Armutsregion Ruhrgebiet: Tatsachen, Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten – eine Broschüre der Fraktion Die LINKE im Regionalverband Ruhr

Armut, Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung endlich ernsthaft bekämpfen

Linke Positionen zur Entwicklung des Strukturwandels im Ruhrgebiet

Wenn der Paritätische Wohlfahrtsverband seinen Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland veröffentlicht, wird immer wieder die Verfestigung der Armut im Ruhrgebiet thematisiert. Am drastischsten hat sich hierbei die Armut von Kindern und Jugendlichen im Revier entwickelt. 2013 sprach man davon, dass jedes vierte Kind in der Region in materieller Armut lebt. Die letzte Studie des Kinderhilfswerks Unicef »Faire Chancen für jedes Kind« (hrsg. im Juni 2017), die die Entwicklung der letzten sieben Jahre in den Großstädten Deutschlands in den Blick genommen hat, kommt zu dem Schluss, dass die Hauptstadt Berlin und das Ruhrgebiet den »Spitzenplatz« bei Kinderarmut einnehmen.

Während in Städten wie Leipzig und Dresden die Zahl der von Armut betroffenen Kinder sank, steigt in Städten wie Essen und Dortmund die Zahl der Familien, in denen Kinder in materieller Armut leben. So leben rund ein Drittel der Familien mit Kleinkindern von Hartz IV in diesen beiden Städten. Kinderarmut bedingte Elternarmut.

Insgesamt lebten Ende 2016 – neuere Zahlen liegen uns nicht vor – fast 800.000 Menschen im Ruhrgebiet von Transferleistungen, die meisten nach dem SGB II (Hartz IV). Das ist fast jede/ r sechste Einwohner/ in in der Region.

Alle Ruhrgebietskommunen außer Hagen (39,1 %), der Kreis Wesel (40,1 %) und Herne (42,4 %) lagen bei den Langzeitarbeitslosen, die länger als 4 Jahre Regelleistungen nach SGB II beziehen, über dem Durchschnitt des Landes NRW (42,8 %). Diese Zahlen sind erschreckend, dokumentieren sie die Zusammenhänge von Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und fehlender Chancengleichheit von Kindern, Jugendlichen und deren Familien. »Einmal arm – immer arm« in einer Region in einem Bundesland in der die bei der letzten Landtagswahl gescheiterte rot-grüne Landesregierung noch im Landtagswahlkampf 2017 den Slogan vor sich hertrug: »Wir haben alles dafür getan, dass kein Kind zurückbleibt.«

Die neue schwarz-gelbe Landesregierung beginnt ihren Koalitionsvertrag mit dem Kapitel »Bildung«, in dem sich die Aussage findet: »Christdemokraten und Freie Demokraten eint die Überzeugung,
dass alle Kinder, unabhängig von der Herkunft der Eltern, bestmöglich und individuell gefördert werden müssen, …« Im Abschnitt »Teilhabe von Kindern « heißt es: »Wir wollen die Kinderarmut in
Nordrhein-Westfalen bekämpfen und sind der Überzeugung, dass weder neue Schulden noch staatliche Sonderprojekte die Ursachen von Armut beheben können. Hilfsangebote und präventive Maßnahmen müssen für alle Familien in Nordrhein-Westfalen zugänglich sein.« Worte die kaum durch konkreten Maßnahmen, die insbesondere im Ruhrgebiet umgesetzt werden sollen, hinterlegt werden.

Was diese Situation für die Kommunen heißt, hat der neue Kommunalfinanzbericht aus dem November 2017 erneut deutlich gemacht. Allein von 2011 bis 2016 stiegen die Sozialausgaben stiegen im RVR-Gebiet um rund 1,66 Mrd. Euro. Die Mehreinnahmen der Städte, vor allem durch höhere Steuereinnahmen, lagen bei gerade mal 1.738 Mio. Euro. Pro Einwohner/ in haben die Ruhrgebietskommunen 2016 insgesamt 964 Euro an Sozialausgaben geleistet, im Schnitt der westdeutschen Flächenländer wurden jedoch nur 679 Euro ausgegeben. Besonders alarmierend ist, dass weder etwas höhere Bundesleistungen noch der »Stärkungspakt Stadtfinanzen« des Landes NRW den Ruhrgebietsstädten Finanzspielräume für Investitionen ermöglicht haben. Bei den Investitionen konnten die Kommunen in den Westdeutschen Flächenländern 270 Euro pro Kopf aufbringen, die Ruhrgebietskommunen nur 123 Euro. Der Investitionsrückstau in die Infrastruktur, in Schulen, Kindertagesstätten usw. wächst.

