22,5 Prozent aller Beschäftigten im Niedriglohnbereich: weniger als 2.289 Euro Brutto – ca. 1500-1600 Euro Netto

Niedriglohnbereich im Ruhrgebiet (Stand August 2019):

 

MONITOR vom 09.01.2020

Arm trotz Arbeit: Reinigungskräfte zum Niedrigstlohn

Bericht: Julia Regis, Steen Thorsson

Arm trotz Arbeit: Reinigungskräfte zum Niedrigstlohn Monitor 09.01.2020 07:18 Min. UT Verfügbar bis 09.01.2099 Das Erste Von Julia Regis, Steen Thorsson

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Georg Restle: Steigende Mieten bei geringen Einkommen. davon sind vor allem Menschen betroffen, die von Niedriglöhnen leben müssen. Löhne unterhalb des Tariflohns, die kaum zum Leben reichen. Eigentlich wurde der Niedriglohnsektor gestärkt, um Menschen den Einstieg in besser bezahlte Jobs zu ermöglichen. Die Zahlen sprechen da aber eine ganz andere Sprache. Der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor ist in Deutschland in den letzten 20 Jahren erst konstant gestiegen und hat sich dann seit etwa zehn Jahren auf hohem Niveau verfestigt. Trotz Wirtschaftsboom. Trotz Rückgang der Arbeitslosenzahlen arbeiten 7,9 Millionen Deutsche zu Niedriglöhnen. Das sind ca. 22,5 Prozent aller Beschäftigten, also fast jeder Vierte. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich sehr weit hinten. In fast allen europäischen Ländern arbeiten deutlich weniger Beschäftigte im Niedriglohnbereich. Betroffen davon sind vor allem Frauen, Migranten und Migrantinnen oder Menschen, die sich schlecht wehren können, wenn sie ausgenutzt und ausgebeutet werden. Julia Regis und Steen Thorsson über die sehr dunklen Schattenseiten unseres Wirtschaftsbooms.

Dora an ihrem alten Arbeitsplatz, der Alice Salomon Hochschule in Berlin. Hier sauberzumachen bedeutete für sie vor allem eins: sehr viel Arbeit in kürzester Zeit.

Dora: „Fegen, wischen, die ganzen Klassentische abwischen, das gehörte auch dazu. Die Fensterbänke alle sauber machen.“

Pro Raum hatte Dora gerade mal fünf Minuten Zeit. Für ihre Arbeit hat sie rund 750,- Euro netto im Monat bekommen. Eigentlich über dem Mindestlohn, aber:

Dora: „Seitdem haben sie einfach die Arbeitsstunden gekürzt. Umso höher sie Mindestlohn machen, umso niedriger Arbeitsstunden.“

Die Firmen zahlen Mindestlohn, kürzen aber die Schichten. Die Arbeit bleibt die Gleiche. Das berichten uns viele Reinigungskräfte und auch Gewerkschaften. Die Alice Salomon Hochschule schreibt sich soziales Engagement auf die Fahnen. Für die Reinigungskräfte gilt das offenbar nicht. Sie sind nicht bei der Hochschule angestellt, sondern bei einer externen Firma. Genau dagegen richtet sich der Protest der Studierenden an der Hochschule. Sie fordern deren Festanstellung. Das könne sich eine kleine Hochschule nicht leisten, sagt die Rektorin. Verantwortung für die Arbeitsbedingungen will sie nicht übernehmen.

Prof. Bettina Völter, Rektorin Alice Salomon Hochschule: „Ich habe leider davon erst durch die Presse erfahren. Ich habe ja diesen Kontakt gar nicht gehabt zu den Frauen, sonst hätte ich ja auch anders handeln können. Ich kann sozusagen jetzt nichts für die Personen tun, außer das dem Geschäftsführer gegenüber natürlich sehr kritisch ansprechen. Da habe ich die Entschuldigung bekommen.“

Von der Entschuldigung hat Dora nichts gehört. Ihr Vertrag wurde nicht verlängert. Auch mit den Lohnzahlungen gab es immer wieder Probleme.

Dora: „Natürlich haben wir uns jeden Monat beschwert, weil Stunden fehlten, bis zu zehn Stunden. Und das ist schließlich auch bis 80,-, 100,- Euro, ja. Am ersten Monat, als ich angefangen habe,  war das für mich ein richtiger Schock. Ich wusste nicht, wie ich es mit 600,- Euro schaffe, überhaupt alles zu bezahlen.“

Wir bitten die Reinigungsfirma um eine Stellungnahme – eine Antwort erhalten wir nicht. Schlechte Arbeitsbedingungen für Reinigungskräfte sind auch ein Problem an anderen öffentlichen Gebäuden. Die Initiative „Schule in Not” hat deshalb im Bezirk Neukölln ein Bürgerbegehren gestartet.

