Wer die Berichterstattung zur Vermögenssteuer dominiert

Ökonomenszene

Wer die Berichterstattung zur Vermögenssteuer dominiert

Während die Entwicklungen der Vermögensungleichheit inzwischen relativ gut erforscht sind, blieb die Rolle der Massenmedien in der Debatte bisher weitgehend unbeachtet. Eine neue Studie hat nun die Berichterstattung zur Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung in den letzten zwei Jahrzehnte analysiert. Ein Beitrag von Hendrik Theine.

Die Entwicklung der Vermögensungleichheit ist während der letzten Jahre international wie auch in Deutschland verstärkt in den wissenschaftlichen Fokus gerückt. So zeigt eine steigende Zahl empirischer Untersuchungen, dass seit den 1980er Jahren die Vermögensungleichheit in vielen Ländern zugenommen hat.

Neben der empirischen Analyse der Vermögensverteilung ist in den letzten Jahren ein Anstieg der Forschungstätigkeit zu den Auswirkungen der steigenden Vermögensungleichheit auf Gesellschaft und Ökonomie zu verzeichnen. So verdichten sich die Befunde, dass eine hohe Konzentration von Privatvermögen in engem Zusammenhang mit ökonomischer und politischer Macht steht, also mit der Möglichkeit, auf ökonomische und politische Prozesse einzuwirken. Damit kommt der Verteilung von Vermögen auch eine zentrale Rolle für die Funktionsfähigkeit demokratischer Institutionen zu.

Während diese Entwicklungen mittlerweile relativ gut erforscht sind, blieb die Rolle der Massenmedien in der Vermittlung und Mediation der Vermögensungleichheit und ihrer zugrundeliegenden Politikmaßnahmen bisher weitgehend unbeachtet. Angesichts der Bedeutung des Themas und der zentralen Rolle der Medien für öffentliche Wahrnehmung und Meinungen mutet dies durchaus paradox an. Wie häufig berichten deutsche Medien über die zentralen Versuche, Vermögensungleichheit zu verringern? Geben sie zustimmenden und ablehnenden Positionen gleichermaßen Raum? Diese und ähnliche Fragen konnten bisher nicht seriös beantwortet werden.

In der kürzlich erschienenen Studie „Streitfall Vermögenssteuer: Defizite in der Medienberichterstattung“ haben wir genau an dieser Stelle angesetzt und die Berichterstattung zur Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung in Deutschland über die vergangenen zwei Jahrzehnte analysiert. Ausgewertet wurden rund 10.000 Artikel aus sieben Tages- und Wochenzeitungen wie der FAZ, dem Spiegel oder der taz.

Neben der inhaltlichen Ausrichtung und den zu Wort kommenden wirtschaftspolitischen Organisationen liegt ein Hauptaugenmerk der Studie auf der Frage, welche ExpertInnen aus den (Wirtschafts-)Wissenschaften Eingang in die Berichterstattung finden. Hierfür wurden – basierend auf früheren Forschungsarbeiten – ÖkonomInnen in verschiedenen Denkschulen zugeordnet, so z.B. der Mainstream-Ökonomie oder der heterodoxen Ökonomie.

Die Ergebnisse zeigen, dass Mainstream-ÖkonomInnen am häufigsten in der Berichterstattung vorkommen, gefolgt von pluralen Mainstream-ÖkonomInnen und ordoliberalen ÖkonomInnen. Weitaus seltener sind postkeynesianische und andere heterodoxe ÖkonomInnen vertreten. Ein etwas genauerer Blick in die Kategorien zeigt, dass unter den meistzitierten pluralen Mainstream-ÖkonomInnen Thomas Piketty und seine Kollegen und Koautoren (z.B. Emanuel Saez und Gabriel Zucman) sind. Betrachtet man nur deutsche und in Deutschland ansässige ÖkonomInnen, so sind die ordoliberalen ÖkonomInnen die wichtigste Gruppe in der Medienberichterstattung.

