Was bringt das Rentenpaket II?

Gerhard Bäcker, 13.03.2024

Was bringt das Rentenpaket II?

Die Bundesregierung hat sich auf eine Stabilisierung des Rentenniveaus geeinigt. Keine Selbstverständlichkeit, sagt Gerhard Bäcker, Senior Professor am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen im Interview. Auch die Folgen des Generationenkapitals und der Beitragserhöhung schätzt er im Gespräch mit sozialpolitikblog ein.

Interview: Johanna Ritter


Die Ampelregierung hat sich auf das Rentenpaket geeinigt. Was ist das wichtigste Ergebnis für Beitragszahler*innen und Rentner*innen?

Die Ampelregierung hat mit diesem Referentenentwurf eine zentrale Aussage aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, nämlich die mittelfristige Stabilisierung des Rentenniveaus  bis zum Jahre 2040 auf 48 Prozent. Nach den letzten Vorausberechnungen wäre das Niveau bis 2036 auf 45 Prozent gesunken, dies wird nun verhindert. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Die Anpassung der Renten folgt der Entwicklung der Löhne. Der zweite Schwerpunkt ist, dass dies finanzierbar gemacht werden soll durch Aufhebung der bisher geltenden Beitragssatzobergrenze. Das heißt, die Beitragssätze bleiben bis 2027 stabil bei 18,6 Prozent, werden in den Folgejahren dann aber auf bis zu 22,3 Prozent steigen. Und der dritte Schwerpunkt ist, dass die Beitragssatzsteigerungen durch Erträge aus einem sogenannten Generationenkapital abgemildert werden sollen. Es ist positiv, dass sich die Regierung – und ich betone ausdrücklich mit der FDP – dafür entschieden hat, das wesentliche Standbein unseres Sozialstaates, die gesetzliche Rentenversicherung zu stärken. Das ist insbesondere in einer Zeit, in der es viele Unsicherheiten gibt, wichtig, um das Vertrauen in die Rentenversicherung zu stärken. Ich halte die Zielmarke von 48 Prozent für ein Minimum, denn die Renten sind  durchaus knapp bemessen. Denn selbst die Standardrente (mit 45 Versicherungsjahren) erreicht heute nur einen Wert von rund 1.500 Euro im Monat.


Im Koalitionsvertrag war von einer langfristigen Absicherung die Rede, Sie sprechen von mittelfristiger Absicherung.

Bis zum Jahr 2040 ist durchaus ein längerer Zeitraum und ich halte das nicht für ein wesentliches Abweichen von dem Ziel der Langfristigkeit. Auch bei diesem längeren Zeitraum stellt sich natürlich die Frage, ob dies auch tatsächlich so kommt. Das hängt ja von vielen Faktoren ab, die wir nicht vorhersehen können.


Sie sagen, dass dieses Ergebnis keine Selbstverständlichkeit ist. Was meine Sie damit?

In der Diskussion über die Zukunft der Alterssicherung in der Politik und der Wissenschaft, vor allem in den Wirtschaftswissenschaften, gibt es eine Fülle von Vorschlägen, die das gegenwärtige Rentensystem nachhaltig ändern wollen. Ich erinnere an das Gutachten des Sachverständigenrats, das im November 2023 vorgelegt wurde, in dem erhebliche Einschnitte in das Rentensystem vorgesehen waren, sowie an die ursprünglichen Vorschläge der FDP, eine Kapitaldeckung zulasten der Beitragsfinanzierung in der Rentenversicherung aufzubauen. Das Festhalten am Rentenniveau von 48 Prozent setzt diesen Debatten etwas entgegen.


Die Beitragszahler*innen werden künftig allerdings mehr einzahlen. In den Kommentaren ist schon von einer Umverteilung von Jung zu Alt zu lesen. Was bedeutet das für die jüngeren Arbeitnehmer*innen?

Ja, die Beitragssätze werden steigen und das betrifft alle Arbeitnehmer*innen, auch die mittelalten und älteren. Wir müssen uns in der Tat darauf einstellen, dass es teuer wird, wenn wir die wachsende Zahl der älteren Menschen absichern wollen. Es geht kein Weg daran vorbei, auch nicht mit anderen, kapitalfundierten Finanzierungsformen. In den 1990er Jahren haben wir schon Beitragssätze von 20,3 Prozent gesehen. Auch in anderen Sozialversicherungszweigen werden die Beitragssätze steigen. Alterung bedeutet auch eine wachsende Zahl von pflegebedürftigen, älteren Menschen. In der Krankenversicherung haben wir eine ständige Dynamik. Mit dem Reformpaket benennt die Bundesregierung diese steigenden Beitragssätze für die Rentenversicherung klar, weist aber zu Recht darauf hin, dass die Jüngeren dafür etwas erhalten, nämlich ein verlässliches Rentenniveau.


