„Ein Tarifvertrag, der für Leiharbeitnehmer ein geringeres Arbeitsentgelt als das der unmittelbar eingestellten Arbeitnehmer festlegt, muss Ausgleichsvorteile vorsehen.“

Die Leiharbeit mal wieder vor dem EuGH: Niedrigere Löhne per Tarifvertrag sind in Ordnung, dafür soll es aber an anderer Stelle einen Ausgleich geben müssen

»Das Arbeitnehmerüberlassungsrecht kann als überaus komplexer Bereich des Arbeitsrechts bezeichnet werden, das aufgrund seiner vielen Regularien und Sanktionen bei Verstößen besonders risikobehaftet ist. Die Komplexität rührt nicht zuletzt durch die europäischen Vorgaben in der Richtlinie 2008/104/EG vom 19. November 2008 über Leiharbeit (Leiharbeitsrichtlinie) her. Trotz diverser gerichtlicher Entscheidungen auf nationaler und europäischer Ebene ist die Auslegung des Arbeitnehmerüberlassungsrechts nach wie vor mit vielen Unsicherheiten verbunden.«

So die zutreffende Charakterisierung von Johanna Keil in ihrem Beitrag Wie lange ist „vor­über­ge­hend“? aus dem März dieses Jahres, in dem es um eines der Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Formenkreis der Leiharbeit ging. Der EuGH musste sich mehrfach mit dieser besonderen Beschäftigungsform befassen, insbesondere mit der Auslegung von „unbestimmten Rechtsbegriffen“. Dazu gehört beispielsweise eine „vorübergehende Überlassung“ – was aber ist noch „vorübergehend“ und was nicht mehr? Der EuGH hat in seinem Urteil vom 17. März 2022 (Az. C-232/20) Auslegungshinweise für die Beurteilung dieses Merkmals gegeben, ohne jedoch letztlich Klarheit zu schaffen. Vielmehr spielte der EuGH den Ball zurück an die nationalen Gerichte.  Vgl. dazu auch ausführlicher den Beitrag Was ist (k)eine „vorübergehende Überlassung“ von arbeitenden Menschen? Der Europäische Gerichtshof fällt ein „erfreuliches“ bzw. „enttäuschendes“ Urteil zur Leiharbeit, der hier am 18. März 2022 veröffentlicht wurde.

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Babyboomer und die Altersrente mit 63 – schöne Story, aber falsch!

Trend zu früherem Rentenbezug ist rückläufig

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in der Kritik

Babyboomer und die Altersrente mit 63 – schöne Story, aber falsch!

Dagmar Pattloch* | Dezember 2022

Am 10. Dezember gab das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung eine Pressemitteilung heraus mit dem Titel »Renteneintritt der Babyboomer: Für viele ist schon mit 63 Schluss«.

Diese Aussage wird nicht mit Zahlen untersetzt. Kein Wunder, dass verschiedene Medien dies ungenau abgeschrieben und noch ungenauer weiterverbreitet haben. Aus »viele« wird dann bei der Tagesschau leicht »besonders viele«. »Viele« – das reicht fürs Storytelling aus. Es wird ein Trend suggeriert.

Tatsächlich sagen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung Bund und der amtlichen Statistik für die Jahre 2016 bis 2021 etwas völlig anderes aus. Es handelt sich bei den folgenden Daten um eine Sonderauswertung des Rentenbestandes der Renten wegen Alters nach SGB VI – Wohnort Deutschland. Der Wohnort Deutschland ist wichtig, denn dadurch lässt sich der Rentenbestand auf die altersgleiche Bevölkerung in Deutschland laut amtlicher Statistik umrechnen. Die dabei entstehenden Quoten werden hier als Prävalenz bezeichnet. Hierbei ist zu beachten, dass 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland nie eine Altersrente der DRV beziehen – mutmaßlich weil sie keine Rentenanwartschaften haben.

Prävalenz von Altersrente - Männer

 

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DGB: Mit falschen Zahlen für höheres Rentenalter

14.12.2022  DGB
Rentenpolitik

Mit falschen Zahlen für höheres Rentenalter

Missverständliche Aussagen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), eine unbedachte Aussage von Kanzler Scholz und ganz viel Interessenspolitik vermengt mit einer Fachkräftedebatte – und schon ist die Schlagzeile fertig, ein höheres Rentenalter sei alternativlos.

Miniatur-Figuren laufen an einem Zahlenstrahl Richtung "100" DGB/Hyejin Kang/123rf.com

Am Samstag, den 10.12.2022, ging das BiB mit der Meldung „Renteneintritt der Babyboomer: Für viele ist schon mit 63 Schluss“ online. Darin wird ein stagnierender Anstieg der Erwerbsquoten konstatiert und direkt mit der abschlagsfreien Rente für besonders langjährig Versicherte in Verbindung gebracht.

Dieser Ansatz wurde von Arbeitgeberverbänden und anderen dankbar aufgegriffen und der Generalangriff auf einen abschlagsfreien Rentenzugang vor der Regelaltersgrenze, die Rente für besonders langjährig Versicherte, gestartet, zusammen mit der Forderung, die Altersgrenzen über 67 hinaus weiter anzuheben und den vorzeitigen Rentenbeginn unattraktiver zu machen. Nur so sei der Fachkräftemangel zu beenden.

