„Die Kritik an den Arbeitsbedingungen ist nicht auf Deutschland begrenzt, auch im Heimatland dieses global agierenden Konzerns gibt es massive Vorwürfe.“

Die Subunternehmen im „System Amazon“ und der Ruf nach einer „Bändigung“ des Online-Handelsgiganten

In Deutschland kaufen viele Menschen bei Amazon ein, gerade in den zurückliegenden Monaten und derzeit boomt der Online-Versandhändler ohne Ende – der Umsatz von Amazon alleine ist im ersten Halbjahr 2020 global um 40 Prozent gestiegen.

Man kann ohne Umschweife sagen: Amazon ist einer der ganz großen „Pandemie-Gewinner“.

Dazu bereits dieser Beitrag aus dem Frühjahr 2020: Vera Demary (2020): Onlinehandel: Warum Corona Amazon weiter stärkt. IW-Kurzbericht 32/2020, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft (IW), 30. März 2020.

Und nicht nur der Umsatz dieses Giganten wächst und wächst – auch die Zahl der Beschäftigten: »In a year plagued by widespread layoffs, Amazon is bucking the trend. As of October, the company added 427,300 employees, increasing its workforce to 1.2 million … This year, Amazon added roughly 1,400 people a day. Currently listed as the world’s fifth largest employer in the Fortune 500, Amazon’s historic levels of hiring are likely to move it up to third. Walmart, the largest employer, currently employs 2.2 million workers. At Amazon’s current pace of hiring, it would be able to take the title in two years.« Das berichtet Amanda Shendruk in ihrem Artikel Amazon is leapfrogging the world’s largest employers.

Die Corona-Krise kommt dem Konzern entgegen, weil in vielen anderen Unternehmen und Branchen Arbeitskräfte entlassen werden: »Covid-19 has put renewed focus on Amazon’s workplace conditions—last week, the company agreed to pay a one-time bonus amid threats of worker strikes—but a difficult job market means Amazon is unlikely to run out of willing employees anytime soon. In the week leading up to Sept. 16, the company received nearly 400,000 job applications, the NYT reported. That’s a rate of 38 per minute.«
Der Artikel basiert auf diesem Bericht: Karen Weise (2020): Pushed by Pandemic, Amazon Goes on a Hiring Spree Without Equal. The company has added 427,300 employees in 10 months, bringing its global work force to more than 1.2 million, in: New York Times Online, 27.11.2020.

Zugleich kann man einen seit Jahren anhaltenden und bislang kaum von Erfolg gekrönten Kampf der gewerkschaftlich organisierten Minderheit der Beschäftigten in den deutschen Standorten für einen Tarifvertrag bei dem US-amerikanischen Konzern verfolgen, über den immer wieder mal berichtet wird, wenn es – wie zuletzt vor den Weihnachtstagen des nunmehr vergangenen Jahres – Streikaktionen gibt. Aber die Kunden sind nur mediale Zaungäste dieser Ereignisse, an den Lieferungen haben diese Aktionen bislang nichts wirklich stören können.

»Die letzten Tage vor dem Weihnachtsfest in Corona-Zeiten: Für Versandhandel und Paketboten bedeutet das absolute Hochkonjunktur. Für die Gewerkschaft Ver.di ist das eine gute Gelegenheit, den Druck auf Amazon zu erhöhen.« So beginnt diese Meldung: Amazon-Mitarbeiter legen Arbeit nieder: Wie immer bei diesen seit Jahren wiederkehrenden Aktionen muss man auf die Zahlen achten: »Die Streiks in Werne, Leipzig, Rheinberg, Koblenz sowie an zwei Standorten in Bad Hersfeld sollen bis einschließlich Heiligabend andauern, wie die Gewerkschaft Ver.di mitteilte. Sie rechnet mit rund 1700 Teilnehmern an dem Streik.« Und was sagt das Unternehmen dazu? Amazon erklärte, Auswirkungen auf die Belieferung der Kunden hätten die Streikaktionen nicht: »Der allergrößte Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeitet ganz normal.«