Was bedeuten die steigenden Beitragssätze für Menschen mit geringeren Löhnen und Gehältern?

Die Beitragssätze sind proportional und nicht progressiv gestaltet, treffen alle Versicherten also mit der gleichen prozentualen Belastung. Aber den Beitragssätzen steht damit auch ein Anspruch gegenüber, entsprechende Entgeltpunkte für die Rentenberechnung zu erhalten. Ein Anstieg der Beitragssätze ist für Menschen mit geringeren Löhnen und Gehältern immer schwerer verkraftbar. Ob sie übermäßig belastet werden, hängt entscheidend davon ab, wie sich die Einkommen entwickeln, insbesondere auch der Mindestlohn. Wenn sich – wie in der Vergangenheit – die Bruttoentgelte weiter erhöhen, dann kann es trotz steigender Beitragssätze durchaus zu realen, inflationsbereinigten Nettozuwächsen bei den Löhnen kommen.


Die Koalition hat sich auch auf eine teilweise Kapitaldeckung verständigt, die künftig die steigenden Beitragssätze etwas dämpfen soll. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Die Idee des sogenannten Generationenkapitals ist, dass jährlich Geld in einen Fonds fließt, der dann ab dem Jahr 2036 Renditen abwirft. Diese Erträge sollen genutzt werden, um den Anstieg der Beitragssätze abzumildern. Um das zu finanzieren, wird der Bund Schulden aufnehmen. Es ist also so etwas wie eine Zinswette. Damit es funktioniert, müssen die Zinszahlungen für die Schulden geringer sein als die Erträge aus den Aktienfonds. Das ist mit Risiken behaftet, denn man weiß heute nicht, wie die Kapitalmärkte sich entwickeln. Hinzu kommen die Kosten für die Verwaltung des Fonds. Es handelt sich also um ein durchaus gewagtes Unterfangen. Aber damit ist kein Bruch mit dem Umlageverfahren der Rentenversicherung verbunden, da das Geld für den Aufbau des Aktienfonds nicht aus den Beitragseinnahmen Rentenversicherung kommt. Das ist der wichtigste qualitative Unterschied zur ursprünglich geplanten Aktienrente. Damit wären die Beitragseinnahmen der Rentenversicherung gekürzt worden. Das jetzige Modell ändert auch an der Rentenberechnung nichts. Die individuelle Höhe der Rente ist unabhängig von dem Aufbau des Generationenkapitals.


Jährlich sollen 12 Milliarden Euro in diesen Fonds fließen. Die Schuldenbremse wird dafür ignoriert.

Sie wird nicht ignoriert. Rein juristisch gesehen wird der Bund diese Schulden zwar aufnehmen, aber nicht ausgeben. Es werden also Ausgaben verbucht, die schuldenfinanziert sind und durch die Schuldenbreme eigentlich unmöglich wären.


Was haben die Rentner*innen und Beitragszahler*innen davon? Das Geld fließt ja nicht direkt in die Rente, sondern in den Fonds.

Die Bundesregierung rechnet damit, dass im günstigsten Fall die Beitragssatzerhöhung um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte abgemildert werden kann. Also, es geht hier nicht um riesengroße Entlastungen. Dafür müsste der Kapitalaufbau von vornherein sehr viel höher und der Anlagezeitraum wesentlich länger sein. Das ist beides inicht mehr möglich. Aber wie gesagt, ich sehe das nicht als eine prinzipielle Änderung des gegenwärtigen Rentenversicherungssystems. Dass damit Potenziale für kapitalgedeckte Rentensysteme geschaffen werden, wie der Finanzminister nicht müde wird zu erklären, die künftige Regierungen unter anderen Mehrheiten nutzen können, ist klar. Das Rentenpaket II ist von den Mehrheiten abhängig, und der nächste Bundestag kann das Rentenpaket III oder IV daraus machen. Da gibt es keine Ewigkeitsgarantie.


Wie kann das Rentenniveau denn künftig stabil bleiben, ohne Beitragszahler*innen übermäßig zu belasten?