Dabei geht einiges durcheinander. Zunächst: Der Beginn der Altersrente ist nicht mit dem Erwerbsaustritt gleichzusetzen, wie es vom BiB und insgesamt in der Debatte getan wird.

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»Es ist also völlig falsch, die Inanspruchnahme von Altersrente mit 63 oder 64 Jahren als wachsendes Problem darzustellen. Der Trend ist vielmehr eindeutig so, dass die Prävalenz von Rente mit 63, 64 und 65 Jahren rückläufig ist.« Wer berät den SPD-Kanzler?

Viele, bei einigen sogar „besonders viele“ Babyboomer steigen schon mit 63 aus dem Erwerbsleben aus und in den Rentenbezug ein. Aber stimmt das überhaupt?

»Angesichts einer alternden Gesellschaft wird die Ausweitung der Erwerbstätigkeit in höhere Alter als eine wichtige Stellschraube gesehen, um dem Fachkräftemangel und Finanzierungslücken im Rentensystem entgegenzuwirken. Neue Zahlen aus einem Forschungsprojekt am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) zeigen jedoch, dass der Anstieg der Erwerbsbeteiligung bei älteren Beschäftigten in den letzten fünf Jahren weitgehend zum Stillstand gekommen ist«, kann man dieser Mitteilung entnehmen: Renteneintritt der Babyboomer: Für viele ist schon mit 63 Schluss. Darin findet man auch diese Abbildung:

Was hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) gemacht? Die haben sich die Mikrozensus-Daten*) des Statistischen Bundesamtes mit Blick auf die Entwicklung der Erwerbsbeteiligung**) angeschaut.

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Aufmärsche der AfD: faschistische Mobilisierung der Volksgemeinschaft.

https://jungle.world/artikel/2022/48/national-statt-sozial

Die AfD gibt sich sozial, aber ihr Programm ist zutiefst neoliberal

National statt sozial

Von Stefan Dietl

Die AfD versucht, aus der Inflation und den hohen Energiepreisen Profit zu
schlagen. Doch ein genauer Blick auf ihr Programm zeigt: In der Krise zielt die
AfD auf Steuersenkungen, Sozialabbau und die Gängelung Erwerbsloser.
Seit jeher präsentiert sich die AfD gerne als Vertreterin des sprichwörtlichen »kleinen Mannes« und inszeniert sich gerade in Krisenzeiten als einzig echte Oppositionspartei.
Auch die derzeitige Inflation und Energiekrise versucht die AfD für sich zu nutzen. In
Umfragen legte sie zuletzt wieder etwas zu, und in den vergangenen Wochen gelang es ihr
auch immer wieder, Tausende für ihre Proteste gegen die Bundesregierung zu
mobilisieren.

Dieser Inszenierung sitzen auch viele Gegner:innen der AfD auf – wenn sie nämlich die
rechten Krisendemonstrationen als »Sozialproteste« beschreiben. Denn tatsächlich spielen
soziale Forderungen weder auf den von der AfD organisierten Protestkundgebungen noch
in den Verlautbarungen der Partei zur Krise oder gar in deren parlamentarischer Praxis
eine Rolle. Im Gegenteil. Statt Entlastungen für Lohnabhängige, mehr Unterstützung für
Sozialleistungsberechtigte oder gezielten Hilfen für Geringverdienende fordert die AfD
Steuersenkungen für Unternehmen und Besserverdienende und eine härtere Gangart
gegen Erwerbslose. Als Gegenentwurf zum Bürgergeld bietet die AfD ein im Nachkriegsdeutschland einmaliges Programm des rigorosen Arbeitszwangs.

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„Die Spanne des Lohnabstands zwischen den IfW-Berechnungen und den korrekten Werten beträgt bis zu 1.150 Euro.“


CDU-Vize geht IfW-»Studie« auf den Leim

Carsten Linnemann im Fake-Netzwerk

Johannes Steffen | November 2022

Am 3. November veröffentlichte das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) ein Papier unter dem Titel »Bürgergeld und Lohnabstandsgebot«. Das Handelsblatt übersetzte die dortigen Berechnungen in die Headline: »Wenn sich Arbeit nicht mehr lohnt – IfW-Studie zeigt: Haushalte in denen eine Person zum Mindestlohn arbeitet, stehen künftig oft schlechter da als Bürgergeld-Empfänger« . Und am späten Abend des 3. November hatte CDU-Vize Carsten Linnemann bei »Maybrit Illner« seinen »großen« Auftritt im ZDF:

CDU-Vize Carsten Linnemann im ZDF

 

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Die größte armutspolitische Problemzone im Land sind die Kommunen im Ruhrgebiet, 21,1 Prozent aller Einwohner leben hier in Armut, also mehr als eine Million Menschen.