Die Kritik an den Arbeitsbedingungen ist nicht auf Deutschland begrenzt, auch im Heimatland dieses global agierenden Konzerns gibt es massive Vorwürfe. Dazu beispielsweise der Beitrag von Matt Day and Spencer Soper: Amazon Has Turned a Middle-Class Warehouse Career Into a McJob, der im Dezember 2020 veröffentlicht wurde: »Despite a starting wage well above the federal minimum, the company is dragging down pay in the logistics industry and bracing for a fight with unions.« Das hat zu einer heftigen Debatte geführt: Die im November wiedergewählte, demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez wird mit diesen Worten zitiert: Die Arbeitsplätze bei Amazon seien „Betrug“ („scam“). „Ein Job, bei dem du obdachlos und auf Essensmarken angewiesen bist, ist kein Job, sondern Betrug“, so das Statement von Ocasio-Cortez auf Twitter. Darüber berichtet dieser Artikel: 4.000 Mitarbeiter brauchen Essensmarken: US-Politikerin nennt Amazon-Jobs „Betrug“ vom 21.12.2020.

Und auch in Österreich ist Amazon ein Thema der kritischen Berichterstattung. »Schwarzarbeit, falsche Identitäten, Lohn- und Sozialdumping sowie Abgabenhinterziehung wurden bei einer Razzia im Amazon-Verteilzentrum in Großebersdorf aufgedeckt. 130 von 133 Partnerunternehmen von Amazon haben Gesetze gebrochen. Laut dem Chef der Finanzpolizei gab es noch nie eine Kontrolle mit so vielen Gesetzesverstößen. Das hat auch mit dem System Amazon zu tun«, berichtet Marco Pühringer in seinem Artikel Razzia: 724 Gesetzesbrüche im Amazon-Verteilzentrum Großebersdorf. Das sind schon richtig heftige Zahlen, die uns aus Österreich erreichen: »Im Februar 2020 führte die Finanzpolizei eine großangelegte Razzia im Amazon-Verteilzentrum in Großebersdorf durch. Schon vor Ort wurden Verstöße gegen das Arbeitsrecht festgestellt – etwa gegen das Lohn- und Sozialdumpinggesetz und das Ausländerbeschäftigungsgesetz. Die Finanzpolizei nahm daraufhin 133 Partnerunternehmen unter die Lupe. Zwölf hatten direkte Verträge mit Amazon, die übrigen sind Subunternehmen. Das Ergebnis: Von 133 hielten sich nur drei an die Gesetze.« Dazu auch dieser Artikel: Finanzpolizei deckt Schwarzarbeit und Abgabenhinterziehung bei Amazon-Paketdienstleistern auf. Dort findet man auch dieses Zitat:

„Ich kann mich an keine Kontrolle erinnern, bei der wir auf derartig viele Gesetzesübertretungen gestoßen sind. Das ist einmalig.“ (Wilfried Lehner, Leiter der österreichischen Finanzpolizei)

»Insgesamt meldete die Finanzpolizei 468 Verstöße gegen das Sozialversicherungsgesetz, 144 gegen das Arbeitslosenversicherungsgesetz, 96 Fälle von Sozialleistungsbetrug, zwölf Verstöße gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz, drei Übertretungen nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz und eine Übertretung der Gewerbeordnung. Daraus ergaben sich Strafen in der Gesamthöhe von 770.000 Euro. Außerdem stellten die Finanzbeamten Forderungspfändungen in Höhe von 325.000 Euro und konnten etwa 88.000 Euro an nicht bezahlten Steuern und Abgaben sicherstellen«, so Marco Pühringer. Er zitiert Barbara Teiber, die Vorsitzende der Gewerkschaft GPA: „Offenbar hat sich im Bereich der privaten Paketzustellung ein System der Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Bestimmungen entwickelt. Das System Amazon muss endlich ein Ende haben!” Leichter gesagt als getan.