Keine Region in NRW braucht so sehr wie das Ruhrgebiet Hilfe und Unterstützung von außen. Für die Kommunen fordert der Kommunalfinanzexperte Prof. Dr. Martin Junkernheinrich deshalb einen Schuldenschnitt und eine Altschuldenregelung, die von Bund und Land getragen wird. Auch die Situation der Langzeitarbeitslosen, die keine Chance mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, kann nur mit Bundes- und Landesunterstützung verbessert werden. Neben der Hilfe von außen muss es aber auch darum gehen, dass sich das Ruhrgebiet selbst endlich offensiver in der Region mit Strategien zur
Armutsbekämpfung auseinandersetzt. Die viel gepriesene Standortvorteile der Region, wie die Lage im Herzen Europas, die Entwicklung zum Wissensstandort, die Beseitigung von Umweltaltlasten
aus der Zeit von Kohle und Stahl haben nicht dazu geführt, dass die mit dem Strukturwandel einhergehenden Probleme – der Verlust von Arbeitsplätzen, die Entstehung von Industriebrachen, die Abwanderung, die Verfestigung von Armut und Perspektivlosigkeit Hunderttausender– gelöst wären.

Malochen sieht heute anders aus als vor 60 Jahren. Menschen im Revier legen immer weitere Wege zurück, um zur Arbeit zu kommen. Immer mehr Arbeitsverhältnisse sind befristet, Leiharbeit hat Hochkonjunktur. Firmenschließungen wie bei Opel in Bochum führen zur weiteren Vernichtung von Arbeitsplätzen. Bilder wie »Einmal bei Krupp – immer Krupp«, die dafür standen, dass ganze Familien
über mehrere Generationen in einer Firma schufteten, sind lange verschwunden. Das Ruhrgebiet hängt kurz vor der Schließung der letzten Zeche immer noch der Bergbauromantik alter Tage nach. Die viel beschworene Einheit der 53 Kommunen, erneut gefasst unter dem Marketingslogan »Metropole Ruhr – Stadt der Städte« ist immer noch eher ein geografischer Fakt. Regionale Projekte, wie die Internationale Bauausstellung Emscherpark (IBA) oder die Kulturhauptstadt 2010 haben dazu beigetragen, dass man stärker gemeinsam agiert, einzelne Themen gemeinsam voranbringt. Das Ende des Kirchturmdenkens ist damit aber lange noch nicht eingeläutet.

Hier liegt aus Sicht der Fraktion DIE LINKE im RVR eine Aufgabe für den RVR. Wir fordern das seit Jahren. Anfang 2018 wird nun das erste Mal eine vom RVR geplante Sozialkonferenz stattfinden,
die die Armut in der Region und Gegenstrategien thematisiert. Das neue Gesetz zur Stärkung des Regionalverbandes Ruhr hat wichtige Voraussetzungen für ein gemeinsames Agieren auch auf diesem Gebiet geschaffen. Sie müssen nun endlich auch genutzt werden!

Die Überschuldung der Kommunen, die stetig wachsenden Sozialausgaben und die Armut sind gemeinsame Probleme der Region. Deshalb solltenauch nicht im Alleingang »Reparaturlösungen« gesucht werden. Das Ruhrgebiet sollte zur »Vorzeigeregion« bei der Überwindung von Armut werden. In der vorliegenden Broschüre beschreiben und untersuchen die Autorinnen und Autoren, wie sich Armut und Arbeitslosigkeit im Revier darstellen. Dabei sind wir ein bisschen Stolz darauf, dass wir ein breites Spektrum an Autorinnen und Autoren gewinnen konnten. Gezeigt werden auch Ansatzpunkte für Lösungen und Arbeitsfelder, in denen Politik, Verwaltungen, Institutionen handeln können und müssen. Zum Schluss stellt unsere Fraktion konkrete Handlungsansätze vor, was man auf der Ebene des Verbandes tun kann, um ein Umdenken in der Armutsbekämpfung im Revier zu erreichen und nicht nur zu reden, sondern zu handeln.

Wolfgang Freye
Fraktionsvorsitzender DIE LINKE
im Regionalverband Ruhr

Armutsregion_Ruhrgebiet-Tatsachen,_Hintergruende_und_Loesungsmoeglichkeiten

teilen mit …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

+ 4 = 8