Zur konkreten Lebenssituation armer Menschen in der Großstadt – sie beteiligen sich nicht an Wahlen, stimmen aber mit den Füßen ab

Am letzten Novemberwochenende 2022 wurde der Digitalatlas der WDR-Redaktion Landespolitik veröffentlicht. Er zeigt auf, dass fast jeder fünfte Einwohner des Landes, das sind 18,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung, von Armut betroffen ist. In kaum einem anderen Bundesland ist die Armut zuletzt so stark angewachsen wie in NRW. Vor allem in den Ruhrgebietskommunen können ärmere Menschen zunehmend sich die Pflege nicht mehr leisten, bekommen seltener einen Kita-oder Ganztagsplatz, rutschen die Verschuldungsspirale hinunter und landen in der Überschuldung.

Die größte armutspolitische Problemzone im Land sind die Kommunen im Ruhrgebiet, 21,1 Prozent aller Einwohner leben hier in Armut, also mehr als eine Million Menschen. Dort sind die Betreuungsquoten für Kleinkinder besonders gering, dafür gibt es viele Schulabgänger ohne Abschluss, miese Wohnverhältnisse und rigide bis gewalttätige Behandlung der ärmeren Menschen durch Polizei- und Ordnungskräfte.

Der Atlas zeigt auch ganz deutlich, dass Faktoren der sozialen Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung eine große Rolle spielen. So geht eine höhere Arbeitslosenquote mit einer niedrigeren Wahlbeteiligung einher. Armut spiegelt sich auch in geringerer politischer Teilhabe wider, vor allem in den „abgehängten“ Stadtteilen im Ruhrgebiet.

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Seit 2002 summiert sich die Förderung nach Daten des Bundes-Finanzministeriums auf über 35 Milliarden Euro!

Das Milliardengeschäft mit der Riester-Rente

Versicherungsjournal

28.11.2022 – Mehr als 2,8 Milliarden Euro hat die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen für das Beitragsjahr 2019 an die Riester-Anbieter überwiesen. Seit 2002 summiert sich die Förderung nach Daten des Bundes-Finanzministeriums auf über 35 Milliarden Euro. Ein Vertrag wurde im Schnitt mit etwa 1.060 Euro bespart. Die Spanne reichte je nach Variante von knapp 956 Euro bis zu etwa 1.450 Euro.

Für das Beitragsjahr 2019 hat die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) 2.808,5 Millionen Euro an Riester-Zulagen ausbezahlt (Stand: Zahltag 15. Mai 2022). Der Betrag liegt um weniger als 20 Millionen Euro unter der Rekordsumme des Vorjahres. Dies geht aus kürzlich vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) vorgelegten Zahlen zur Riester-Zulagenförderungen hervor.

Die Zuschüsse verteilten sich auf über 10,66 Millionen der zum Stichtag 31. Dezember 2019 rund 16,53 Millionen Riester-Sparer. Damit bekam seinerzeit aber auch deutlich mehr als jeder dritte von ihnen gar keine staatliche Geldförderung zu seinem Vertrag.

Aktuellere Zahlen liegen zwar vor, sind aber wegen des zweijährigen Zeitraums für das Beantragen der Förderung mit großen Unsicherheiten behaftet. So rechnet das Finanzministerium für die Daten zu den Zulagen für die Beitragsjahre 2020 und 2021 mit noch „maßgeblichen“ Veränderungen (VersicherungsJournal 16.11.2022).

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7,5 Millionen Jobs unterhalb der Niedriglohnschwelle von 12,50 Euro brutto je Stunde

Immer noch 7,5 Millionen abhängig Beschäftigte, aber:

der Niedriglohnsektor ist etwas geschrumpft

19 Prozent und damit fast jeder fünfte abhängig Beschäftigte in Deutschland haben im April 2022 im Niedriglohnsektor gearbeitet. Damit wurden rund 7,5 Millionen Jobs unterhalb der Niedriglohnschwelle von 12,50 Euro brutto je Stunde entlohnt. Das waren 514.000 niedrig entlohnte Jobs weniger als im April 2018 (8,0 Millionen), berichtet das Statistische Bundesamt unter der Überschrift 0,5 Millionen weniger Niedriglohnjobs im April 2022 gegenüber April 2018. Der Anteil der niedrigentlohnten Jobs an allen Beschäftigungsverhältnissen ist somit bundesweit von 21 Prozent auf 19 Prozent gesunken.

Mit Blick auf die Schrumpfung des so gemessenen Niedriglohnsektors gibt es erhebliche Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland – und das lässt sich auf die Anhebung des Mindestlohns in den Jahren 2018 bis zum Frühjahr 2022 zurückführen: »Der Anteil an Beschäftigten im Niedriglohnsektor sank in Ostdeutschland mit einem Rückgang von 29 % auf 23 % im Zeitraum April 2018 bis April 2022 deutlich stärker als in Westdeutschland, wo er von 20 % auf 18 % zurückging. Eine Erklärung dieser Entwicklung ist der zwischen April 2018 und April 2022 von 8,84 Euro auf 9,82 Euro gestiegene gesetzliche Mindestlohn, der die Verdienstentwicklung in Ostdeutschland stärker beeinflusste als in Westdeutschland.«

 

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