»Die Situation im Verteilzentrum Großebersdorf hat einiges mit diesem „System Amazon“ zu tun – obwohl beim Internetriesen selbst auch nach der Razzia keine Überschreitungen festgestellt wurden«, so Pühringer. Und das „System Amazon“ ist auch in Deutschland gut bekannt: »Amazon lagert die Zustellung der Pakete an Subunternehmen aus. Das hat für den Online-Konzern den Vorteil, dass sie sich nicht um arbeitsrechtliche Bedingungen kümmern müssen und auch gleichzeitig das gesamte Risiko auf die Subunternehmer übertragen wird.«

Wir werden mit einer ebenfalls seit Jahren bekannten und gut beschriebenen Kaskade der Druckverlagerung nach unten konfrontiert: »Um die eigenen Kosten zu senken und den Profit zu steigern, verlangt Amazon immer mehr Leistung und Flexibilität von den Subunternehmen. Um die Kosten zu senken, werden Gesetzte übertreten und beim Personal gespart. Ein großer Teil der Beschäftigte im Verteilerzentrum sind Leasingarbeiter. Sie müssen permanent um ihren Job bangen – das verhindert auch Beschwerden gegen die schlechten Arbeitsbedingungen.«

»Andere werden in die Scheinselbstständigkeit gedrängt, denn die Subunternehmen spielen ein ähnliches Spiel wie Amazon: Mitarbeiter müssen eigene Unternehmen gründen, es entstehen Subunternehmen der Subunternehmen. Die Paketboten tragen dann das Risiko, bekommen keine Überstunden bezahlt und müssen ihren Auftraggeber auch noch für das Fahrzeug entschädigen. Paketzusteller kommen so auf Stundenlöhne von unter vier Euro.«

Was tun? Kann man überhaupt was tun?

Im Dezember 2020 wurde in einem anderen Artikel von Marco Pühringer – Greenpeace, Handelsverband und Gewerkschaft fordern: Regierung muss Amazon bändigen – berichtet: »Gewerkschaft, Handelsverband und Greenpeace fordern von der Bundesregierung rasche und strenge Regulierungen von Online-Giganten wie Amazon. Das Bündnis kritisierte die schlechten Arbeitsbedingungen, die Umweltschäden und einen ungleichen Wettbewerb zwischen österreichischen Händlern und Online-Konzernen. Sie legten der Regierung einen Forderungskatalog vor, mit dem diese Probleme direkt in Österreich gelöst werden können.« Das hört sich nach konkreten Ansatzpunkten an. Also lesen wir weiter:

Aktuelle Berechnungen zeigen, dass dem österreichischen Staat durch internationale Online-Händler wie Amazon oder Alibaba jährlich bis zu 680 Millionen Euro an Steuereinnahmen entgehen. Besonders Amazon drückt seine Steuern massiv:

»Der Konzern macht alleine in Österreich jährlich über 850 Millionen Euro Umsatz – auf EU-Ebene erhielt Amazon aber sogar eine Steuergutschrift in Höhe von 300 Millionen Euro. Außerdem sieht das Unternehmen tatenlos zu, wie Anbieter auf seiner Plattform Umsatzsteuerbetrug begehen. Der Trick könnte nicht einfacher sein: Alle Waren mit einem Verkaufspreis unter 22 Euro müssen bei der Einfuhr weder verzollt werden, noch fällt Umsatzsteuer für sie an. Wenn ein asiatischer Händler, der bei Amazon seine Produkte verkauft, Waren im Wert von 50 Euro nach Österreich liefert, gibt er offiziell einen Betrag von unter 22 Euro an. Er spart sich Zoll und Umsatzsteuer – der Staat schaut durch die Finger.«

Was wird in Österreich gefordert?

»Um diese Praxis von Umsatzsteuerbetrug zu verhindern, soll Finanzminister Blümel endlich die Zollkontrollen verstärken und Personal aufstocken. Außerdem sollen die Internet-Konzerne einen fairen Steuerbeitrag leisten. Ideal wäre die Einführung der „digitalen Betriebsstätte“: Digitalkonzerne sollen ihre Steuern dort zahlen, wo der Umsatz erwirtschaftet wird. Nicht dort, wo der physische Sitz gemeldet wurde. Doch bis diese auf EU Ebene auf den Weg gebracht wird, könnte noch einige Zeit vergehen.*) Die Vorsitzende der Gewerkschaft GPA-djp Barbara Teiber schlägt deshalb eine schnell umsetzbare Alternative vor: Eine fiktive Gewinnsteuer. Da die echten Gewinne aus dem österreichischen Geschäft dank komplizierter Gewinnverschiebung nicht wirklich ermittelt werden können, sollen einfach 5 Prozent des Umsatzes als Steuer eingehoben werden. Das würde 130 Millionen Euro bringen.«