Anzahl der Nennungen von ÖkonomInnen nach paradigmatischer Orientierung

Quelle: Eigene Darstellung

Vergleicht man die unterschiedlichen Zeitungen, zeigen sich teilweise deutliche Unterschiede: andere Mainstream-ÖkonomInnen sind in allen Zeitungen die prozentual häufigste Kategorie mit Ausnahme der FAZ und der taz, in denen ordoliberale ÖkonomInnen (FAZ) bzw. plurale Mainstream-ÖkonomInnen (taz) die am häufigsten genannte Gruppe darstellen. Neben der FAZ rekurrieren auch die Welt am Sonntag und Die Welt recht häufig auf ordoliberale ÖkonomInnen. Im Gegensatz dazu werden ordoliberale ÖkonomInnen von Spiegel, SZ und taz relativ selten aufgegriffen.

Neben der taz werden Plurale Mainstream-ÖkonomInnen auch in Spiegel und SZ recht regelmäßig genannt, wohingegen Die Welt und die Welt am Sonntag sich wesentlich weniger auf diese Gruppe von ÖkonomInnen beziehen. Die postkeynesianischen ÖkonomInnen werden am häufigsten in der Zeit und der taz erwähnt, dagegen kommen sie in Welt und Welt am Sonntag so gut wie nicht vor. Andere heterodoxe ÖkonomInnen schließlich werden – wenn überhaupt – von Spiegel und taz zitiert.

Zwei große Cluster

Mit Rückgriff auf die Netzwerkforschung wurde außerdem ausgewertet, welche Verbindungen zu politischen Parteien oder politiknahen Organisationen die in der Berichterstattung zu Wort kommenden ÖkonomInnen aufweisen. Die folgende Abbildung zeigt, dass sich die ÖkonomInnen überwiegend in zwei große Cluster einteilen lassen: Cluster 1 besteht größtenteils aus ordoliberalen und anderen Mainstream-ÖkonomInnen, während sich in Cluster 2 eher postkeynesianische und plurale Mainstream-ÖkonomInnen befinden.

Verbindungen zwischen ÖkonomInnen und Organisationen des politiknahen und politischen Bereichs (2000- 2018)

Lesehilfe: In der Abbildung sind alle ÖkonomInnen abgebildet, die zumindest zwei Mal in der Berichterstattung über Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung vorkommen und Verbindungen zu den oben analysierten vier Organisationstypen (Stiftungen/ Think Tanks, Politische Parteien, Arbeitgeberverbände sowie Gewerkschaften) haben. Die ÖkonomInnen sind mit Nachnamen abgebildet, die Nummern stehen für die Organisationen (siehe Anhang A.9 für die vollständige Liste der Namen). Die Größe der ÖkonomInnen im Netzwerk ergibt sich aus der Häufigkeit, mit der sie in der Berichterstattung vorkommen. Die Farben ergeben sich aus der Zuordnung zu den verschiedenen Denkschulen (siehe Kapitel 4 und 5): Blau = postkeynesianische ÖkonomInnen, türkis = andere heterodoxe ÖkonomInnen, grün = plurale Mainstream-ÖkonomInnen, schwarz = ordoliberale ÖkonomInnen, rot = andere Mainstream-ÖkonomInnen und lila = keine Zuordnung möglich. Je dicker die Verbindungslinien sind, desto mehr Verbindungen (gemeinsame Mitgliedschaft in den Organisationen) sind zwischen den jeweiligen ÖkonomInnen vorhanden.

In Cluster 1, welches das größere der beiden Cluster ist, sind einige der recht häufig zitierten ÖkonomInnen eng mit marktliberalen Organisationen vernetzt. So gehören beispielsweise Clemens Fuest und Lars Feld, beide starke Befürworter einer niedrigen Vermögensbesteuerung, dem Kronberger Kreis (Nr. 12), dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, an. Bei der Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung vertritt die Stiftung eine klar ablehnende Haltung gegenüber der Wiedereinführung der Vermögensbesteuerung und ist eher skeptisch, wenn es um eine progressive Reform der Erbschaftsbesteuerung geht. Ein weiteres Beispiel ist Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (Nr.11), der auch wissenschaftlicher Berater des Wirtschaftsrates der CDU ist (Nr. 15).