Das Beschäftigungsniveau ist natürlich ein entscheidender Punkt. Positiv kann man sagen: Es ist in der Vergangenheit gelungen, den Beitragssatz stabil zu halten, weil die versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland angestiegen ist. Wenn das anders aussehen sollte, das kennen wir aus der Vergangenheit auch, schlägt sich das natürlich auch in den Rentenkassen unmittelbar nieder. Das heißt, ein hohes Beschäftigungsniveau mit Sozialversicherungspflicht und eine hohe Arbeitsmarktteilhabe ist eine Voraussetzung für eine auch langfristig positive Entwicklung bei den Renten.


Dabei sind Erwerbsverläufe aber höchst unterschiedlich. Frauen arbeiten zum Beispiel immer noch häufiger in Teilzeit und kürzer und das wirkt sich auch auf ihre Renten aus.

Ja, die die eigenen Rentenanwartschaften von Frauen liegen deutlich unter denen von Männern. Insofern ist es eine Daueraufgabe, dass alle Beschäftigten ausreichend hohe Entgeltpunkte erwerben können. Die Konzentration der Frauenerwerbstätigkeit auf Teilzeitarbeit und Minijobs muss deshalb überwunden werden. Das allerdings setzt eine Gleichverteilung der Sorgearbeit und einen Ausbau der Betreuungsinfrastrukturen voraus. Da gibt es noch riesige Lücken. Das sind Aufgaben, die für jedes Alterssicherungssystem notwendig sind, auch für eine private Altersvorsorge. Wer wenig verdient oder nur unterbrochen arbeitet, kann auch keine zusätzliche private Altersvorsoge betreiben.


Sehen Sie blinde Flecken in der derzeitigen Diskussion um das Rentenpaket?

Ja, das ist erstens Frage der Absicherung von Selbstständigen. Der Anteil von Personen, die selbstständig arbeiten, häufig auch Soloselbstständige, aber auch von Personen in hybriden Beschäftigungsverhältnissen, die selbstständige Arbeit zeitgleich oder nacheinander mit abhängiger Arbeit verbinden, wächst. Ein Großteil dieser Personen erwirbt im Alter keine oder nur sehr unzureichende Alterssicherungsansprüche. In der Koalitionsvereinbarung steht, dass für diese Personen eine Versicherungspflicht eingeführt werden soll. Und zweitens die Frage, wie es mit der Riesterrente weitergeht. Die Zahl der Verträge in der Riesterrente weist seit Jahren nach unten. Offensichtlich gibt es noch keine Antwort darauf, ob dieses Modell gescheitert ist oder ob man es verändern soll. Und der letzte Punkt ist die betriebliche Altersversorgung. Auch hier sinkt der Abdeckungsgrad der Anwartschaften-. Auch hier ist die Frage: Werden die Möglichkeiten zum Aufbau einer ergänzenden Betriebsrente verbessert?


Wie sollte die Sozialpolitikforschung, die Rentenpolitik künftig begleiten?

Die Forschungslandschaft ist gut aufgestellt und bearbeitet wichtige Themen. Das Forschungsnetzwerk Alterssicherung der Deutschen Rentenversicherung Bund hat eine Fülle von interessanten Projekten gefördert. Die Basis dafür sind die Daten, die wir über die Alterssicherung zur Verfügung haben. Bei der Rentenversicherung verfügen wir über ein gut aufgestelltes Forschungsdatenzentrum. Das Problem ist eher, dass wir in den zwei anderen Säulen der Alterssicherung, bei der privaten Altersvorsorge und bei der betrieblichen Altersvorsorge, einen ausgesprochen schlechten Datenstand haben. Es gibt keine gesetzlichen Grundlagen, die die Anbieter verpflichten würden, beispielsweise von Lebensversicherungen, genaue Auskunft über die Verträge zu geben. Hier besteht in der Tat noch ein großer Forschungsbedarf. Der Gesetzgeber hat vorgesehen, dass die Versicherten in Zukunft eine digitale Rentenübersichtüber die Gesamtheit ihrer Altersversorgungsansprüche erhalten. Diese Transparenz ist vor allem für das Vorsorgeverhalten der Beschäftigten wichtig.


Gerhard Bäcker 2024, Was bringt das Rentenpaket II?, in: sozialpolitikblog, 13.03.2024, https://difis.org/blog/?blog=106

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