Philipp Dehne, Bürgerinitiative „Schule in Not“: „Habt ihr schon unterschrieben? Wir fordern, dass die Reinigungskräfte mehr Zeit bekommen und fest angestellt werden, weil sie dadurch auch mehr Geld verdienen.“

Philipp Dehne war selbst Lehrer in Neukölln und hat „Schule in Not” mitbegründet. Es geht um dreckige Schulen bei ohnehin schon schwierigen Lehrbedingungen. Der Grund dafür sind vor allem auch die schlechten Arbeitsbedingungen der Reinigungskräfte, so Dehne. Die Verantwortung dafür läge aber nicht alleine bei den Firmen.

Philipp Dehne, Bürgerinitiative „Schule in Not“: „Die sagen uns, manche Firmen, wir bewerben uns gar nicht mehr auf diese öffentlichen Schulreinigungsbetriebe. Das ist nur Stress, weil für das Geld können wir das nicht machen. Das ist schon krass, dass da die öffentliche Hand teilweise schlechtere Arbeitsbedingungen schafft, als das genau im komplett privatwirtschaftlichen Bereich gewährleistet ist. Und das finde ich eigentlich einen Skandal ehrlich.”

Mehrere Reinigungsfirmen bestätigen gegenüber MONITOR diese Einschätzung – deutschlandweit. Miserable Arbeitsbedingungen – ausgerechnet bei öffentlichen Aufträgen? Wir sind auf dem Weg zu einem Dorf in Brandenburg. In diesem Haus sollen im letzten Sommer zehn Reinigungskräfte aus Osteuropa untergebracht gewesen sein. Ohne Küche, ohne Betten. Nachbarn bestätigen uns das. Vor der Kamera möchten sie sich nicht äußern. Immer morgens um 6:00 Uhr seien die Arbeiter abgeholt und abends gegen 22:00 Uhr oder später wieder zurückgebracht worden. Einer von ihnen war Nicolae Caraus. Hier in seiner Arbeitskleidung, mit Logo der Reinigungsfirma. Gearbeitet hat er gemeinsam mit den anderen hier: in Berlin Reinickendorf sollten sie in den Ferien Schulen grundreinigen. Philipp Dehne beschäftigt auch dieser Fall. Gemeinsam mit Sergiu Lopatä von der Beratungsstelle für migrantische Arbeit in Berlin – kurz BEMA – spricht er mit Nicolae Caraus. Der lebt mittlerweile wieder in Moldawien und erzählt von Arbeitstagen bis spät in die Nacht – und unerträglichen Arbeitsbedingungen.

Nicolae Caraus (Übersetzung Monitor): „Ich hatte davon gehört, dass es heute noch reale Sklaverei gibt. Aber ich hätte mir nie vorstellen können, dass mir so etwas in Deutschland passieren wird.“

Eigentlich war die Firma Clean Garant vom Bezirk damit beauftragt, während der Ferien eine Grundreinigung durchzuführen – ein deutschlandweit agierendes Reinigungsunternehmen mit rund 3.000 Mitarbeitern. Hier stehe der Mensch im Mittelpunkt, heißt es auf der Website. Doch angeheuert wurde Nicolae Caraus von diesem Subunternehmer. Hier bei der Einweisung von Arbeitern vor der Ringelnatz-Grundschule in Reinickendorf zu sehen. Vertraglich war das der Firma ohne Rücksprache nicht erlaubt. Eigentlich wurde Nicolae Caraus versprochen, dass er regelmäßigen Lohn erhält. Doch nicht einmal den habe er bekommen. Sergiu Lopatä versuchte zu helfen, doch die Firma Clean Garant stritt zunächst alles ab, ein Nicolae Caraus habe nie für sie gearbeitet. Erst als die Beweislast erdrückend wird, lenkt man ein.

Sergiu Lopatä: „Er hat einen Monat und zwei Tage gearbeitet. Aber insgesamt wir haben das berechnet, das waren, ich glaube über 300 Stunden.“

Philipp Dehne: „Stimmt, wenn er so viele Stunden am Tag gearbeitet hat.“

Sergiu Lopatä: „Genau, und die gesamte Forderung damals war 3.200,- Euro brutto.“

Gezahlt hat Clean Garant letztendlich nur die Hälfte des von der BEMA errechneten Lohns. Die Firma schreibt uns, damit sei der volle Lohn beglichen. Arbeiter, die wie Sklaven gehalten werden und eine Firma, die das offenbar wenig kümmert? Auf Anfrage sagt Clean Garant jetzt, dass man nicht mehr mit dem Subunternehmer zusammenarbeite. Beim Bezirk Reinickendorf fühlt man sich für die Arbeitsbedingungen bei dem Subunternehmen nicht verantwortlich. Auf Anfrage heißt es, man sehe keinen Grund den Vertrag mit Clean Garant zu kündigen.

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