Aufmärsche der AfD: faschistische Mobilisierung der Volksgemeinschaft.
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Die AfD gibt sich sozial, aber ihr Programm ist zutiefst neoliberal
National statt sozial
Von Stefan Dietl
Die AfD versucht, aus der Inflation und den hohen Energiepreisen Profit zu
schlagen. Doch ein genauer Blick auf ihr Programm zeigt: In der Krise zielt die
AfD auf Steuersenkungen, Sozialabbau und die Gängelung Erwerbsloser.
Seit jeher präsentiert sich die AfD gerne als Vertreterin des sprichwörtlichen »kleinen Mannes« und inszeniert sich gerade in Krisenzeiten als einzig echte Oppositionspartei.
Auch die derzeitige Inflation und Energiekrise versucht die AfD für sich zu nutzen. In
Umfragen legte sie zuletzt wieder etwas zu, und in den vergangenen Wochen gelang es ihr
auch immer wieder, Tausende für ihre Proteste gegen die Bundesregierung zu
mobilisieren.
Dieser Inszenierung sitzen auch viele Gegner:innen der AfD auf – wenn sie nämlich die
rechten Krisendemonstrationen als »Sozialproteste« beschreiben. Denn tatsächlich spielen
soziale Forderungen weder auf den von der AfD organisierten Protestkundgebungen noch
in den Verlautbarungen der Partei zur Krise oder gar in deren parlamentarischer Praxis
eine Rolle. Im Gegenteil. Statt Entlastungen für Lohnabhängige, mehr Unterstützung für
Sozialleistungsberechtigte oder gezielten Hilfen für Geringverdienende fordert die AfD
Steuersenkungen für Unternehmen und Besserverdienende und eine härtere Gangart
gegen Erwerbslose. Als Gegenentwurf zum Bürgergeld bietet die AfD ein im Nachkriegsdeutschland einmaliges Programm des rigorosen Arbeitszwangs.
So votierte die AfD im Bundestag bisher gegen sämtliche Maßnahmen zur Begrenzung der
Energie- und Lebenshaltungskosten. Das Neun-Euro-Ticket lehnt die Partei als
»populistische(s) Umverteilungsticket« ab, weil damit »der öffentliche Nahverkehr
schrittweise zum öffentlichen Gut erklärt wird«. Die Energiepreispauschale, also die
einmalige Zahlung von 300 Euro, die viele Angestellte und Auszubildende erhalten haben,
gilt ihr als »Zwangsdarlehen bei den Unternehmen«, und der von den Gewerkschaften
geforderte Energiepreisdeckel als Eingriff in die freie Marktwirtschaft und erster Schritt in
einen »Energiesozialismus«.
Selbst die nun von der Ampelkoalition beschlossene Strom- und Gaspreisbremse weist die
AfD mit schrillen Tönen zurück. Sie sei ein »bürokratischer Moloch«, der »die Zerrüttung
der deutschen Staatsfinanzen auf eine neue Spitze treibt«. Der Versuch, Preissteigerungen
mit mehr Umverteilung auszugleichen, heize unweigerlich die Inflation an, so AfD-
Parteivorsitzende Alice Weidel, die vor einer »Energie-Planwirtschaft« warnt. »Das Geld
der Bürger wird in nie dagewesenen Dimensionen verbrannt, der Volkswirtschaft Liquidität
entzogen und die Staatsquote nach oben getrieben. Statt im Gegenzug überflüssige
Staatsausgaben zurückzufahren und zu streichen, werden neue Schulden aufgehäuft und
in Schattenhaushalte verschoben«, so Weidel im klassisch neoliberalen Duktus.
Besonders vehement richtet sich die AfD gegen jegliche Besteuerung von Krisengewinnen.
Während manche Energieunternehmen gerade mit der Krise Milliarden verdienen, ist die
AfD der Ansicht, dass Umverteilung »zugunsten der unteren Einkommen« das »Problem
nicht lösen« werde. »Wer in Krisenzeiten Steuererhöhungen für die Unternehmen in
Deutschland zur Sprache bringt, hat offensichtlich weder Gespür für wirtschaftliche
Zusammenhänge noch ein größeres Verständnis, dass es gerade die Unternehmen sind,
die Deutschland noch immer am Laufen halten«, verkündet etwa der finanzpolitische
Sprecher der AfD im deutschen Bundestag, Kay Gottschalk.
Ganz im Sinne der neoliberalen Ausrichtung der Partei plädiert Gottschalk stattdessen für
Steuersenkungen für Unternehmen und Vermögende. »Ob Grundsteuer, Vermögensteuer,
Erbschaft- sowie Schenkungsteuer, für uns sind diese Steuerarten ungerecht und
überflüssig«, so Gottschalk. Zugleich fordert die AfD den Rückzug des Staates und den
Abbau sozialstaatlicher Leistungen. Es gelte, »radikal den Rotstift bei den eigenen
Staatsausgaben anzulegen«.
