Regionen wie das Ruhrgebiet und weite Teile Ostdeutschlands werden immer weiter abgehängt, das geht aus dem »Deutschlandatlas« hervor, den die Bundesregierung am Mittwoch vorstellte.

Soziale Spaltung nimmt zu

Bundesregierung stellt Situation abgehängter Regionen dar und beklagt geballte Armut – zeigt aber keinen Willen zur Veränderung. DGB fordert Investitionen
Von Simon Zeise (junge welt vom 11.07.2019)

Ein Land zerfällt. Mehr als neun Prozent der Bevölkerung sind hierzulande auf Sozialleistungen angewiesen, über die Hälfte von ihnen bezieht Hartz IV. Regionen wie das Ruhrgebiet und weite Teile Ostdeutschlands werden immer weiter abgehängt, das geht aus dem »Deutschlandatlas« hervor, den die Bundesregierung am Mittwoch vorstellte.

Diese Ergebnisse sind nicht vom Himmel gefallen, sondern politisch gewollt. Schuldenbremse und Steuerdumping haben ihre volle Wirkung entfaltet. Innenminister Horst Seehofer (CSU) übte sich in Stoßgebeten: »Das Ziel ist, den Menschen die Möglichkeit zu geben, in ihrer Heimat zu leben. Dazu müssen wir die Strukturpolitik und die Förderpolitik in Deutschland neu justieren.« Wenn unterschiedliche Lebensverhältnisse zum Nachteil für die Menschen würden, müsse sich die Politik kümmern – na dann, auf geht’s, Berlin! Mehr Geld ausgeben will die Bundesregierung aber nicht. Bewusst sei kein Milliardenbetrag für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse veranschlagt worden, sagte Seehofer. Diese Aufgabe müsse von jedem Minister innerhalb seines eigenen Haushalts umgesetzt werden – ein schlechter Scherz, angesichts der Tatsache, dass Finanzminister Olaf Scholz (SPD) die Minister wegen der trüben konjunkturellen Aussichten zum Kürzen aufgefordert hat.

Dem Elend der einen steht obszöner Reichtum der anderen gegenüber. Wie der Internationale Währungsfonds am Mittwoch in seinem Länderbericht Deutschland mitteilte, ist das Vermögen der privaten Wirtschaft mittlerweile stark konzentriert. Zehn Prozent der reichsten Haushalte besäßen rund 60 Prozent des gesamten Nettovermögens, und 40 Prozent dieses Reichtums sei in den Händen privater Unternehmer.

Die Konzernchefs krallen sich an ihr Geld. Regelmäßig prellen sie Beschäftigte um ihnen zustehende Gehälter. Im Jahr 2017 hätten etwa 1,8 Millionen Beschäftigte trotz Anspruchs den Mindestlohn nicht erhalten, teilte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung am Mittwoch mit. Dies gelte für 1,3 Millionen Personen in einer Hauptbeschäftigung und rund 500.000 Nebenjobber. Besonders oft werde der Mindestlohn Beschäftigten im Gastgewerbe, im Einzelhandel, bei persönlichen Dienstleistungen und in der Leiharbeit vorenthalten. Flächendeckende Kontrollen des Zolls gebe es mangels Personal bisher praktisch nicht – auch das eine Folge rigoroser Kürzungspolitik.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte eine Trendumkehr. Die Empfehlungen der Bundesregierung reichten bei weitem nicht, denn die Schlüsselfrage, wie der kommunalen Verschuldung beizukommen sei, bleibe unbeantwortet, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Die Einnahmebasis der Kommunen müsse insgesamt verbessert werden. Eine Reform der Erbschafts- und Vermögenssteuer sowie die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer hin zu einer Gemeindewirtschaftssteuer seien hier die passenden Instrumente. Wer den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht gefährden wolle, müsse Investitionen in Gesundheitsversorgung, Bildung und in eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur vornehmen, um die Lebensqualität insbesondere in ländlichen Räumen zu steigern, so Körzell.

Als Sohn seiner Klasse präsentierte sich wieder einmal CSU-Chef Markus Söder: »Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu einem permanenten Umverteilungssystem in Deutschland kommen«, sagte er der Augsburger Allgemeinen vom Donnerstag laut Vorabbericht. »Die Leistungskerne müssen leistungsfähig bleiben«, betonte er. Armut stört da nur.

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