-eine-grundsanierung-faellig-a-1239778.html

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