„Die Operationalisierung von Abstiegsängsten als Angst vor Arbeitslosigkeit ist nicht ausreichend und führt deshalb zur Unterschätzung sozialer Verunsicherung in der Bevölkerung.“ (Prof. Kohlrausch)

„UNSICHERE BERUFSPERSPEKTIVEN NUTZEN RECHTEN“ –

Dieser Titel des Beitrags im aktuellen Böckler Impuls zeigt, dass der verantwortliche Redakteuer die Studie von Professorin Kohlrausch nicht verstanden hat !

UNSICHERE BERUFSPERSPEKTIVEN NUTZEN RECHTEN (Böckler Impuls)

Sorgen um die berufliche Zukunft reichen in Ostdeutschland deutlich weiter als im Westen.Das schlägt sich auch in Wahlergebnissen nieder.

Unsichere Berufsperspektiven nutzen Rechten
Rechtspopulisten profitieren von Verunsicherung und Zukunftssorgen in der Gesellschaft. Dabei spielen das Gefühl mangelnder Anerkennung oder das Thema Migration eine Rolle und vor allem konkrete ökonomische Unsicherheit. Diese Unsicherheit ist bei den Menschen in Ostdeutschland verbreiteter als in Westdeutschland, zeigt eine aktuelle Analyse von Bettina Kohlrausch, Soziologin an der Universität Paderborn. Die Auswertung beruht auf einer repräsentativen Befragung zu „sozialen Lebenslagen“, für die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zwischen 2017 und Anfang 2019 in mehreren Wellen 4892 Wahlberechtigte in Deutschland interviewt wurden.

Während sich im Westen vor allem un- und angelernte Beschäftigte große Sorgen um ihre berufliche und soziale Zukunft machen – und zugleich überdurchschnittlich häufig rechte Parteien wählen –, trifft das in den neuen Bundesländern auch auf Berufsgruppen mit mittlerem Status wie Facharbeiter oder Angestellte mit mittlerem Bildungsabschluss zu. Beispielsweise machen sich 11,9 Prozent der Facharbeiter im Osten große Sorgen um ihre Arbeitsplatzsituation, aber nur 6,2 Prozent der Facharbeiter im Westen. „Das Aufstiegs- und Sicherheitsversprechen der alten Bundesrepublik ist im Osten auch 30 Jahre nach dem Mauerfall in der Mitte der Gesellschaft nicht angekommen”, sagt Kohlrausch. Vor diesem Hintergrund sei es problematisch, dass Instrumente und Regeln, die im Arbeitsleben für bessere Bedingungen sorgen, im Osten weitaus weniger verbreitet sind. So werden beispielsweise in Sachsen nur 39 und in Brandenburg lediglich 45 Prozent der Beschäftigten nach einem Tarifvertrag bezahlt. Im Mittel der westdeutschen Bundesländer sind es dagegen 57 Prozent.
Dass Sorgen um die berufliche Zukunft einhergehen mit einer erhöhten Neigung, Rechtspopulisten zu wählen, zeigt die Forscherin am Beispiel der Aussage: „Ich habe berufliche Chancen in Europa und der ganzen Welt.“ Dem stimmten in der Befragung ostdeutsche Beschäftigte deutlich seltener zu als westdeutsche mit gleicher Qualifikation. Und wer keine Chancen für sich sah, wählte im Osten bei der vergangenen Bundestagswahl deutlich häufiger AfD als ein Wahlberechtigter, der zustimmte. Dabei waren mögliche Unterschiede aufgrund von Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund oder ihrer Haltung zu Zuwanderung bereits herausgerechnet. „Das Gefühl, für die kommende Transformation in der Arbeitswelt gerüstet zu sein – oder nicht – beeinflusst ganz offenbar Wahlentscheidungen“, sagt die Wissenschaftlerin.