Auch der ehemalige Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus F. Zimmermann, weist einige Verbindungen zu marktliberalen Organisationen auf. Er ist Autor des ÖkonomenBlogs der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und Unterzeichner mehrerer Appelle, die auf die INSM zurückgehen. Er ist außerdem Mitglied des Beirats der Plattform “bda-pro-job.de” sowie Mitglied von Wissopol, dem sozialpolitischen Gesprächsforum der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

2018 berichten die untersuchten Medien genauso selten über die (mögliche) Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften wie zur Jahrtausendwende

Das Cluster 2 ist vergleichsweise kleiner und zeichnet sich auch durch weniger Verbindungen zwischen den ÖkonomInnen aus. Bei einigen der postkeynesianischen und anderen heterodoxen ÖkonomInnen lassen sich Verbindungen zu sozialdemokratischen und linken politischen und politiknahen Organisationen nachweisen. So haben zum Bespiel Rudolf Hickel, Gustav Horn und Peter Bofinger einen offenen Brief gegen die deutsche Schuldenbremse und Steuersenkungen im Jahr 2009 unterzeichnet (Nr. 16), der auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) mitgetragen wurde. Ebenso sind Hickel und Horn wissenschaftliche Berater des „Arbeitskreises Steuermythen“ (Nr. 22), einer SPD-nahen Arbeitsgruppe, die – wie der Name schon sagt – Mythen und Fehlannahmen in der deutschen Steuer- und Finanzdebatte aufdecken möchte.

Die pluralen Mainstream-ÖkonomInnen in Cluster 2 sind größtenteils internationale ÖkonomInnen, die nicht so sehr in (deutsche) Stiftungs- und Think Tank-Netzwerke eingebunden sind. Zwischen ihnen gibt es aber einige Verbindungen auf internationaler Ebene, z.B. die Independent Commission for the Reform of International Corporate Taxation (Nr. 2).

Schlussfolgerungen

Was lässt sich aus den Ergebnissen schlussfolgern? Insgesamt zeigt sich, dass eine vielfältige Darstellung (wirtschafts-)wissenschaftlicher Paradigmen in der untersuchten Berichterstattung eher nicht gegeben ist. So werden Mainstream-ÖkonomInnen am häufigsten als wissenschaftliche ExpertInnen zitiert, gefolgt von pluralen Mainstream-ÖkonomInnen und AnhängerInnen des Ordoliberalismus. Weitaus seltener sind heterodoxe ÖkonomInnen vertreten. Diese fehlende innerwissenschaftliche Differenzierung dürfte dabei wesentlich zur Überrepräsentation der ablehnenden Sichtweise auf Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung beitragen, stehen Mainstream- und ordoliberale ÖkonomInnen Umverteilungsmaßnahmen doch meist skeptisch gegenüberstehen.

Neben der Frage, welche ExpertInnen aus den (Wirtschafts-)Wissenschaften zu Wort kommen, sind auch die weiteren Ergebnisse der Studie in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. So wird deutlich, dass die Intensität der Berichterstattung von den fundamentalen Umbrüchen der letzten beiden Jahrzehnte praktisch unberührt bleibt – und auf extrem niedrigem Niveau verharrt. Mit anderen Worten: 2018 berichten die untersuchten Medien genauso selten über die (mögliche) Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften wie zur Jahrtausendwende. Darüber hinaus ist eine konstante und starke Fokussierung auf die (partei-)politische Ebene und die dortigen Kontroversen festzustellen – für eine nachhaltige Hintergrundberichterstattung, die die veränderten gesellschaftspolitischen und (polit-)ökonomischen Bedingungen integriert, bleibt kaum Raum.

Die Analyse von Netzwerken und Beziehungsgeflechten der zu Wort kommenden wirtschaftspolitischen Organisationen und ExpertInnen zeigt, dass die Übergänge von politischen Akteuren zu ExpertInnen der Stiftungs- und Verbändelandschaft und schließlich zur (Wirtschafts-) Wissenschaft fließend sind. Deutlich sind dabei Cluster zu erkennen, deren „Mitglieder“ sich anhand ihrer Pro- oder Kontra-Haltung zur Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung gruppieren. Insgesamt kommen dabei in fast allen untersuchten Medien überwiegend solche ExpertInnen zu Wort, die eine Besteuerung von Erbschaften und Vermögen skeptisch bis kritisch sehen.

 

Zum Autor:

Hendrik Theine ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (post-doc) am Institut für Heterodoxe Ökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien. Auf Twitter: @tricks_y

 

teilen mit …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

+ 15 = 23