Wenig überraschend ist daher auch die radikale Ablehnung der Reform des
Arbeitslosengeldes II, bekannt als Hartz IV, das durch das sogenannte Bürgergeld ersetzt
werden soll. Laut Bernd Baumann, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-
Bundestagsfraktion, würde das Bürgergeld dazu führen, dass sich Arbeitslose »in die
Hängematte« legen. Ähnlich wie CDU und CSU behauptet auch die AfD, eine
Grundsicherung von rund 500 Euro benachteilige »Beschäftigte gegenüber Beziehern von
Sozialleistungen« und führe dazu, dass sich Arbeit nicht mehr lohne. Für die Ablehnung
des Bürgergeldes durch die Union im Bundesrat ist die AfD daher voll des Lobes. »Wir sind
froh, dass sich die Union in den Ländern der AfD-Position angeschlossen hat. Wir hatten
schon vor Wochen klar gefordert, dass das Bürgergeld gestoppt werden muss«, heißt es in
einer Pressemitteilung des stellvertretenden AfD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag,
Norbert Kleinwächter.
Als eigenen Gegenentwurf zum Bürgergeld bietet die AfD ein im Nachkriegsdeutschland
einmaliges Programm des rigorosen Arbeitszwangs. Es würde selbst die bisherige
Gängelung Erwerbsloser durch das Hartz-IV-Sanktionsregime in den Schatten stellen. Wer
länger als sechs Monate Grundsicherung bezieht, soll nach Willen der AfD künftig zu 15
Wochenstunden »Bürgerarbeit« zwangsverpflichtet werden. Als Einsatzgebiete für
Langzeitarbeitslose benennt die AfD die Seniorenhilfe, den Zivil- und Katastrophenschutz
oder etwa die »Heimatpflege und Ortsverschönerung«.
Wer sich diesem Arbeitszwang verweigert, dem sollen sämtliche staatlichen
Geldleistungen gestrichen werden. Stattdessen würde man nur noch die notwendigsten
Sachmittel zum Überleben erhalten. Erhältlich wären diese mit einer speziellen
»Sachleistungs-Debitkarte«, mit der man jedoch nur bestimmte Produkte beziehen kann.
Die Arbeitspflicht sei notwendig, »damit die Leute nicht verlernen, in der Früh’
aufzustehen. Damit sie nicht lernen, auf der Couch zu liegen«, so AfD-Fraktionsvize
Norbert Kleinwächter. Auch der Autor Benedikt Kaiser vom Antaios-Verlag, der sich im
neurechten Umfeld der Partei als Vertreter einer »sozialpatriotischen« Lehre gibt, betonte,
dass es »sehr gute Gründe« für einen »verpflichtenden Gesellschaftsdienst« – also für
Zwangsarbeit für Arbeitslose – gebe.
Zu diesem AfD-System von Arbeitszwang und Erniedrigung gehört auch eine
Aufenthaltspflicht für Langzeitarbeitslose. Die Erreichbarkeit von Leistungsbezieher:innen
soll »unmissverständlich so geregelt werden, dass die Leistungsbezieher sich
grundsätzlich im zeit- und ortsnahen Bereich im Inland aufzuhalten haben«, heißt es im
Antrag der AfD-Bundestagsfraktion zur Bürgerarbeit.
Bei ihrer Agitation gegen das Bürgergeld gelingt es der AfD zudem einmal mehr,
Sozialdarwinismus und Rassismus miteinander zu verknüpfen. So hetzt die AfD in diesem
Zusammenhang nicht nur gegen Sozialleistungsbezieher:innen, sondern behautet
zugleich, dass vor allem Migrant:innen Profiteur:innen des Bürgergeldes wären. Angeblich
1,5 Millionen Migrant:innen würden so auf Kosten deutscher Arbeiter:innen alimentiert.
Die Krisenproteste der AfD zeigen einmal mehr, dass es der Partei – entgegen nicht nur
der medialen Darstellung, sondern auch der Analyse mancher erklärter Gegner:innen der
AfD – nicht um die soziale Frage geht. Tatsächlich kennt die AfD gar keine soziale Frage,
sondern ausschließlich eine nationale. Ihr Bezugspunkt ist die klassenübergreifende
Volksgemeinschaft, die es gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen und deren
Interessen es – im Rahmen der internationalen Staatenkonkurrenz – durchzusetzen gilt.
Auf die Krise gibt die AfD daher auch keine sozialen, sondern ausschließlich nationale
Antworten.
Im Zentrum der Proteste der AfD stehen vor allem Forderungen, die – aus ihrer Sicht –
dem Wohle des Standorts Deutschland dienen: Schluss mit der Energiewende, mit
Umweltauflagen und gesetzlichen Regulierungen; zurück zur Atomkraft, eine Öffnung von
Nord Stream 2 und also ein entsprechendes Energiebündnis mit Russland; zudem
politische, militärische und ökonomische Unabhängigkeit von den USA.
Angesichts dieses Programms der nationalen Krisenlösung sollte man, statt das Bild der
Sozialproteste von rechts zu übernehmen, die Aufmärsche der AfD vielmehr als das
bezeichnen, was sie sind: als faschistische Mobilisierung der Volksgemeinschaft.
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