*) Dazu (und der Rolle Deutschlands) dieser Beitrag des Deutschlandfunks: Nationale Alleingänge oder vereinter Gegenschlag? (10.12.2020): »Frankreich besteuert Tech-Riesen wie Amazon, Facebook, Google oder Microsoft seit Ende November, Deutschland zieht bei der Digitalsteuer bislang aber nicht mit – aus Sorge vor der Reaktion der USA. Zwar hat die OECD längst ein internationales Steuerkonzept entwickelt, doch die Verhandlungen stocken.« Zum OECD-Ansatz vgl. auch diesen Beitrag: Pascal Saint-Amans et al. (2020): Die OECD-Vorschläge zur Reform der Unternehmensteuer – ein Plan mit unerwünschten Nebenwirkungen?, in: ifo Schnelldienst, Heft 3/2020: »Die Geschäftsmodelle der großen Internet-Konzerne wie Google, Apple, Facebook und Amazon erlauben es ihnen, Dienstleistungen in Ländern anzubieten, in denen sie keine physische Präsenz und auch keine Mitarbeiter haben. Die physische Präsenz ist jedoch nach aktuellen internationalen Besteuerungsregeln oft Voraussetzung, um Steuern in einem Land zu erheben. Das hat zu Forderungen geführt, die Besteuerung multinationaler Konzerne zu reformieren. Die OECD legte nun im Herbst 2019 einen Vorschlag für einen einheitlichen Ansatz vor, um die internationale Besteuerung zu modernisieren. In ihren Entwurf schlägt sie vor, die Besteuerungsrechte zwischen den Ländern neu zu verteilen: Nicht allein der Firmensitz soll bestimmen, wo versteuert wird. Global agierende Unternehmen sollen auch dort Steuern zahlen, wo ihre Kunden oder Nutzer ihrer Dienstleistungen ansässig sind. Zudem soll ein globaler Mindeststeuersatz vereinbart werden, um zu vermeiden, dass Unternehmen Aktivitäten in Niedrigsteuerländer verschieben. Liegt den aktuellen Vorschlägen ein überzeugendes Konzept zugrunde? Welche Auswirkungen sind auf Effizienz und Fairness der Unternehmensbesteuerung zu erwarten? Wer gewinnt, wer verliert?«

Hervorgehoben wird die Wettbewerbsverzerrung durch unterschiedliche Steuerbelastungen: »Insgesamt bezahlen österreichische Handelsunternehmen rund 23 Prozent ihres Gewinnes an Steuern – internationale Online-Anbieter kommen in Österreich auf einen Steuersatz von nur 9 Prozent.« Mit einer fiktiven Gewinnsteuer soll dieser unfaire Wettbewerb zuungunsten des stationären Einzelhandels zumindest etwas korrigiert werden.

Und auch die Paketzusteller tauchen hier auf: »In Amazon-Verteilzentren arbeiten fast ausschließlich Leasingarbeiter. Sie können jederzeit entlassen werden und fürchten permanent um ihren Job. Paketdienste haben wiederum offiziell fast keine Mitarbeiter. Die Boten werden in die Scheinselbstständigkeit gedrängt und zu Einpersonen-Unternehmen gemacht. Vor allem Asylsuchende, die keine Arbeitserlaubnis in Österreich erhalten, aber Unternehmen gründen dürfen, werden hier ausgebeutet. Sie tragen das alleinige Risiko, bekommen keine Überstunden bezahlt und müssen ihren Auftraggeber auch noch für das Fahrzeug entschädigen. Der ORF berichtete, dass Paketzusteller so auf Stundenlöhne von unter 4 Euro kommen.«

Was wird hier gefordert? „Es darf nicht sein, dass Arbeitnehmer in Österreich in Leasing-Verträge, oder Scheinselbstständigkeit gedrängt werden. Wir fordern eine konsequente Prüfung der arbeitsrechtlichen Standards bei Online- Konzernen und eine gesetzliche Obergrenze für den Anteil an überlassenen Arbeitskräften im Unternehmen auf maximal 50 Prozent”, so Barbara Teiber, die Vorsitzende der Gewerkschaft gpa. Außerdem sollen Leasingarbeiter einen Anspruch auf Fixanstellung bekommen, wenn sie 12 Monate für ein Unternehmen gearbeitet haben.

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