Abstiegsängste in Deutschland

Ausmaß und Ursachen in Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus

Bettina Kohlrausch

Eine Publikation in der Hans-Böckler-Stiftung

Die AfD wurde bei der Bundestagswahl 2017 – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – von allen gesellschaftlichen Milieus gewählt. In Teilen der öffentlichen Debatte wurde daraufhin argumentiert, dass der Erfolg der AfD deshalb nicht mit der sozialen Lage der jeweiligen Wählerinnen und Wähler erklärt werden könne. Auch soziale Verunsicherung könne den Wahlerfolg der AfD nicht erklären, da Abstiegsängste, gemessen als Angst vor Arbeitslosigkeit, auf einem historisch niedrigen Stand seien. Statt einer sozialen Spaltung sei vor allem eine kulturelle Spaltung des Landes Ursache des Erstarkens der AfD.

Im Gegensatz zu dieser Deutung wird in diesem Papier argumentiert, dass soziale Verunsicherung und soziale Ängste wichtige Treiber der AfD Wahl sind.

Die Operationalisierung von Abstiegsängsten als Angst vor Arbeitslosigkeit ist nicht ausreichend und führt deshalb zur Unterschätzung sozialer Verunsicherung in der Bevölkerung.

In diesem Papier wird daher eine differenzierte Erfassung des Ausmaßes und der Ursachen von sozialen Ängsten und sozialer Verunsicherung vorgenommen.

Es wird gezeigt, dass Ängste um die Arbeitsplatzsituation, die Sorge um die kurzfristige und langfristige Verschlechterung der individuellen finanziellen Situation, des generellen Lebensstandards oder vor Verschlechterungen im Arbeitskontext nicht deckungsgleich sind und unterschiedlich weite Teile der Bevölkerung betreffen.

Auswertungen eines online-panels zeigen, dass Abstiegsängste bis weit in die Mittelschichten hineinreichen und auch Personen mit einem relativ hohen Nettoeinkommen betreffen:

  • Im Januar 2017 machten sich ca. 25 Prozent der Befragten große oder sehr große Sorgen um ihre Arbeitsplatzplatzsituation. Wesentlich mehr Personen jedoch (39 Prozent) gaben an, sich große oder sehr große Sorgen um die eigene finanzielle Situation zu machen, fast die Hälfte (49 Prozent) machten sich Sorgen oder große Sorgen um ihre finanzielle Situation im Alter und stimmten der Aussage zu (47 Prozent) „Ich befürchte meinen Lebensstandard nicht dauerhaft halten zu können“.

Viele Personen haben offensichtlich Angst um ihren sozialen Status, obwohl sie nicht um ihren Job fürchten.

  • Die Befunde zeigen deutlich, dass Abstiegsängste bei Bevölkerungsgruppen am stärksten ausgeprägt sind, die über ein geringes Einkommen verfügen und sich am unteren Rand der Gesellschaft verorten.

Die soziale Lage ist damit entscheidend für das Ausmaß von Abstiegsängsten. Gleichwohl betrifft insbesondere die Sorge, den eigenen Lebensstandard nicht langfristig halten zu können, nicht nur Geringverdienende und Personen, die sich selbst zum unteren Teil der Gesellschaft zugehörig fühlen.

  • Abstiegsängste reflektieren somit ein Gefühl der sozialen Verunsicherung, das sich in den unteren sozialen Schichten mit einer schwierigen materiellen Situation erklären lässt. Sie betrifft aber auch Personen, die nicht unmittelbar von einem sozialen Abstieg bedroht sind.

Es scheint somit nicht nur um die konkrete Erfahrung sozialer Ausgrenzung oder sozialen Abstiegs zu gehen, sondern vielmehr um die Angst davor. Diese Angst speist sich aus konkreten Erfahrungen, insbesondere im Arbeitskontext. Dieses eher diffuse Gefühl einer sozialen Verunsicherung macht sich die AfD zu nutze. Eine Politik, die dem etwas entgegensetzen möchte, sollte daher einerseits Angebote zu einer besseren sozialen Absicherung der unteren sozialen Schichten machen. Andererseits ist besser zu vermitteln, dass die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen politisch gestaltbar sind.

Hier findet man/frau die komplette Studie von Bettina Kohlrausch:

https://www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_WP_058_2018.pdf

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